| # taz.de -- Verkehrswende in Berlin: Straßen aus Blech | |
| > Immer weniger Berliner*innen besitzen ein Auto. Kein Grund zur | |
| > Freude, denn von Flächengerechtigkeit kann keine Rede sein. | |
| Bild: Gelebte Autokratie: Straßenszene in Tempelhof | |
| Berlin taz | In Mitte gibt es eine Hausgemeinschaft. Dort leben auf mehrere | |
| Häuser verteilt hundert Menschen, die sich gemeinsam einen Innenhof teilen. | |
| Nur zehn der hundert Bewohner:innen haben ein Auto. Wie überall in | |
| Berlin ist der Platz begrenzt: Auf den Innenhof passen entweder die zehn | |
| Autos oder hundert Menschen. Heißt: Stellen alle, die ein Auto besitzen, | |
| dieses in den Innenhof, ist dort kein Platz mehr für die Bewohner:innen | |
| des Hauses. Ist das gerecht? Nein. | |
| Dasselbe Problem gibt es nicht nur in der Hausgemeinschaft in Mitte, | |
| sondern in ganz Berlin. Auch hier besitzt nur eine Minderheit – weniger als | |
| ein Drittel – ein Auto; zusammen nehmen die aber einen Großteil der Fläche | |
| in der Stadt ein – wodurch kaum Platz für die Einwohner:innen bleibt. | |
| [1][Flächengerechtigkeit ist das Stichwort.] | |
| Immerhin: Nach Jahren des nahezu ungebremsten Wachstums bei den | |
| Zulassungszahlen von privat genutzten Autos scheint in diesem Bereich etwas | |
| Entspannung in Sicht. Wie aus einer am Dienstag veröffentlichten Antwort | |
| der Verkehrsverwaltung auf eine parlamentarische Anfrage hervorgeht, | |
| verzichten mehr Berliner:innen auf ihr eigenes Auto. Demnach ist die | |
| Zahl der auf private Nutzer:innen zugelassenen Pkw seit 2021 um rund | |
| 20.000 auf zuletzt 1.079.000 Fahrzeuge zurückgegangen. | |
| Die Grünen-Abgeordnete Antje Kapek, die die Daten erfragt hat, spricht von | |
| „phänomenalen Nachrichten für das Klima, die Lebensqualität und die Lärm- | |
| und Luftbelastung“. Die Zahlen zeigten, dass die Menschen „in großem Stil | |
| vom Auto umsteigen auf klima- und stadtverträgliche Mobilität“, so Kapek. | |
| Gleichzeitig sei in dem Zeitraum die Bevölkerung Berlins stark gewachsen, | |
| gerade die Zahl der Pkw pro Kopf gehe also zurück. | |
| ## Verkehrswende now? | |
| Auch Roland Stimpel vom Fachverband Fußverkehr (Fuss) sieht die Entwicklung | |
| Berlins angesichts des Rückgangs der Privatzulassungen positiv. „Der | |
| Hauptgrund hierfür sind die immer knapper werdenden Parkplätze“, ist sich | |
| Stimpel sicher. Das mache das Autofahren in der Stadt zunehmend | |
| unattraktiv. | |
| Die 2018 mit der Verabschiedung des Mobilitätsgesetzes eingeschlagene | |
| Richtung der Verkehrspolitik scheint also Wirkung zu zeigen. Maßnahmen wie | |
| gepollerte Radwege, Kiezblocks und flächendeckende Parkraumbewirtschaftung | |
| machen Fortbewegungsformen wie Fahrradfahren oder den öffentlichen | |
| Nahverkehr deutlich attraktiver. Besonders innerhalb des S-Bahn-Rings | |
| verliert das Auto an Reiz. | |
| Ist das also die Verkehrswende, für die Mobilitätsaktivist:innen | |
| seit Jahren streiten? Leider nein, denn es gibt einen kleinen Haken bei dem | |
| – realistisch betrachtet – doch eher kleinen Rückgang: Eine Kehrtwende bei | |
| der Masse der auf Berlins Straßen herumfahrenden oder häufiger: | |
| herumstehenden Pkw ist zugleich nicht in Sicht. So stieg die Zahl der | |
| insgesamt zugelassenen Pkw auf 1.232.000, 3.500 mehr als 2021. | |
| Hauptverantwortlich hierfür ist die Jahr für Jahr zunehmende Zahl | |
| gewerblich genutzter Pkw. | |
| Solange die Nettoanzahl an Pkw steigt, ist die Vorherrschaft des Autos noch | |
| nicht gebrochen. Denn jedes zugelassene Auto – egal ob dienstlich oder | |
| privat – muss auch irgendwo stehen. Und [2][meistens tut es das im | |
| öffentlichen Straßenraum]. Im Gegensatz zur Einwohner:innenzahl wächst | |
| die verfügbare Fläche in Berlin nicht. Im Gegenteil, durch Nachverdichtung | |
| wird es auch innerhalb des S-Bahn-Rings immer enger, die Flächenkonkurrenz | |
| wächst. | |
| ## SUVs statt Spielstraßen | |
| Auch [3][der Platzbedarf pro Auto wird immer größer]. Im vergangenen Jahr | |
| empfahl die Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen die | |
| Breite von neu zu planenden Parkplätzen von 2,50 Meter auf 2,65 Meter zu | |
| erhöhen. Aus einer im November vom Senat veröffentlichten Datenerhebung | |
| geht hervor, dass innerhalb des S-Bahn-Rings rund 2,9 Millionen | |
| Quadratmeter öffentlicher Raum durch parkende Fahrzeuge beansprucht wird. | |
| Das entspricht in etwa der Fläche des Tempelhofer Feldes. | |
| Platz, der in vielerlei Hinsicht besser genutzt werden könnte, als | |
| tonnenweise Blech darauf abzustellen. Spielstraßen, Sitzmöglichkeiten, | |
| Hochbeete oder einfach eine sichere Fahrradspur. An Ideen mangelt es nicht, | |
| doch abseits von Modellprojekten bleibt der Maßstab für | |
| Flächengerechtigkeit die Zahl der zugelassenen Pkw. | |
| Die Verkehrswende benötigt also noch einen deutlichen Einschlag, um sich | |
| als solche bezeichnen lassen zu können. [4][Doch die Verkehrsverwaltung | |
| geht einen komplett anderen Weg.] Mit der Entscheidung im August, die | |
| Planungen für einen Großteil der Radschnellverbindungen auf Eis zu legen, | |
| sinkt auch die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Zahl der Autos in Berlin | |
| tatsächlich reduzieren wird. Auch bleibt das Anwohner:innenparken | |
| selbst nach der diskutierten Erhöhung mit 60 Euro pro Jahr spottbillig. | |
| „Wir sehen die Verkehrswende durch die aktuelle Politik des Senats | |
| gefährdet“, sagt Karl Grünberg vom ADFC Berlin. Der Fahrradlobbyverein ruft | |
| mit einem breiten Bündnis am Sonntag zu einer Demo zur Rettung der | |
| Radschnellverbindungen auf. | |
| Zurück zur Hausgemeinschaft in Mitte: Die Lösung war die Einführung eines | |
| Parkverbots für den Innenhof. Dadurch kann der Hof von allen genutzt | |
| werden: Mittlerweile stehen dort ein Pool, jede Menge gemütliche | |
| Sitzgelegenheiten, allerlei Beete und eine kleine Bar. Der Hof ist von | |
| einem Parkplatz zu einem lebenswerten Ort geworden. | |
| 3 Sep 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Marie Frank | |
| Rainer Rutz | |
| Jonas Wahmkow | |
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