# taz.de -- Stadt der Glasbläser: Da tut sich was | |
> Wie das Städtchen Lauscha im Thüringer Wald gegen den Bevölkerungsschwund | |
> kämpft. Ein Gang durch die Hauptstraße. | |
Bild: Auch der Metzger ist weg | |
Stolze 3,6 Kilometer lang ist die Hauptstraße von Lauscha, der | |
Glasbläserstadt. Von Neuhaus am Rennweg kommend geht’s hinab ins Kerbtal, | |
in die lang gestreckte Talsohle. An den Hängen rechts und links hocken | |
Häuser, die Fassaden mit dunkelgrauem Schiefer gedeckt. Der kommt aus | |
Steinach, dem Nachbarort am Ende des Tals, und ist im Thüringer Wald | |
verbreitet. | |
500 Meter die Straße hinab hat Fenja Lüderitz ein großes Haus gekauft. Die | |
27-Jährige aus Berlin ist vor sieben Jahren nach Lauscha gekommen, um sich | |
an der Berufsfachschule zur Glasbläserin ausbilden zu lassen. Sie hat | |
gelernt, über einer Gasflamme aus Glasröhren Christbaumschmuck zu blasen | |
und aus Glasstäben filigrane Gebilde zu gestalten. Gemeinsam mit ihrem | |
Partner Anton Müller-Löb, der aus dem Ort kommt, lernte sie anschließend | |
auch das Glasmacherhandwerk. Dabei nimmt man tropfenweise 1.400 Grad | |
Celsius heißes, flüssiges Glas aus einem Ofen und gestaltet daraus | |
dickwandige Vasen, Schüssel und Lampenschirme. Ihre Glaskunstwerke | |
verkaufen die beiden auf Märkten in Deutschland. | |
Lüderitz, lange Rastas, spricht Lauschner Dialekt und fühlt sich wohl im | |
Ort. Die großzügigen Zimmer im sanierungsbedürftigen Haus möchte sie zum | |
kleinen Preis an Glasfachschüler vermieten. „Das wäre mein Traum“, sagt s… | |
und stapft durch das Zimmer, in dem sie mit Freunden für einen Kasten Bier | |
den Bodenbelag abgekratzt hat. Die Fenster hat sie schon ersetzen lassen. | |
Die Kachelöfen bleiben. | |
Als sie nach Lauscha kam, sei sie schnell aufgenommen worden, erzählt sie. | |
Zwar klinge man hier schroff, weil die Lauschner direkt formulierten, aber | |
„jeder macht auf, wenn jemand Hilfe braucht“. | |
## Heimproduktion „vor der Lampe“ | |
In der langen Hauptstraße stehen zwei Glashütten mit Parkplätzen für die | |
Reisebusse der Tagestouristen. Aus solchen Hütten hat sich Lauscha um 1600 | |
entwickelt. Als 150 Jahre später die Arbeit dort weniger wurde, begann die | |
Heimproduktion „vor der Lampe“, wie es genannt wird. In Heimarbeit wurde | |
1847 der gläserne Weihnachtsbaumschmuck erfunden, Lauscha wurde berühmt. In | |
manchen Gebäuden – Lüderitz’ zum Beispiel – gibt es noch heute abgetren… | |
Erker, die für diese Heimarbeit gebaut wurden. Andere nutzen dafür ihre | |
Ladengeschäfte. | |
Von diesen Geschäften steht inzwischen jedes zweite leer. Dann wirkt das | |
Haus verlassen, selbst wenn die Inhaber in den Etagen darüber leben. Viele | |
möchten die Ladenfläche weder vermieten noch dekorieren. Aber es gibt auch | |
Gegenbeispiele wie das Geschäft, das Jan Enno Jürgens eröffnet hat und in | |
dem er von außen gut sichtbar über dem Gasbrenner an einer Glasbrosche | |
arbeitet. | |
Jürgens kommt ursprünglich aus Lüneburg. Auch ihn brachte die | |
Glasfachschule in den Ort, die Liebe hielt ihn. Er und seine Freundin | |
vermissen in Lauscha zwei Dinge. Einen Ort für junge Leute jenseits der | |
Gasthäuser und der nur tagsüber geöffneten Glashütten-Cafés. Und: „einen | |
Supermarkt!“ | |
„Einen Supermarkt werden wir wohl nicht herbekommen“, sagt Bürgermeister | |
Christian Müller-Deck noch mal 500 Meter weiter. Der letzte Supermarkt | |
wurde geschlossen, als in Lauscha monatelang die Hauptstraße erneuert wurde | |
und er dadurch am Ende einer Sackgasse lag. Die Straße ist wieder geöffnet. | |
Der Supermarkt blieb weg. | |
Müller-Deck sagt, er sei im Gespräch und könne sich auch ein Geschäft ohne | |
Bedienung vorstellen. Eine Einkaufsmöglichkeit wäre für Einheimische wie | |
Touristen sinnvoll. Der nächste Supermarkt liegt im Nachbarort Neuhaus am | |
Rennweg – einen halben Kilometer Waldweg entfernt, tagsüber auch mit Bus | |
und Zug erreichbar. | |
Müller-Deck sitzt seit gut einem Jahr im Rathaus. Er war | |
Bürgermeisterkandidat für die Lauschner Liste und hat sich im ersten Anlauf | |
durchgesetzt. Eine seiner ersten Maßnahmen war die Wiedereröffnung der | |
öffentlichen Toilette in der Stadtmitte, eine andere, die Grünflächen auf | |
städtischem Grund wieder pflegen zu lassen. „Erst wenn ich die Beete vor | |
dem Rathaus schön gestalte, kann ich es auch von den Nachbarn erwarten“, | |
findet er. Mit den Nachbarorten ist er im Gespräch, um sich touristisch | |
gemeinsam zu vermarkten – ein Novum in der eigenbrötlerischen Bergregion. | |
Stefan Böhm-Wirth ist einer, der diese Maßnahmen unterstützt. Auch er ist | |
Teil der Lauschner Liste und des Stadtrats, außerdem leitet er den 146 | |
Personen starken Lauschaer Carnevalverein. Der hat Räume im Kulturhaus in | |
Nutzungspacht. Die Mitglieder nutzen sie als Lager und für die Auftritte. | |
Zugleich kümmern sie sich um den Erhalt des Gebäudes: Sie haben den | |
Brandschutz und die Vorhänge erneuert, eine Industriespülstrecke angebracht | |
und die Kühltechnik an der Theke saniert. | |
Böhm-Wirth, verheiratet, zwei Kinder, ist Banker. Mit Anfang 30 kam er | |
„wieder fest“ in die Stadt zurück, wie er sagt. Für Familien sei hier all… | |
vorhanden: Kindergarten und Grundschule und die „gefühlte Sicherheit“ des | |
dörflichen Gemeinschaftswesens. | |
Vor Ort gibt es sogar Arbeit, bei Fiber-Glas, zum Beispiel. Das Unternehmen | |
stellt Glasfaser her – gar nicht so weit weg vom „Feenhaar“, das auch hier | |
erfunden wurde – und war mit 75,8 Millionen Euro im Jahr 2022 das | |
umsatzstärkste im Ort. | |
Weniger umsatzstark die als „immaterielles Kulturerbe“ geadelte Glaskunst, | |
aber ihr Ruhm strahlt aus. Für Rachel van Liere aus Virginia (USA) war er | |
der Grund, die Stadt zu besuchen. Inzwischen arbeitet sie als Glasmacherin | |
und ist „Lauschaer Glasprinzessin“. „Ich bin für Lauscha gemacht“, sag… | |
33-Jährige. Im Wirtshaus wird sie mit Handschlag gegrüßt. | |
Wie van Liere ziehen auch andere Menschen in die Stadt, weil sie die | |
Eigenheit des Ortes schätzen, die „Drachenhaut“ des Schiefers mögen oder | |
eine neue Heimstatt suchen – wie das niederländische Paar, das jüngst drei | |
Ferienwohnungen zurechtgemacht hat und vermietet. Laut der Immobilienfirma | |
Engel & Völkers liegt der Quadratmeterpreis in Thüringen mit 1.631 Euro | |
schon niedrig, in Lauscha liegt er bei 1.099 Euro. | |
## 20 Geburten pro Jahr | |
Zuzug ist wichtig für Lauschau, denn die Bevölkerung im Ort geht zurück. | |
Waren es 1995 noch 4.459 Einwohnern, ist man inzwischen bei 3.130. „Es | |
sterben im Jahr zwischen 70 und 80 und wir haben nur 20 Geburten im Schnitt | |
pro Jahr“, erklärt Bürgermeister Müller-Deck. Man kann sich ausrechnen, | |
wann der Ort weniger als 3.000 Einwohner hat – die Marke, ab der man in | |
Thüringen keinen hauptamtlichen Bürgermeister mehr wählen darf. | |
Fast in der Mitte der langen Hauptstraße steht ein großes Backsteingebäude: | |
die frühere Goetheschule. Es wird seit 2014 vom Verein Kulturkollektiv | |
Goetheschule instand gehalten und genutzt. Hier gibt es Rockkonzerte, | |
Proberäume sowie eine Künstlerresidenz. Jedes Jahr werden fünf Künstler in | |
den Ort eingeladen – viele bleiben Lauscha verbunden. | |
Von der Goetheschule aus geht es am Bahnhof und der Glasfachschule vorbei | |
nach Unterlauscha. Kurz vor dem Ortsausgang ist die Abbiegung zum | |
Erlebnisbad Lauscha. Auch das gibt es nur aufgrund von ehrenamtlichem | |
Engagement: Als die Stadt das Bad aus Kostengründen schließen wollte, | |
gründete sich der Schwimmbadförderverein. Die Mitglieder halten die Anlage | |
in Schuss, sitzen an der Kasse und servieren am Imbiss. Dafür erhalten sie | |
freien Eintritt. Der Förderverein zählt zu den größten der 33 Vereine am | |
Ort. Die Vereine haben vor eineinhalb Jahren einen Stammtisch gegründet. | |
Dort sprechen sie Termine ab und bieten einander Unterstützung an. | |
Vielleicht ist es diese intensive Vereinskultur, die Lauscha besonders | |
macht. Die Stadt wählt sogar ein wenig anders als die Nachbarn. Zwar war | |
bei der Bundestagswahl auch hier die AfD stärkste Kraft – wie fast im | |
gesamten Osten. Aber sie erhielt acht Prozentpunkte weniger als in den | |
Nachbarstädten Neuhaus am Rennweg und Steinach. Dafür hatten Die Linke und | |
das Bündnis Sahra Wagenknecht und im Vergleich mit Neuhaus auch die SPD im | |
Verhältnis mehr Stimmen erhalten. | |
Der neue, glatte Asphalt führt nach 3,6 Kilometern und dem | |
Ortsausgangsschild nach Steinach, der ehemaligen Schieferstadt. Der nur | |
wenig größere Ort ist der Lieblingsfeind Lauschas. Er ist Messlatte und | |
Fußballgegner, aber auch eine ganz andere Welt – ohne extreme Tallage. Und | |
ohne Glasbläser. | |
Die Recherchen zum Beitrag wurden vom Lauschaer Verein Boukarou durch ein | |
Aufenthaltsstipendium gefördert. Der Verein ist unabhängig und fördert | |
Lokaljournalismus und internationale Medienschaffende. | |
12 Jul 2025 | |
## AUTOREN | |
Julia Reinard | |
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