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# taz.de -- Touristen in Thüringen: Die größte Vase der Welt
> Die Leuchtenburg braucht Superlative, wenn sie bestehen will: Sie muss
> Besucher anlocken, etwa mit der kleinsten Teekanne der Welt.
Bild: Ein Stück der größten Vase der Welt
Etwas Großartiges muss es sein. Das Größte und das Kleinste muss es sein.
„Die größte Vase, die kleinste Kanne – so in der Art.“ Wer das sagte? E…
aus dem Trio, das die Leuchtenburg, oben auf dem 395 Meter hohen
Lichtenberg zwischen Seitenroda und Kahla in Thüringen gelegen, im Jahr
2007 zu einer Stiftung gemacht hatte.
Die Versteigerung der Burg war schon anberaumt gewesen, als die Stiftung
ihr Interesse anmeldete. Das schier Unmögliche gelang: Die Auktion wurde
abgesagt. So konnte die Burg dem Zugriff des neuen Geldadels entrissen
werden.
Nur, nachdem klar war, die [1][Leuchtenburg] wird kein Nobelhotel, keine
Schönheitsfarm, kein Landsitz eines Neureichen, musste trotzdem ein
Finanzierungskonzept her, damit verhindert wird, dass die Burg zur Ruine
verkommt. „Uns war klar, irgendwie musste sie profitabel werden“, sagt
Ulrike Kaiser, Museumsleiterin auf der Burg ist sie.
Seither tut die Stiftung, die die Burg öffentlich zugänglich halten und
sanieren will, größtenteils auch saniert hat, alles, um Leute anzulocken,
damit die mittelalterliche Anlage, 1221 erstmals erwähnt, sich finanziell
trägt. Gelockt wird mit Gastronomie, einer Porzellanausstellung, etwas
Gruselgefühl, einem fantastischen Ausblick über die weiche Thüringer
Berglandschaft, einem Steg, von dem aus man Porzellan zerschlagen kann,
weil Scherben Glück bringen, und mit zwei Superlativen, dem Größten, dem
Kleinsten. Kaiser, die Museumsleiterin, zählt alles schwungvoll auf. Das
war im September vor dem zweiten Lockdown.
## „Da, die Leuchtenburg“
Die Leuchtenburg hat eine wechselvolle Geschichte; Ritter- und Minnemystik
allerdings fehlen. Meist war sie in den tausend Jahren ihres Bestehens
Amtssitz, später auch Armenhaus, „Irrenhaus“, Zuchthaus. Ab Ende des 19.
Jahrhunderts wurde sie touristisch genutzt, bis die baulichen Zustände auch
das nicht mehr zuließen. Als potenzielles Internierungslager für
Staatsfeinde der DDR wurde sie allerdings noch vorgehalten.
Nach der Wende aber war die Burg vor allem das: ein ruinöses Objekt unter
Denkmalschutz und Orientierungspunkt für die Einheimischen: „Da, die
Leuchtenburg“, sagen sie unten im Tal, nicken und zeigen mit ausgestrecktem
Arm nach oben.
Im Jahr 2007 wurde die Burg ins Stiftungsvermögen überführt, wurden
Sanierungsgelder akquiriert und sich der Kopf zerbrochen, welche Kultur
dort stattfinden kann. Die Museumsleiterin erinnert sich, als sie im Vorhof
sitzt und die Aussicht genießt über die Thüringer Hügel und Wälder bis hin
zur Plattenbaustadt Jena-Lobeda, die von Weitem selbst wie eine massige
Befestigungsanlage wirkt, dass kurz angedacht wurde, ob passend zur
Burggeschichte nicht ein Gefängnismuseum eine Superattraktion wäre. Dann
entschied sich die Stiftung doch fürs Schöne. Das Schöne ist Porzellan.
400 Porzellanmanufakturen gab es im 19. Jahrhundert in Thüringen. Rund um
die Leuchtenburg konzentrieren sie sich bis heute. Das kaolin- und
quarzhaltige Gestein in der Region wird für die Porzellanherstellung
gebraucht. Das hat die Entwicklung befördert. „Porzellan, das ist ein
Flächenthema“, sagt Kaiser.
Allerdings, auch eine Dauerausstellung über Porzellan werde kaum reichen,
um finanziell auf die sichere Seite zu kommen, so die Vermutung.
Superlative müssen es richten. Mit Rekorden muss geworben werden. Und weil
das schon mal so dahergesagt war, blieb es dabei: die größte Vase, die
kleinste Teekanne. Nicht zu vergessen: der Welt. Und ja, sie stehen jetzt
in der Leuchtenburg. Die eine in einem fast zehn Meter hohen Gewölbe. Die
andere in einem Glaskasten mit einer Lupe davor.
Die Teekanne ist weniger Kunstwerk als technisches Meisterwerk. Drei mal
vier mal vier Millimeter groß, mit Tülle, Henkel und Deckel – befüllbar,
theoretisch. Weil die Oberflächenspannung eines Wassertropfens zu groß ist,
geht da aber nichts rein. Ein Blick durch die Lupe. Fürs große Staunen ist
es zu klein.
Mehr Aufmerksamkeit zieht die Vase auf sich. Schon aufgrund ihrer Größe:
Acht Meter hoch ist sie. Goldglänzend, kobaltblau glitzernd dreht sie sich
in changierendem Licht, das in zehn Minuten den Sonnenaufgang bis
-untergang simuliert. Auf Treppenstufen sitzend, geben sich die
Betrachtenden der hypnotisierenden Wirkung hin. Denn durch die Gestaltung
der Vase entsteht beim langsamen Rotieren der Eindruck einer sich
ununterbrochen drehenden Spirale, die wie ein Eingang in die Unendlichkeit
ist.
Die Vase, erzählt der Künstler Alim Pasht-Han, der das Objekt gemacht hat
und es lieber „Kapsel“ nennt, sei nicht nur eine künstlerische, es sei auch
eine technische Herausforderung gewesen. Denn es musste verhindert werden,
dass das Gewicht von oben alles unten zerdrückt. Glattes Porzellan wäre
nicht gegangen. Er habe Systeme in der Natur studiert, die ähnliche
Anforderungen erfüllen, die hoch und stabil sind, Schachtelhalm,
Sonnenblumen, Bienenwaben. So sei er auf das Hexagon gekommen. Um die
Stabilität zu garantieren, besteht die Vase aus 360 Sechsecken, weil diese
die Kraft, die von oben auf sie drückt, in alle Richtungen ableiten.
## Spiralig wirkt die Vase
Und spiralig wirkt die Vase, weil sie sich nach oben hin verschlankt und
die einzelnen Waben kleiner werden. Wäre, sagt Pasht-Han, auch nur ein
Millimeter falsch berechnet gewesen, alles wäre umsonst. Er könne nichts
versprechen, aber er versuche es, habe er gesagt, als er gefragt wurde, ob
er’s macht. Drei Jahre hat die Herstellung gedauert, ein sechsstelliger
Euro-Betrag wurde dabei verschlungen. In der Burgschänke sitzt der Künstler
und erzählt das alles.
Alim Pasht-Han kommt aus einer Künstlerfamilie, ist Tscherkesse mit
russischem Pass, 1972 geboren. In Russland hat er Grafik studiert, in
Deutschland Bildhauerei. Auch mit Porzellan hat er gearbeitet, hat
großformatige Objekte aus diesem harten Material gefertigt. Obwohl der
Ansatz der Vase eher marketingtechnisch gewesen sei, lohne es sich für ihn
nur, „wenn da Ideen sind“, sagt er. Seine Idee: dass etwas nach oben führt.
Vom Stein zum Menschen zum Kosmos. Vom Anorganischen zum Organischen zum
Metaphysischen. „Arura“ nennt er die Vase. Ar u Ra – von der Erde zur
Sonne.
Diese Entwicklung hat er in die Vase hineingezeichnet. Jedes Hexagon stellt
etwas dar. In den unteren Modulen sind Abbildungen von Mineralien, die sich
über Einzeller zu komplexeren Organismen entwickeln – erst im Wasser, dann
an Land. Und weiter zu den Insekten, den Vögeln, den Säugetieren, dem
Menschen, dem Kosmos. Die Vase ist eine Zeitkapsel, in die die Evolution
eingebrannt ist. „Wo kommen wir her, wo gehen wir hin?“, fragt Pasht-Han.
In der Vase sei nichts abgebildet, was vom Menschen geschaffen wurde. „Bei
der industriellen Evolution hat sich die Technik entwickelt, nicht der
Mensch.“
Manchmal habe er für ein Modul zehn Wochen gebraucht, manchmal zehn Module
an einem Tag gemacht. Weil beim Brennen viel kaputtgeht, hat er doppelt so
viele bemalt. Mindestens. Anfangs sei es wie eine Verzweiflung gewesen.
Aber dann wie Energie, die fließt, erzählt er. Die Vase ist sein
Vermächtnis. Deshalb verwirft er die Frage, ob Porzellan der Ruch anhänge,
mehr Handwerk als Kunst zu sein. „Kunst ist immer Handwerk“, sagt er.
„Dürers Kupferstich ist Handwerk, Michelangelos David ist Handwerk,
Handwerk muss helfen, die Idee darzustellen.“
Und was ist mit der Inszenierung? Dem Licht, dem Gold, dem Kobaltblau? Dem
Gewölbe, der Drehung? Gold sei die Sonne, die Farbe sei das Universum, sagt
er. Alles gehe mit allem zusammen. Und was ist mit dem Guinnessbuch der
Rekorde? „Das interessiert mich nicht.“
Später, viel später, in fünftausend Jahren vielleicht, wenn alles, was
heute ist, vergangen ist, zugedeckt von kosmischem Staub, werden
Archäologen unzählige Scherben ausgraben auf einem Berg mit den
Koordinaten: 50° 48′ 14″ N, 11° 36′ 44″ O. Breitengrad, Längengrad.
Scherben aus Porzellan – dem dichtesten und dauerhaftesten Material.
## Kapsel oder Phallus?
In mühevoller Detailarbeit werden sie die Scherben zusammensetzen. Eine
riesige Vase könnte es sein, sagen einige, acht Meter hoch. Andere werden
es Kapsel nennen. Wieder andere werden darin den Phallus erkennen, denn es
sei das Zeitalter der patriarchalen Ungleichheit gewesen.
Dass es sich um einen Kultgegenstand handelt, darin sind sich alle einig.
In den Scherben sind Tiere, Pflanzen und Menschen abgebildet. Die Anbetung
des Lebens, so die Vermutung. Dass da auch dem Superlativ gehuldigt wurde,
darauf werden sie nicht kommen.
29 Nov 2020
## LINKS
[1] https://www.leuchtenburg.de/english.html
## AUTOREN
Waltraud Schwab
## TAGS
Thüringen
Bildende Kunst
Tourismus
Schwerpunkt Thüringen
Reiseland Deutschland
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