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# taz.de -- Abc auf Motordeutsch: Für die Verkehrswende im Kopf
> Autos haben erst Städte, dann die Sprache okkupiert. Wir tanken Energie
> auf der Überholspur und schalten bisweilen einen Gang runter. Ein kleines
> Abc.
Bild: Mein Baby, du Süße, du super Bienchen, Schnulliwulli-Autiwauti!
A wie Autobahn: Der Sehnsuchtsort größtmöglicher Freiheit muss nicht aus
Asphalt sein. „Öfter die linke Autobahn bespielen“, das möge eine
Fußballmannschaft tun, wie neulich bei der WM gehört. Meint: über den
linken Flügel angreifen.
B wie Bleifuß: „Er geht mit Bleifuß durchs Leben und gibt Vollgas“ (siehe
auch G wie Gas). Meint: powern, vorangehen. Vorsicht: dabei nicht die
Bodenhaftung verlieren.
B wie Blinker: „Rechts blinken, links fahren“ ist ein beliebter politischer
Vorwurf für Täuschung und Wankelmut.
C wie Cockpit: Autos okkupieren auch andere technische Bereiche, etwa
Termini der Luftfahrt. Früher gab es Tacho und die analoge Spritanzeige –
auf dem Armaturenbrett. Mittlerweile heißt das „Cockpit“. Umgeben von
zahllosen Digitalmodulen kann man sich wie im Jet fühlen – als Straßenpilot
sozusagen, da der Begriff Autopilot leider anderweitig vergeben ist. Bis
zum Autonauten ist es nicht mehr weit (siehe auch N wie Niedlichkeit und V
wie Vermenschlichung).
D wie Diesel: „Du bist lahm wie ein Diesel.“ Das kriegt hie und da auch mal
ein Fußgänger zu hören.
E wie Energie tanken: Siehe T wie Tanken.
F wie Fahrt: Jemand kann „endlich Fahrt aufnehmen“, wenn Gespräche oder
Verhandlungen „nicht mehr festgefahren“ sind.
F wie Fahrwerk: Machospruch über den Körperbau einer Frau: „Die hat ein
tolles F.“ Und Mann träumt davon, „sie abzuschleppen“.
G wie Gang: „Schalt mal einen Gang runter.“ Hat nichts mit gehen zu tun,
sondern assoziiert so was wie ein inneres Fünfganggetriebe. Meint: „Reg
dich nicht so auf, relax!“
G wie Gas geben: „Gib mal Gas.“ Beliebte Formulierung, wenn es schneller
gehen soll. Oder: „Drück mal aufs Gaspedal.“ Die kurze Suche im Netz
ergibt: Gas geben findet sich bei der Digitalisierung, bei lahmenden
Bauprojekten oder beim Umbau der ARD: „Wir müssen Gas geben.“ Die
Abendzeitung in München verlangte sogar ausgerechnet, beim 49-Euro-Ticket
„Gas zu geben“. Und die Deutsche Post verspricht es beim Anteil ihrer
Elektrotransporter. Übrigens: Auch bei E-Mobilen gibt man Gas.
Gib Gas: Ist selbst für Radfahrerinnen oder Fußgänger als Aufforderung
üblich. Statt: „Tritt mal kräftiger in die Pedale!“ Oder: „Schwing die
Hufe!“
H wie Handbremse, angezogene. Die Zeitschrift Brigitte erklärt „sechs
Anzeichen, dass du dein Leben gerade mit angezogener Handbremse fährst“.
Ein lebenskundliches Portal empfiehlt „Vollgas mit angezogener Handbremse“.
Die Börse verzeichnet „Aktienentwicklung mit a. H.“. Grund: die Zinsbremse.
Der WDR urteilt: „Die Regierung Scholz hilft der Ukraine allenfalls mit
angezogener Handbremse.“ Verkehrsangemessener wäre: Die Ampelregierung tut
dies. Was wohl der Autokanzler dazu sagt?
H wie Hundert: „Der ist in null Komma nix auf 100.“ Kriegt zu hören, wer
schnell erregbar ist. Damit übertrifft man das schnellste Automobil, das
immer ein paar Sekunden + x braucht.
I wie Identität: Manche Menschen werden sogar selbst zum Auto. Trifft man
sich etwa in einem Restaurant, sagt der eine: „Wo stehst du?“ Antwort: „I…
steh gleich da drüben.“
K wie Kirche: Ist vielfach involviert, bei Autosegnungen und mit
Autobahnkapellen. Im Schwäbischen gilt das Automobil bisweilen auch
glaubensstark als „Heilix Blechle“. Apropos: Manche Schwaben nennen
Prostituierte gerne mal „Mietwaga“.
K wie Kurve: Vorsicht, wer mit zu viel Karacho unterwegs ist, „kriegt die
Kurve nicht“ – oder wird „aus der Kurve getragen“.
L wie Leerlauf: Danke, Friedrich Merz! Die Bundesregierung, so neulich der
CDU-Chef, agiere „hochtourig im Leerlauf“.
M wie Motor: „Mein Motor stottert.“ Heißt: Mir fehlt Energie und ich komme
nicht voran. Auch das Herz wird gern „menschlicher M.“ genannt. Manche
Menschen haben ja angeblich sogar „Benzin im Blut“.
N wie Niedlichkeit: Autos werden immer größer, protziger, gefährlicher?
Auto-Motor-Sport hält gegen und nennt den Straßenpanzer Dodge Challenger
Super Bee eine „niedliche 477 PS-Super Biene“. Putzige Tiernamen für die
Asphaltmaschinen waren immer schon beliebt: Käfer, Ente, Panda, VW Rabbit,
Hyundai Pony.
O wie Organspende: So bot neulich jemand Motorersatzteile fürs Auto an.
P wie Parken: Kinder sind bei Oma und Opa „geparkt“ oder Geld auf einem
Konto. Angreifer im Fußball werden, war bei der WM zu hören, „im
gegnerischen Strafraum geparkt“. ZDF-Reporter [1][Béla Réthy] erklärte nach
seinem letzten Auftritt, er wolle erst mal seine „Gefühle parken“.
Ursprünglich hieß parken „in einem Park abstellen“, also in Gehegen,
Gärten, Grünanlagen. Asphaltwüsten wurden erst später draus. Zudem meint
das Parken selten „kurzes Abstellen“ der Blechdosen, sondern oft tagelange
Blockade des öffentlichen Raumes. Passender wäre: Autos werden am
Straßenrand gelagert (neben einem Industriepark vielleicht).
P wie PS. „Leg mal ein paar PS zu“ soll heißen: Sei nicht so lahm. Oder
dieser Hinweis neulich an einem Fußballspieler, Tempo aufzunehmen: „Er
müsste langsam mal mehr PS auf den Rasen bringen.“ Kilowatt als
Leistungsgröße hat sich nie durchgesetzt, weder beim Automobil noch im
Dasein: „Leg mal ein paar kW zu“ sagt niemand. Automenschen denken in
Pferden, wir uns als Autos.
R wie Radautobahnen: „Die Stadt will überall diese Radautobahnen bauen!“
Beliebte Klage von automanen RadgegnerInnen. Die Widersinnigkeit erklärt
sich selbst. Noch zu erfinden wären dagegen „Auto Bike Lanes“.
R wie Reifen: Ein Fußballspieler war entscheidend ausgerutscht. Die
Lokalzeitung: „Er hatte wohl noch Sommerreifen aufgezogen.“
R wie Rollen: Etwas kommt ins Rollen, mal eine Idee, ein Projekt – oder
eine Affäre.
R wie Rückfahrt: „Von dem siehst du nur die Rückfahrscheinwerfer.“ Soll
heißen: Jemand geht oder läuft voran.
R wie Rückspiegel: „Dann droht die Gefahr im Rückspiegel.“ Sagte ein
Kommentator bei der Katar-WM. Meinte: hinten, in der Abwehr.
S wie Schleudern: Man kann argumentativ ins Schleudern kommen. Oder eine
Firma gerät in Insolvenznähe. Selbst in der Küche droht Gefahr: „Wenn dein
Kind auf einmal Muffins backen möchte, kann man schnell ins Schleudern
kommen …“ Eine Immobilienseite empfiehlt, sich beizeiten um glatte Gehwege
zu kümmern: „Damit Eigentümer nicht ins Schleudern kommen.“ Also Sch. im
Wortsinn vermeiden, damit man haftungstechnisch nicht ins Sch. gerät.
S wie Stau: Vieles kann sich stauen – Wasser, Reformen, in Deutschland für
immer die Digitalisierung. Gleichwohl ist S. einer der häufigsten im
Zusammenhang mit Autos benutzte Begriff – und das immer falsch. Alle sagen:
„Ich stecke im Stau“ oder „Da war ein langer Stau.“
Richtig wäre: Ich bin Stau, oder: Ich bin Teil eines Staus. Der Fehler
suggeriert, man wäre im überlasteten System Straße ein unschuldiges Opfer.
Nur: Wenn in den Stau alle nur hineingeraten und dann im Stau sind – wer
ist dann der Stau? Andererseits: Im Stau sind alle gleich, also ist er der
einzig gerechte Ort in Deutschland.
S wie viele andere S-Begriffe: Wir geraten manchmal „aus der Spur“ und
müssen dann „das Steuer wieder herumreißen“. Auf „Sicht fahren“ kann
helfen. Spoiler: Auch Autos haben „Spoiler“.
T wie Tanken: „Lewi hat noch ein paar Jahre im Tank.“ Hieß es bei der
Fußball-WM über den Polen Robert Lewandowski. Sollte heißen: Er wird wohl
weiterspielen. Lebensjahre kann man allerdings nicht nachtanken, weder mit
Benzin noch mit Diesel oder Strom. Beliebt auch: „Ich fahre am Wochenende
aufs Land, mal richtig Energie tanken.“
T wie TÜV: Mal wieder zum „Gesundheits-TÜV“ gehen. Gemeint ist die
Vorsorgeuntersuchung beim Doc, wo ein Check-up gemacht wird – wie in der
Werkstatt. Ärztin oder Arzt werden um baldige Reparatur gebeten.
U wie Unter die Räder geraten: Kann man auch ohne Fahrzeug mit Drogen, mit
Alkohol, durch Antriebslosigkeit oder Arbeitswut und so weiter. Hoffentlich
nicht in der Einbahnstraße, die zur Sackgasse werden kann.
Ü wie Überholen: Jemanden womit auch immer überholen, gedanklich oder mit
Taten. Dann ist man schnell auf der Überholspur des Lebens.
V wie Vermenschlichung: Autos möchten Gefährte sein statt nur Gefährt. Ihre
Frontpartien heißen Gesicht, sie haben angeblich Sex-Appeal und weibliche
Formen, oben eine Schulterlinie und statt Lichtstrahlern Augen, oft
aggressive Raubtieraugen. Der einstige Mofarowdy Friedrich Merz (siehe L
wie Leerlauf) fährt heute einen Audi Q3; im Jargon: ein Baby-SUV.
W wie Wand: Was man nicht alles „an die Wand fahren“ kann: ein Projekt,
eine Firma, eine Liebesbeziehung, das eigene Leben. Abgefahren!
Z wie Zeit: Dem Automobil verdanken wir sogar neue Zeitbegriffe. „Nur eine
Autostunde entfernt“ oder „keine fünf Autominuten weiter“. Kennt jemand
verlässliche Umrechnungstabellen? Denn zehn Autominuten, die auf der
Landstraße einer guten halben Radstunde entsprechen, sind in der Stadt oft
eher dasselbe wie eine Gehminute – wenn man die Suche nach dem Lagerplatz
mitberechnet?
Z wie Zugabe: Was haben wir vergessen?
4 Jan 2023
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[1] /Ruhestand-von-ZDF-Sportreporter/!5899280
## AUTOREN
Bernd Müllender
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