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# taz.de -- Recht auf Stadt: Die große Parkplatzsuche
> Wie viele Parkplätze es in Berlin gibt, ist bislang nirgendwo erfasst.
> Nun wollen Initiativen Parkplätze zählen und so die Verkehrswende
> vorantreiben.
Bild: Wenn die Autos weg sind, bleibt Platz für Fahrräder, Parklets, Kleingä…
BERLIN taz | Gibt es mehr Menschen oder mehr Autos auf den Straßen Berlins?
Spaziert man einmal stichprobenartig durch den Kiez, ist die subjektive
Antwort meist eindeutig: [1][Autos]. Und damit sind nicht unbedingt die
fahrenden gemeint, sondern die, die rechts und links am Straßenrand stehen.
Durchschnittlich 12,5 Quadratmeter Stellplatz braucht ein Auto; 23 Stunden
am Tag steht es im Schnitt ungenutzt dort rum. Zusammengerechnet ist das
eine riesige Fläche, die auch anders genutzt werden könnte, finden die
Aktivist:innen der Initiative Parkplatztransform.
In Zeiten der Verkehrswende und immer knapper werdender Freiflächen sind
Parkplätze längst zum Politikum geworden. Doch wie viele Parkplätze es in
Berlin genau gibt, ist bislang nirgendwo erfasst. Mehrere
zivilgesellschaftliche Initiativen wollen das nun ändern, indem sie selbst
Parkplätze zählen.
„Was uns antreibt, ist die ungerechte Aufteilung öffentlichen Raums in der
Stadt“, erklärt Henrike Junge von Parkplatztransform der taz. In der Stadt
würden vor allem [2][besserverdienende Menschen ein Auto besitzen]. „Der
Parkraum für reiche Leute wird von uns allen finanziert“, sagt Junge.
Parken in Berlin sei viel zu günstig, kritisiert die Initiative. Dazu
kommt, dass auch innerhalb des S-Bahn-Rings immer noch viele Parkplätze
komplett kostenfrei sind – entgegen dem im Koalitionsvertrag vereinbarten
Ziel, flächendeckende Parkraumbewirtschaftung einzuführen. Angesicht der
hohen Folgekosten, die Automobilität mit sich bringt, wie etwa
Feinstaubbelastungen, Straßenreparaturen und klimatische Schäden, sei auch
ein bewirtschafteter Parkplatz ein Zuschussgeschäft.
## Deutlich mehr Parkplätze als Grünfläche
Die Idee, durch das Sammeln von Parkplatzdaten die Verkehrswende
voranzubringen, kam Junge und ihren Mitstreiter:innen vor drei Jahren.
Eigentlich wollten sie nur ausrechnen, wie viel Geld der Stadt in den
Gebieten entgeht, in denen sie auf Parkraumbewirtschaftung verzichtet.
Dabei stellten sie fest, dass eben niemand weiß, wie viele Parkplätze es in
der Stadt eigentlich gibt. „Das fanden wir skandalös, weil es
offensichtlich doch sehr viel Raum ist“, sagt Junge.
Parkplatzdaten werden bislang nur im Rahmen von
Parkraumbewirtschaftungsstudien erhoben. Möchte ein Bezirk Parkgebühren
erheben, muss dafür zunächst eine Studie in Auftrag gegeben werden, in der
untersucht wird, wie viele Parkplätze in dem betreffenden Gebiet überhaupt
vorhanden sind. In Innenstadtbezirken sind zwar so ein Großteil der
Parkplätze erfasst, doch die Daten sind oft nicht frei verfügbar, stark
veraltet und digital nicht verarbeitbar.
Der Initiative gelang es nach drei Jahren Arbeit, einen Großteil der
öffentlichen Parkplätze innerhalb des Rings zu erfassen. Dafür fragten sie
Parkraumstudien aus allen Bezirken an und trugen die Daten händisch
zusammen. Wo Daten fehlten, zählten sie in Zählaktionen mit Freiwilligen
und mit dem Maßband nach. Mit den Aktionen wollte man gleichzeitig
Aufmerksamkeit schaffen und für das Thema Flächengerechtigkeit
sensibilisieren, erklärt Junge.
In einer ersten Analyse der Ergebnisse, die die Initiative Ende Oktober
vorstellte, verglichen die Aktivist:innen Parkraum mit anderen
öffentlichen Flächen. „In der Mehrzahl der Kieze innerhalb des S-Bahn-Rings
hat ein Auto mehr Parkplatzfläche als ein:e Einwohner:in Grünfläche“,
fasst Junge erste Ergebnisse zusammen.
## Daten als Grundlage für Debatten
Mit den Daten will Parkplatztransform nicht nur die gesellschaftliche
Debatte über gerechte Flächenverteilung vorantreiben, sondern auch andere
Initiativen bei ihrer Arbeit unterstützen. So nutzte „Hermannstraße für
Alle“ die Daten, um zu argumentieren, dass der Wegfall von Parkplätzen an
der Hermannstraße zu verkraften sei.
Lobby-Organisationen wie der Dachverband Changing Cities zeigten sich
ebenfalls begeistert von den Daten der Initiative. „Berlin braucht eine
Strategie, um Parkplätze zu reduzieren“, fordert Kerstin Stark von Changing
Cities. Weniger Parkplätze würden weniger Autoverkehr bedeuten. Die
Verringerung von Parkplätzen sei eine sehr emotionale Angelegenheit, bei
der es große Widerstände gebe, so Stark. Umfassende Daten würden helfen,
die Debatte zu versachlichen
„Es wird oft so getan, als wäre das eine Fehde gegen die armen Autofahrer,
dabei gibt es Handlungsbedarf“, sagt Stark. Auch ließen sich mithilfe der
Daten konkrete Ziele beschließen: zum Beispiel, wie viele Parkplätze
jährlich reduziert werden könnten.
Doch in den Verwaltungen selbst können die Daten nicht zur Verkehrsplanung
genutzt werden, da sie von Freiwilligen erhoben wurden und auf teilweise
veralteten Parkraumbewirtschaftungsstudien basieren. Trotzdem haben die
Bezirke zunehmend Interesse an genauen Parkplatzdaten: „Land und Bezirk
haben sich vielfältige Ziele in verschiedenen Planwerken und Beschlüssen
gegeben. Dazu sind aktuelle und detaillierte Daten hilfreich, um daraus
Vorhaben abzuleiten und diese zu begründen“, sagt Verkehrsstädträtin Annika
Gerold (Grüne) aus Friedrichshain-Kreuzberg auf taz-Anfrage. Dazu würde
etwa die Parkscheinpflicht, eine Bevorzugung von Sondergruppen wie
Anwohner*innen, mobilitätseingeschränkten Menschen und die Umwandlung von
Parkplätzen gehören.
## Hilfreich beim Entsiegeln
Besonders bei Letzterem nimmt Friedrichshain-Kreuzberg eine Vorreiterrolle
in Berlin ein. Parklets – Stadtmöbel aus Holz, die Sitzgelegenheiten und
Hochbeete für Blumen miteinander kombinieren – sind mittlerweile überall im
Bezirk zu sehen. Im Graefekiez plant der Bezirk ein [3][Modellprojekt,
indem auf sämtliche Parkplätze für Privatautos im Kiez verzichtet wird.]
Langfristig plant der Bezirk sogar eine Entsiegelung von Parkflächen – eine
dringend notwendige Maßnahme, um die Stadt besser für die Auswirkungen der
Klimakrise zu wappnen.
An aktuelle und für die Planung brauchbare Daten zu gelangen ist für den
Bezirk eine ungleich größere Herausforderung: „Für ein detailliertes
Ergebnis ist kleinteilige Arbeit in jedem Straßenzug notwendig. Wo
straßenverkehrsrechtlich geparkt werden darf oder nicht, ist in
Einzelfällen nur durch Fachpersonen zu bewerten“, erklärt Stadträtin
Gerold. „Im Extremfall befassen sich Gerichte ausführlich mit diesen
Fragen.“
Für die Entsiegelung von Flächen ist beispielsweise nicht nur die
Parkrichtung erforderlich, sondern auch die Art des Straßenbelags. So kann
in den Rillen von Kopfsteinpflaster Wasser versickern, auf Asphalt hingegen
nicht.
Hilfe bekommt der Bezirk bei dieser Aufgabe abermals aus der
Zivilgesellschaft. Seit einigen Monaten kooperiert Friedrichshain-Kreuzberg
mit der Open-Street-Map-Community (OSM). Die Geodatenbank ist eine Art
Wikipedia für Karten, auf der alle, die mitmachen wollen, Informationen
eintragen können. Unter anderem greifen viele Navigationsapps auf das
Kartenmaterial von OSM zurück.
## Zivilgesellschaft hilft Verwaltung
Im letzten Jahr entwickelte OSM-Ehrenamtlicher Alex Seidel eine Methode,
Parkraum mit verhältnismäßig wenig Aufwand zu verzeichnen. In der Straße
muss nur erfasst werden, ob und wie dort geparkt werden darf – die genaue
Anzahl an Parkplätzen wird dann automatisch berechnet. Möglich ist das, da
Informationen wie Straßenlänge, Bäume und Ausfahrten bereits sehr genau in
Open-Street-Map-Karten enthalten sind. Als Pilotprojekt erfasste OSM den
gesamten Parkraum Nordneuköllns.
Nun sollen aufbauend auf Seidels Methode auch aktuelle Parkplatzdaten für
Friedrichshain-Kreuzberg erhoben werden. Geld vom Bezirk bekommt Seidel
dafür nicht; allerdings hat er sich gemeinsam mit zwei Mitstreitern aus der
OSM-Community erfolgreich für eine Förderung aus einem Technik-Fund
beworben. „Wir möchten etwas liefern, das dabei hilft, die Stadt
klimaresilienter zu machen und den Raum besser zu nutzen“, sagt Seidel im
Gespräch mit der taz. Das Thema Parkplatzdaten schien „vielen unter den
Nägeln zu brennen“.
Wäre Seidels Projekt erfolgreich, könnten durch die Parkplatzdaten die
unter chronischem Personalmangel leidenden Verwaltungen in den Bezirken
deutlich entlastet werden. Dass gute Daten allein aber noch keine
Verkehrswende machen, zeigt auch das Beispiel Friedrichshain-Kreuzberg. Die
Kontrolle der seit Langem beschlossenen flächendeckenden
Parkraumbewirtschaftung, also letztlich deren Umsetzung im Alltag,
scheitere bislang daran, genügend Kontrolleur:innen und geeignete
Pausenräume zu finden, heißt es aus dem Bezirk.
20 Dec 2022
## LINKS
[1] /Das-Ringen-um-den-Parkraum/!5807133
[2] https://www.experi-forschung.de/zusammenhang-von-verkehrswende-und-sozio-ok…
[3] /Parkplatzfreier-Kiez-in-Berlin-geplant/!5851517
## AUTOREN
Jonas Wahmkow
## TAGS
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