| # taz.de -- Trends in Ost- und Westdeutschland: Im Design der Moderne vereint | |
| > Die Ausstellung „Deutsches Design 1949–1989. Zwei Länder, eine | |
| > Geschichte“ macht Station in Dresden. Ost und West zeigen sich ähnlicher | |
| > als gedacht. | |
| Bild: Stereoanlage RK 5 „Sensit“, Entwurf 1967 | |
| Die Kunsthalle im Lipsiusbau der Dresdner Kunstakademie überrascht mit | |
| Ungewohntem. Hier, an der Brühlschen Terrasse ist man unwillkürlich auf | |
| bildende Kunst programmiert, und was macht dann hier die einst begehrte | |
| noble und variantenreiche Hellerau-Schrankwand aus dem Möbelprogramm der | |
| Deutschen Werkstätten MDW? | |
| Zu vertraut und teils bis heute in Gebrauch wie der Küchenmixer RG 28 sind | |
| viele der hier gezeigten 390 Exponate. Sie stammen aus vier Jahrzehnten | |
| paralleler Designentwicklung in der Bundesrepublik und der DDR bis 1989 und | |
| werden im zweiten Raum sogar räumlich gegenübergestellt. Und als gelte es, | |
| die lange auf vielen Gebieten zu beobachtende Herablassung West gegenüber | |
| vermeintlich bedeutungsloser Kunst Ost wiedergutzumachen, [1][dominiert | |
| optisch das DDR-Design.] | |
| Das Vitra Design Museum Weil am Rhein und das Kunstgewerbemuseum der | |
| Staatlichen Kunstsammlungen Dresden haben diese erste Zusammenschau | |
| gemeinsam entworfen. Bezeichnend, dass sie erst nach über 30 Jahren | |
| zustande kam. Die Dresdner Generaldirektorin Marion Ackermann merkt | |
| allerdings selbstkritisch an, dass in der späteren DDR und Anfang der | |
| 1990er Jahre sowohl in ihrem Kunstgewerbemuseum als auch im Leipziger | |
| Grassi-Museum für angewandte Kunst nicht ausreichend Design gesammelt | |
| wurde. | |
| Für drei Wochen lief die Ausstellung schon Mitte März in Weil, schlicht | |
| überschrieben „Deutsches Design 1949–1989“, kräftiger untertitelt mit �… | |
| Länder, eine Geschichte“. Selbstredend geht es um Verflechtungen und | |
| Unterschiede, „aber nicht um einen vergleichenden Ansatz“, betont Marion | |
| Ackermann. | |
| ## Werkbund und Bauhaus | |
| Die beiden Kuratorinnen Erika Pinner aus Weil und Klára Nemecková aus | |
| Dresden wählten nach Qualitätsmaßstäben aus und nutzten die Chance, | |
| Protagonistinnen und Protagonisten als Zeitzeugen noch einmal zu befragen. | |
| Der Möbeldesigner Rudolf Horn etwa besuchte am Tage vor der Vernissage die | |
| Ausstellung. | |
| Die „eine Geschichte“ auch im deutschen Design wirkte lange über die | |
| Teilung 1949 hinaus nach. Der „Prolog“ auf der Galerie des | |
| Ausstellungsgebäudes steigt mit den gemeinsamen Prägungen ein. Zu ihnen | |
| zählt der 1907 gegründete Werkbund, vor allem aber das nach dem Ersten | |
| Weltkrieg in Weimar gegründete Bauhaus, das nach seinem Umzug nach Dessau | |
| seine volle Strahlkraft mit seinen vorbildlichen Entwürfen entwickelte. | |
| Horns „Freischwinger“ aus Edelstahl und Leder und Stefan Wewerkas | |
| „Einschwinger“ lassen sich beide auf Mies van der Rohes Stuhlklassiker | |
| „Barcelona Chair“ zurückführen. Der spätere so genannte Z-Stuhl wird hier | |
| im Dresdner Foyer sogar benutzt, er ist ein deutsch-deutsches | |
| Gemeinschaftswerk. Von Ernst Moeckl in Ulm entworfen, wurde er ab 1973 in | |
| der DDR produziert. | |
| Auch beim Stapelgeschirr für Gaststätten fällt die Verwandtschaft ins Auge. | |
| Nebenbei: Eine DDR-Studentenbude war keine echte, wenn in der Küche kein | |
| selbst geklautes Mitropa-Kännchen der Reichsbahn stand. Auf frühe | |
| Unterschiede weist ein heute kurios wirkender Film aus den 1950er Jahren | |
| hin, auf die am 1.Mai getragene Mode nämlich. In der DDR ging man | |
| praktisch-proletarisch angezogen zur Maidemonstration, das westliche | |
| Filmdokument zeigt eher Eleganz oder Trachten. | |
| ## Von der SED ausgebremst | |
| Wenn man in diesem Zusammenhang an der insgesamt gelungenen Ausstellung | |
| etwas vermissen kann, dann vielleicht die legendäre Kittelschürze aus | |
| Dederon. Ob im Alltag oder am Arbeitsplatz, galt sie doch geradezu als | |
| Identifikationsmerkmal der „Ostfrau“. Kaum erklärt ist auch das legendäre | |
| Ampelmännchen von Karl Peglau, das nahezu zeitgleich mit der | |
| Ausstellungseröffnung seinen 60. Geburtstag feiert. | |
| In historischer Logik folgen drei weitere Abteilungen. Mit dem | |
| Wirtschaftswunder West und dem versuchten Sozialismusaufbau Ost erlebte das | |
| Design in beiden deutschen Staaten eine Blütezeit. Ausgerichtet war es | |
| beiderseits an der industriellen Massenproduktion und an der zunehmenden | |
| Technisierung. | |
| Mit dem Mauerbau 1961 aber nahmen neben der Abgrenzung auch die | |
| Systemunterschiede zu. In der Bundesrepublik tendierte das Design Richtung | |
| Pop, Luxus und Extravaganz, in der DDR orientierte es sich mehr an den | |
| alltäglichen Grundbedürfnissen und Fragen der sozialen Ausstattung wie dem | |
| Plattenwohnungsbau. | |
| Designer in der DDR waren dabei dem, was die Planwirtschaft hergab und was | |
| die SED-Parteiführung erlaubte, oft weit voraus. Am deutlichsten wird das | |
| ersichtlich an der bis heute wohl [2][bekanntesten DDR-Design-Legende Karl | |
| Clauss Dietel.] Seine Entwürfe für den Nachfolger des Ost-Volkswagens | |
| Trabant 601 nahmen mit dem Fließheck den VW Golf und Nachahmer vorweg. | |
| ## Protest- und Alternativkultur | |
| Umgesetzt werden durften sie nicht, und in der Ausstellung sind sie auch | |
| nicht vertreten. Wohl aber ein blaues Simson-Moped S51, nach mehr als 30 | |
| Jahren immer noch ein Kultfahrzeug von Teenies in ganz Deutschland. Auch | |
| bei Dietels Kugelboxen und anderer Heimelektronik schlägt das Ossi-Herz | |
| höher. | |
| Die dritte Abteilung nimmt dann allerdings Abschied von den Produkten des | |
| Massenkonsums. Den Glauben an sie erschütterten die Ölkrise in den 1970ern | |
| und ein neues Nachhaltigkeitsbewusstsein. Individualisierung trat hinzu, | |
| gekoppelt mit dem beiderseitigen Trend, mehr selbst zu basteln. „Drüben“ | |
| schwand die Anbetung eines Porsche 911, Birkenstock-Sandalen waren | |
| angesagt. | |
| Hübsch wäre hier eine Gegenüberstellung zu dem in Manufaktur hergestellten | |
| Melkus-Wartburg gewesen, dem Eigenbau-Rennwagen Ost. „Hüben“ tauchte | |
| therapeutisches Spielzeug von Renate Müller auf, jene archetypischen Tiere | |
| aus Sonneberg. DDR-Designer machten sich selbstständig oder verließen das | |
| Land. | |
| Ein umfangreiches Begleitprogramm empfiehlt den Besuch, unter anderem an | |
| einem rekonstruierten sprichwörtlichen Runden Tisch von 1990. | |
| Aufschlussreich dürfte ein Vergleich der Rezeptionen in Ost und West | |
| werden, denn zumindest bei DDR-Zeitgenossen darf man einen höheren | |
| Identifikationsgrad mit dem Design vor 1989 vermuten. | |
| 9 Nov 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Michael Bartsch | |
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