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# taz.de -- Saalecker Werkstätten: Design für eine andere Zukunft
> In Saaleck in Sachsen-Anhalt ist eine neue Design Akademie entstanden. In
> dem alten Gebäudekomplex arbeitete früher ein nationalsozialistischer
> Thinktank.
Bild: Die Saalecker Werkstätten mit der Brückenskulptur von Dorte Mandrup
Gut 200 Einwohner zählt Saaleck, in der Nähe von Naumburg. Die Saale
fließt gemächlich, und selbst im August spürt man, dass es im Winter sehr
einsam werden kann. Es ist ein unwahrscheinlicher Ort, den sich die Marzona
Stiftung für die Gründung ihrer Design Akademie Saaleck – kurz dieDAS –
ausgesucht hat. Seit letztem Jahr kommen junge Designer*innen aus allen
Erdteilen für einige Wochen in das entlegene Dorf. Zukünftig sollen hier
renommierte Forscher*innen als Fellows für mehrere Monate wohnen und
Projekte verwirklichen können.
Es war vor allem ein Gebäude und seine schwierige Geschichte, die den
Verleger, [1][Kunstsammler und Mäzen Egidio Marzona] an der Idee Saaleck
reizte: Die Saalecker Werkstätten. Das Architektur- und Planungsbüro war
ein wirkmächtiger Thinktank der Nationalsozialisten. Doch diese Historie
ist bisher vor Ort nicht aufgearbeitet. Das wird sich mit der Stiftung, die
das baufällige Ensemble 2018 erwarb, ändern. Als Unterstützung konnte man
das gefragte dänische Architekturbüro Dorte Mandrup gewinnen, das jüngst
Pläne für einen symbolträchtigen Umbau vorgelegt hat.
Die Saalecker Werkstätten sind eng verbunden mit der Figur Paul
Schultze-Naumburg. Der Maler und Amateurarchitekt war 1901 nach Saaleck
gezogen und gründete dort das Planungsbüro, das von 1904 bis zur Schließung
1930 die Bereiche Architektur, Inneneinrichtung und Gartengestaltung
abdeckte.
## Zwischen Lebensreform und NS-Ideologie
Schultze-Naumburg war Nationalsozialist. Nach dem Ersten Weltkrieg agierte
er als Hauptfigur in den völkisch gesinnten, antisemitisch ausgerichteten
Vereinen „Der Block“, „Kampfbund für Deutsche Kultur“ und „Kampfbund
Deutscher Architekten und Ingenieure“. Trauriger Höhepunkt ist seine 1928
veröffentlichte Schrift „Kunst und Rasse“. Schultze-Naumburg hielt
unentwegt Vorträge – in überfüllten Sälen. Die Unterstützung der Nazis in
der „Kampfzeit“, also vor 1933, sollte ihm unter Hitler große Ehren
einbringen.
Und doch lässt sich seine Geschichte nicht nur schwarz-weiß zeichnen. Als
Gründungsmitglied des Werkbundes 1907 hatte er mit den wichtigsten
Reformarchitekten seiner Zeit zusammengearbeitet. Den „Dekorationswahnsinn“
eines ausufernden Historismus lehnte er – wie später die Modernisten – ab.
Er war Herausgeber der Kulturarbeiten. Die handlichen, hochwertig
gedruckten Bände konnte man über Jahrzehnte in jedem bürgerlichen Haushalt
finden, ihre Wirkung, so der Architekturhistoriker Julius Posener, könne
„kaum überschätzt“ werden.
Besonders irritiert, dass sich Schultze-Naumburg als treibende Kraft im
Heimatschutz-Bund gegen durch die Industrialisierung verursachte
Umweltzerstörung einsetzte: Der Siegeszug der Technik zeige, „daß das so
maßlos erleichterte Leben auf der entstellten Erde nicht mehr lebenswert
ist, daß wir zwar alles an uns gerissen haben, was unser Planet herzugeben
hatte, daß wir aber bei dieser Wühlarbeit ihn und damit uns selbst zerstört
haben.“
Dieser Satz aus dem Jahr 1904 lässt sich problemlos auf extraktivistische
Praktiken des neokolonialen Kapitalismus unserer Zeit ummünzen. Dem
Kunsthistoriker Norbert Borrmann zufolge war für Schultze-Naumburg „die
Rassenfrage der Schlüssel zur Weltgeschichte, mit deren Hilfe er sich alle
Probleme einer sich rasch wandelnden Zeit erklärte.“ Da der Mensch die
Umweltzerstörung selbst verursachte, musste dieser „entartet“ sein; die
Lösung könne nur eine „reinrassige“ Gesellschaft bringen.
Die von Schultze-Naumburg selbst entworfene Architektur der Saalecker
Werkstätten steht für diese schwierige Gemengelage: Das nach Gutsherrenart
errichtete, mehrfach erweiterte Haupthaus besitzt Mansarddach und
Ecktürmchen, ein Torhaus mit Rundbogen markiert den Eingang, auch
Stallungen durften nicht fehlen. Einen wichtigen Teil nahmen die Garten-
und Außenanlagen ein. Von dem nah an einem Steilhang gelegenen Grundstück
hat man eine erhabene Sicht über das Saaletal. Für Borrmann ist das
Ensemble Ausdruck einer „ländlich-natürlichen, patriarchalisch geordneten
Lebensart“.
## Internationale Stipendiaten
„Architektur und Ausrichtung der Saalecker Werkstätten machen viele
Widersprüchlichkeiten in den Lebensreformbewegungen um 1900
offensichtlich“, meint Maurizio Montalti. Der Designer organisiert für
dieDAS als künstlerischer Leiter im Juli und August 2021 zum zweiten Mal
eine Summer School.
Die jungen Stipendiaten arbeiten in den Disziplinen Architektur, Gestaltung
und Handwerk, sie kommen aus Indien, Italien, Chile und den USA. Die
Aufgabenstellung heißt „Symbiotic Habitat“, Resultat ist eine Struktur für
menschliche und nicht menschliche Lebewesen.
Montaltis Vision ist eine Architektur aus Pilzgeflechten. Er experimentiert
seit Jahren mit Biotechnologien und ist einer der spannendsten Pioniere in
der Erforschung Myzelien-basierter Baustoffe. Diese gelten als
Hoffnungsträger einer ökologischen Wende in der Baubranche, die für gut 40
Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich ist.
## Eine sichtbare neue Zeit
DieDAS will politischen Diskursen und der transdisziplinären Beschäftigung
mit ökologischen Themen eine Plattform bieten. Thematisch ist man damit von
der Grundidee der Saalecker Werkstätten gar nicht so weit entfernt,
inhaltlich könnte die Ausrichtung freilich größer nicht sein.
„Vorstellungen eines nachhaltigen – naturnahen – Lebens kippten bei
Schultze-Naumburg in reaktionäres Denken um“, so Montalti. „Die kritische
Auseinandersetzung mit dieser Entwicklung ist für Fragen unserer Gegenwart
relevant.“
Auf dem Hügel über den Werkstätten thront die Burg Saaleck. 1922 bot der
Burgherr, Mitglied der rechtsextremen Organisation Consul, den Mördern von
Außenminister Walter Rathenau hier Zuflucht, wo sie bei einer dramatischen
Polizeiaktion ums Leben kamen. Noch heute werden zu ihren Ehren Kränze
niedergelegt. Die politische Rechte war und ist in der Region stark
verankert. Die AfD ist zweitstärkste Kraft.
Wie reaktiviert man einen Ort wie die Saalecker Werkstätten? „Die Idee
einer originalgetreuen Wiederherstellung war für uns keine Option“, sagt
Arne Cornelius Wasmuth, Gründungsdirektor der Marzona Stiftung. „Es braucht
eine sichtbare neue Zeitschicht, ein Statement, das sich dezidiert zu
demokratischen Werten bekennt.“ Mit Dorte Mandrup fand man dafür den
richtigen Partner.
[2][Das dänische Büro, das derzeit auch den Bau des Exilmuseums in Berlin]
verantwortet, hat einen Masterplan für die Sanierung und Umnutzung
erstellt. Baubeginn ist Ende 2022. Die architektonische Intervention sieht
den Neubau des in desolatem Zustand befindlichen Südostflügels als
transparente Holzkonstruktion vor. Hier wird ein Dokumentationszentrum
eingerichtet.
Eine spiralförmige „Infinity Bridge“ aus Stahl soll den Höhenunterschied
zwischen Haupthaus und dem sogenannten Haus des Architekten ausgleichen
sowie als weithin sichtbares Signet der Transformation dienen. Die Räume
der Gebäude werden saniert und in Arbeits-, Veranstaltungs-, und Wohnräume
transformiert.
Historische Zeitschichten und neue Hinzufügungen sollen sich überlagern und
Brüche nachvollziehbar machen. Für die Architektin Dorte Mandrup geht es
darum, das „sehr unbequeme Denkmal zurückzuerobern und mit neuen Werten und
Inhalten zu füllen.“ Auch während der laufenden Baumaßnahmen wird dieDAS
sich mit Sommer Schools, Workshops und Veranstaltungen dieser Aufgabe
annehmen.
2 Sep 2021
## LINKS
[1] /Archiv-Suche/!388376&s=Egidio+Marzona&SuchRahmen=Print/
[2] /Geplantes-Exilmuseum-in-Berlin/!5720557
## AUTOREN
Alexander Stumm
## TAGS
Geschichte
Schwerpunkt Nationalsozialismus
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Architektur
Design
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