# taz.de -- Platzstürme in der Fußball-Bundesliga: Platz da! | |
> Die Entrüstung über Platzstürme in der Bundesliga ist allerorten recht | |
> groß. Warum Fußballfans auf den Rasen gehören. | |
Bild: Selbstermächtigung: Auf Schalke ließen sich die Fans von Barrikaden nic… | |
Achtung, Achtung, hier spricht die Polizei. „Dieser Platzsturm hätte auch | |
in einer Katastrophe enden können“, sagte der Leiter der Direktion | |
Gefahrenabwehr/Einsatz bei der Polizei Gelsenkirchen, Peter Both. Er meint | |
[1][die Schalker Fans, die auf dem Rasen den Aufstieg feierten.] Da darf | |
die Bild nicht fehlen, die eine „Warnung vor gefährlichem | |
Platzsturm-Trend!“ ausspricht. | |
„Entscheidend is auffem Platz“, wusste Ady Preissler, und diese wirklich | |
kluge Erkenntnis hat eine Bedeutung, die sich weder Polizei noch Bild | |
erschließt. Damit Kritik an dem, was auf dem Platz passiert, Wirkung zeigt, | |
sollte sie nämlich eher nicht via Kommentaren in Fanforen geäußert werden, | |
auch nicht zeitnah auf Twitter, sondern da, wo das Entscheidende passiert. | |
Um sich solcher angewandter Kritik zu entziehen, haben die Verantwortlichen | |
ja schließlich scheinobjektivierende Instrumente wie den VAR eingeführt. | |
Das Entscheidende des Fußballs soll digital sein, nicht mehr auffem Platz. | |
Auch die Nähe zu den Spielern ist ja immer weniger körperlich. Man kann | |
ihnen auf Social Media folgen, aber persönlich erlebt ein Fan sie nicht: | |
Fußballprofis gehen nicht mehr ins Vereinsheim. Den Fußball und seinen Ort | |
in einem kulturellen Sinne zu besitzen, ist der berechtigte Anspruch der | |
Fans, das ist es, was ihren Sport so populär macht: Wir sind der Fußball, | |
wir haben hier unseren Platz. | |
In Frankfurt oder Köln war, wie Polizeileute so etwas umschreiben, „alles | |
glimpflich abgelaufen“, auf Schalke haben sich leider tatsächlich 18 Fans | |
verletzt. Ob aber die Einschätzung des Polizeidirektors Both richtig ist, | |
dass „durch das unmittelbare und schnelle Eingreifen zahlreicher | |
Polizeibeamter“ Schlimmeres verhindert worden wäre? Dafür spricht eher | |
nichts. Etliche Verletzte in der Schalker Arena waren schon auf den | |
Tribünen gestürzt. Es hatte, wie Philipp Selldorf in der [2][Süddeutschen] | |
schreibt, „nichts mit Gewalt, sondern mit den baulichen Gegebenheiten zu | |
tun“. | |
## Bedürfnis nach Nähe | |
Es ließe sich eine Geschichte des Fußballs schreiben, die nur auf das Recht | |
von Fans schaut, den Platz zu betreten. Am Anfang war die Wiese, auf der | |
gekickt wurde, und die Leute standen drum herum. Bald kam berittene Polizei | |
und sorgte, in dem sie mit dem Pferd immer größer werdende Kreise drehte, | |
dafür, dass der zu bespielende Platz frei wurde. Zum Problem wurden und | |
werden Fans in dem Moment, in dem sie die Regeln durchbrechen und den Rasen | |
betreten: Manchmal sind es Flitzer, manchmal empörte Anhänger, manchmal | |
jubelnde Fans, die ihren Stars nahe sein wollen. | |
Stadien so zu bauen, dass die Innenräume geschützt sind und Platzstürme | |
verhindert werden, war schon einmal architektonischer Trend. Es waren in | |
den 1980er Jahren die Zäune, gegen die in Stadien wie Heyssel und | |
Hillsborough Menschen gedrückt wurden, oft von der Polizei, und dort zu | |
Tode kamen. Menschen in Zäune zu sperren, war, was die Fans immer gesagt | |
hatten: eine tödliche Gefahr, entstanden aus ordnungspolizeilichen | |
Wahnvorstellungen. | |
Die Zäune verschwanden, aber von der Analyse, dass es die gegen die | |
Käfigwände gedrückten Fans seien, von denen die Gefahr ausging, wollte das | |
Fußballestablishment nicht lassen. Sie störte diese Form der proletarischen | |
Öffentlichkeit schon lange. Nun sollten die Besucher ausgetauscht werden: | |
aus den klassischen Stehplatzfans mit Bratwurst und Plastikbecherbier | |
sollten ernährungsbewusste und gut situierte Schalensitzehocker werden. | |
Das hat zum Teil geklappt, aber besonders hartnäckige Fans sind immer noch | |
da, und das sind naheliegenderweise die, denen Fußball und ihr Verein ganz | |
besonders viel bedeuten. Wenn aber die nicht mehr so agieren dürfen, wie es | |
zu ihrem Verhältnis und Verständnis von Fußball passt, dann ist die | |
Veranstaltung da unten auf dem Rasen auch kein Fußball mehr, nicht mehr das | |
[3][soziale Faszinosum], das in den vergangenen 150 Jahren so einen enormen | |
gesellschaftlichen Stellenwert erhielt. Das wäre eine Katastrophe, vor der | |
einen auch die Polizeidirektion Gefahrenabwehr/Einsatz nicht schützen | |
könnte. | |
11 May 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Schalke-04-ist-wieder-erstklassig/!5850962 | |
[2] https://www.sueddeutsche.de/sport/fussball-frankfurt-koeln-schalke-platzstu… | |
[3] /EMtaz-Sport-und-Gesellschaft/!5318141 | |
## AUTOREN | |
Martin Krauss | |
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