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# taz.de -- Kulturlandschaft Thüringen: Zeugnisse von Zeit und Verfall
> Das Schwarzatal in Thüringen ist mehr als eine Sommerfrische. Schloss
> Schwarzburg soll zum Zentrum für Demokratie und Geschichte werden.
Bild: Ausschnitt aus eine Lithografie von 1880, Blick in das Schwarzatal und au…
Etwa sechzig Kilometer von Erfurt entfernt erstreckt sich das malerische
Schwarzatal. Umgeben von moosbewachsenem Schiefergestein und Nadelwald, die
Ufer der Schwarza säumend, reihen sich Fachwerkhäuser aneinander – einige
DDR-Bausünden sind ebenfalls zu entdecken. Einst erfreute sich das Tal
großer Beliebtheit, als Kur- und Erholungsort für gestresste
GroßstädterInnen. „Sommerfrische“ genannt, fand dieser „erholungsaufent…
der städter auf dem lande zur sommerzeit“ bereits im Wörterbuch der Brüder
Grimm Erwähnung.
Vom Glanz vergangener Tage – deren Hochzeit vom späten 19. Jahrhundert bis
zur Wende reichte – ist nur mehr wenig zu sehen, viele der einst prächtigen
Sommerfrische-Häuser liegen heute verlassen da. Und doch, die pittoreske
Landschaft des Schwarzatals lässt erahnen, warum es einst, bevor offene
Grenzen und Billigflüge das Fernweh heilten, so viele StädterInnen hierher
zog.
In der DDR habe die Region oft mehr BesucherInnen als EinwohnerInnen
gehabt, weiß Gerd Eberhardt, Mitarbeiter im [1][Fröbel-Museum in Bad
Blankenburg]. Der Namensgeber des Museums ist eines der Aushängeschilder
der Region: 1840 gründete Friedrich Fröbel hier den ersten Kindergarten.
Ein Zeitgenosse Fröbels wusste schon früh um die Schönheit dieses Fleckchen
Erde. In einem Brief an Charlotte von Stein 1781, lobt Goethe den
„fürtreffliche[n] Weeg der Schwarze nach, durch ein tiefes Thal zwischen
Fels und Wald Wänden“.
## Der Reichspräsident in den Ferien
Zwischen diesen Felsen und Waldwänden verläuft heute die Eisenbahnstrecke,
deren Bau zum touristischen Aufschwung der Gegend führte. An ihr entlang
reihen sich Orte mit klangvollen Namen wie Obstfelderschmiede,
Meuselbach-Schwarzmühle und Katzhütte.
In die Geschichte eingegangen ist vor allem einer von ihnen: Schwarzburg,
benannt nach dem Schloss, das als verfallenes Wahrzeichen auf einem Hügel
thronend nun zum zentralen Denkort für Demokratie werden soll. Den Anlass
hierfür gibt ein Ereignis, das ziemlich genau 100 Jahre zurückliegt: die
[2][Unterzeichnung der Weimarer Verfassung] durch den damaligen
Reichspräsidenten Friedrich Ebert.
Während seines Ferienaufenthaltes mit der Familie speiste er im „Weißen
Hirsch“, schlenderte die Schlosspromenade entlang, genoss die Aussicht und
legte am 11. August 1919 mit seiner Unterschrift den Grundstein für ein
demokratisches Deutschland. Die genaue Stätte dieser denkwürdigen
Unterzeichnung ist nicht dokumentiert – der Repräsentationsbau des Ortes,
Schloss Schwarzburg, war es jedenfalls nicht.
## Förderverein Schloss Schwarzburg
Hier lebten nach wie vor der ehemalige Fürst Günther Victor von
Schwarzburg-Rudolstadt, der als letzter Bundesfürst dem Thron entsagte, und
seine Frau Anna Luise. Obwohl kein direkter Zusammenhang zwischen Schloss
Schwarzburg und der Weimarer Verfassung besteht, möchte man das Schloss
künftig als Raum für Diskussionen und auch Streitereien nutzen, so
beschreibt es Michael Baum, Vorsitzender des [3][Fördervereins Schloss
Schwarzburg] auf einer Aufnahme, die durch die Schlossbaustelle führt. Über
die Erhaltung von Demokratie und deren Gestaltung solle hier zukünftig
nachgedacht und diskutiert werden.
Der Weg bis dahin ist ein weiter: Von der ehemaligen Pracht des
Fürstensitzes ist nicht mehr viel übrig. Nachdem die Nationalsozialisten
1940 das gesamte Schloss für den Bau eines Reichsgästehauses entkernten,
stand es die letzten Jahrzehnte leer. An den Wänden lassen sich noch
Ornamente erahnen, in wenigen Räumen ist Stuck aus verschiedenen Epochen
erhalten geblieben. Verewigungen jugendlicher BesucherInnen, die es in der
Zeit nach Kriegsende heimlich auf die offengelassene Baustelle trieb,
zieren zudem die Wände.
Die meisten dieser Zeugnisse von Zeit und Verfall sollen bei der Sanierung
bestehen bleiben. Statt das gesamte Schlossensemble zu rekonstruieren, wie
es in Berlin zu großen Teilen gerade mit dem Stadtschloss geschieht, soll
hier der noch vorhandene barocke Bestand konserviert und baulich nur so
weit ergänzt werden, dass eine Nutzung wieder möglich wird.
## Künstlerresidenzen
Bei einem Ideenwettbewerb der Thüringer Schlösser und Gärten 2012 setzte
sich der Entwurf des Architektenbüros Tectum durch, der mit den
Schlüsselbegriffen Kontinuität, Hinzufügung und Palimpsest neue
Ideenansätze für die Gestaltung und Nutzung des Schlossgebäudes bringt. So
sollen im Dachgeschoss Arbeitsräume für Künstlerresidenzen entstehen,
vergleichbar mit denen in der Villa Massimo in Rom oder dem
brandenburgischem Schloss Wiepersdorf.
Die Hoffnung ist, dadurch das Schwarzatal wieder zu einem Ort öffentlichen
Interesses zu machen. „Wir möchten Ansätze finden, aus denen heraus es sich
für Menschen lohnt, in einer Region zu bleiben, in sie zu Besuch zu kommen,
und wenn sie nur zur Sommerfrische kommen“, sagt Martina Doehler-Behzadi,
Geschäftsführerin der Internationalen Bauausstellung (IBA), die den
Audiowalk gemeinsam mit der Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten durch
die aktuelle Schlossbaustelle mitorganisiert.
## Zukunftswerkstatt Schwarzatal
Die Sommerfrische im Schwarzatal wiederzubeleben, ist Ziel der IBA
Thüringen und ihrer Partner. Einer davon ist der Verein
[4][Zukunftswerkstatt Schwarzatal] – Mitinitiator des „Tags der
Sommerfrische“, der am 25. August zum fünften Mal in Folge der Gegend neues
Leben einhauchte. Neben Diskussionen, Führungen und organisierten
Wanderungen galt die eigentliche Aufmerksamkeit den geöffneten,
größtenteils leer stehenden Sommerfrische-Häusern. Die wunderschönen
Fachwerkgebäude mit Holzbalkonen sind im Schwarzatal noch beinahe in jedem
Dorf zu entdecken.
Einige von ihnen – wie das Haus Bräutigam – wurden in der DDR mit der
sogenannten „Sauerkrautplatte“ notdürftig gedämmt. Das sich darunter
befindende Fachwerk haben Jessica Christoph und ihre Kollegen – allesamt
Architekten der Bauhaus-Uni Weimar – an einer Stelle wieder freigelegt.
## Stadt- statt Landflucht
Mit Kind und Kegel sind sie an diesem Wochenende angereist, um
Interessierten ihr Projekt vorzustellen. Statt ein Haus auf dem Land nur
mehr für Urlaubszwecke zu nutzen, möchten sie hier versuchen, Arbeit und
Freizeit zu kombinieren. Flexibles Arbeiten in wildromantischer Idylle –
Stadt- statt Landflucht sozusagen.
Die Gruppe um Jessica Christoph und ihrem Lebensgefährten Henning Michelsen
fällt auf an diesem Tag der Sommerfrische – sie bringen frischen Wind und
neue Hoffnung ins Tal. Denn seit der Wende ist von den Glanzzeiten des
einstigen FDGB-Tourismus nichts mehr zu spüren. Die Jungen verlassen das
Tal, die Alten werden immer älter und fühlen sich abgehängt.
## Räume für den Dialog
Das mag auch eine Erklärung für die Wahl- und Umfrageergebnisse im
Landkreis Saalfeld-Rudolstadt sein, dem das Schwarzatal zugehört. Bei der
Europawahl im Mai belegte die AfD hier mit 27,6 Prozent den ersten Platz.
Was das für die Landtagswahl am 27. Oktober bedeutet, lässt sich nur
erahnen. Bei der aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Insa für
das gesamte Bundesland erreicht die AfD mit 21 Prozent immerhin Platz drei,
nach der Linken (26 Prozent) und der CDU (24 Prozent).
Statt darüber hinwegzusehen, gibt man sich im Schwarzatal Mühe, in einen
Dialog miteinander zu treten – Räume wie der Denkort der Demokratie auf
Schloss Schwarzburg sollen dabei helfen. Für die Menschen hier bleibt der
ehemalige Fürstensitz das Sinnbild einer glanzvolleren Zeit, an deren
Erfolg sich vielleicht nicht direkt anknüpfen lässt, deren Erinnerungen
aber Inspiration für Neues geben mögen.
4 Sep 2019
## LINKS
[1] /Archiv-Suche/!240146&s=Bad+Blankenburg&SuchRahmen=Print/
[2] /Buecher-ueber-Weimarer-Reichsverfassung/!5561673
[3] http://www.schloss-schwarzburg.de/foerderverein/
[4] https://www.bundesstiftung-baukultur.de/netzwerkeintrag/zukunftswerkstatt-s…
## AUTOREN
Sophia Zessnik
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