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# taz.de -- Stadionunglück in Indonesien: Das Scheiß-Game must go on
> Nach der Stadionkatastrophe in Indonesien versichert die Fifa eilfertig,
> dass die U20-WM 2023 wie geplant dort stattfinden kann. Warum eigentlich?
Bild: Gedenken an die Opfer: Gedenkveranstaltung in Malang, Indonesien, am 5. O…
Soll sich Indonesien jetzt freuen? „Der indonesische Fußball wird Gott sei
Dank nicht von der Fifa sanktioniert“, verkündete Staatspräsident Joko
Widodo vor wenigen Tagen erleichtert. Weitere wenige Tage zuvor waren
[1][bei der größten Stadionkatastrophe] der vergangenen 50 Jahre 133
Menschen getötet worden, darunter mindestens 32 Kinder. 547 Menschen wurden
teils schwer verletzt.
Die Katastrophe geschah bei einem als normal und ungefährlich
eingeschätzten Erstligaspiel. Das Heimteam des Arema FC empfing nur die
Spieler, nicht die Fans, des Persebaya Surabayaim Stadion von Malang in
Ostjava. Weil der indonesische Fußball ohnehin ein Gewaltproblem hat, waren
Auswärtsfans nicht zugelassen, und das Gästeteam reiste, auch das trauriger
Usus, in gepanzerten Bussen an.
Als Faktoren, die zur Katastrophe führten, können gelten: Im für 38.000
Zuschauer angelegten Stadion waren 42.000; in der Arena waren nur vier
Sanitäter; die Stadionzugänge sind viel zu schmal angelegt, im Normalfall
können sie nur von zwei Menschen gleichzeitig passiert werden. Einen der
wichtigsten Faktoren, um das Stadion plötzlich zur Hölle zu verwandeln,
trug die Polizei bei: Nicht nur, dass sie überhaupt das in Stadien in jeder
Form verbotene Tränengas einsetzte, nein, es war auch eine längst
abgelaufene und damit deutlich giftiger gewordene Substanz, und: Die
Polizisten verschossen das Tränengaus aus nächster Nähe. Die Obduktion
einiger Toter ergab, dass sie von Tränengaspatronen getroffen wurden.
Welch ein Glück, dass sich der Weltfußballverband Fifa beeilt hat – nachdem
pflichtschuldigst der Textbaustein betr. Kondolenz aktiviert worden war
(„Die Fußballwelt ist zutiefst schockiert“) –, zu versichern, dass die
U20-WM der Männer im Jahr 2023 in Indonesien stattfinden wird, das
ursprünglich für 2021 vorgesehene Turnier war wegen Covid-19 abgesagt
worden. Und der Staatspräsident versprach persönlich, dass jedes größere
Fußballstadion im Land neu zertifiziert wird. Außerdem erhalten die
Opferfamilien jeweils umgerechnet 3.300 Dollar.
## Reiche Fußballkultur
Was treibt die Fifa dazu, bürokratisch über eine solche Katastrophe
hinwegzugehen? [2][Korruption? Das ist immer möglich,] aber im konkreten
Fall nicht wahrscheinlich. Fußball ist in Indonesien noch aus
Kolonialzeiten populär. 1938 nahm es als Niederländisch-Indien bei der WM
im faschistischen Italien teil, als einziges Team aus Asien. Mehr
internationale Erfolge folgten nicht, die Nationalelf liegt derzeit auf
Platz 152 der Weltrangliste. Das Frauenteam ist mit Platz 94 auch nicht
wesentlich erfolgreicher.
Reiche Fußballkultur und mangelnde Erfolge, das sorgt oft für das Aufkommen
gewalttätiger Fanszenen, deren Anteil am Gesamtzuschaueraufkommen relativ
stärker wird. Diese Ausgangslage lässt zudem immer mehr Begehrlichkeiten
aufkommen, dass man doch mit dem Fußball seiner Liga, „etwas machen“ müss…
Private Fernsehsender, Sportwettenanbieter und ähnlich halbseidene Branchen
investieren in die Liga, um viel herauszuholen. Stadionsicherheit und
Faninteressen stören da nur.
Hier kommt die Fifa ins Spiel, die ein großes Interesse daran hat, mit
ihrem wertvollen Exportgut Fußball möglichst viele neue Märkte zu
erschließen. Schaut man sich die Ausrichter vergangener U20-WMs an, wird
klar, dass ein solch niederschwelliges Turnier, das noch nicht die ganz
große Fifa-World-Cup-Bühne braucht, vor allem an Länder vergeben wird, in
der sich Fifa einen Fußballboom erhofft: 2015 Neuseeland, 2011 Kolumbien,
2009 Ägypten, 2007 Kanada, 2003 Vereinigte Arabische Emirate, 1999 Nigeria,
1997 Malaysia, und 1995 wurde in Katar der Probeballon gestartet, der in
diesem Winter zum ganz großen Fifa-Event führt.
Es geht [3][um neue Märkte] und da darf man sich nicht zu lange mit den 133
Toten von Malang aufhalten. Die Liga geht weiter, am 14. Oktober spielt
Arema FC gegen Persis Solo, freilich vor leeren Tribünen. Aber alle Fans
wären eh nicht gekommen.
13 Oct 2022
## LINKS
[1] /Hintergruende-der-Stadionkatastrophe/!5884263
[2] /Fifa-klagt-gegen-Blatter/!5736091
[3] /Vergabe-der-Frauen-Fussball-WM-2023/!5691357
## AUTOREN
Martin Krauss
## TAGS
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Indonesien
Fifa
Frauenfußball
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