# taz.de -- Städte gegen Individualverkehr: Autofrei und Spaß dabei | |
> In Addis Abeba wird auf autofreien Straßen getanzt, in Melbourne sind | |
> viele Tramlinien gratis. Was die Städte weltweit tun, um das Auto zu | |
> verdrängen. | |
Bild: Melbourne: weite Teile der Innenstadt, wie hier in Victoria, sind autofre… | |
BERLIN taz | Weltweit gibt es Bemühungen, die Innenstädte stärker auf | |
Menschen und weniger auf Autos auszurichten. Die Erfahrungen weltweit | |
zeigen allerdings, wie schwierig die Umsetzung ist. Das Auto gilt | |
vielerorts immer noch als das Maß aller Dinge. Verkehrsberuhigt oder gar | |
autofrei sind deshalb meistens nur einzelne Straßen der Innenstadt, nicht | |
ganze Bezirke. Einige Beispiele. | |
## Paris | |
In Paris gab die [1][Bürgermeisterin Anne Hidalgo] Anfang Mai bekannt, | |
Personenkraftwagen bis zum Jahr 2022 aus einem kleinen Teil der Innenstadt | |
zu entfernen. Wo die Grenzen gezogen werden sollen und welche Fahrzeuge ins | |
Zentrum dürfen, sollen Bürger:innen mitbestimmen dürfen. Räder, Busse, | |
Taxen und Lieferverkehr sollen weiterhin verkehren dürfen. | |
## Barcelona | |
In der Hauptstadt Kataloniens wurde am 11. Mai flächendeckend eine | |
Geschwindigkeitsbegrenzung von 30 Stundenkilometern im Stadtgebiet | |
eingeführt. Zudem existieren in [2][Barcelona] sogenannte „Superilles“ | |
(Superblocks), die ehemals zweispurige Straßen in eine Auto- und eine Fuß-, | |
Rad- und Vergnügungsstraße für Freizeitgestaltung trennen. | |
Beide Initiativen verfolgen das Ziel, durch den reduzierten Autoverkehr | |
mehr Sicherheit für den Fuß- und Radverkehr zu ermöglichen. Verkehrsexperte | |
Axel Friedrich plädiert allerdings für eine noch effektivere | |
Geschwindigkeitsbegrenzung für Innenstädte: „Wir bräuchten Tempo 30 auf | |
Hauptverkehrsstraßen mit Menschen, das ist nämlich die Geschwindigkeit der | |
Radfahrer. Dort, wo sich Rad, Fußgänger und Auto begegnen, benötigen wir | |
aber Tempo 20. Wir müssen die Differenzgeschwindigkeit zwischen Auto und | |
Rad verringern, sonst verringert sich auch nicht die Zahl von getöteten | |
Fuß- und Radfahrern“, sagt der ehemalige Abteilungsleiter des deutschen | |
Umweltbundesamtes, der heute für die Deutsche Umwelthilfe arbeitet. | |
Hongkong | |
Die Metropole in Ostasien mit ihren über 7,5 Millionen Einwohner:innen | |
und 263 Inseln hat mehrere Orte, die frei von Autoverkehr sind. So ist | |
beispielsweise Discovery Bay auf Lantau Island eine Zone, in der private | |
PKWs und Taxen keinen Zutritt haben – dabei liegt hier auch der | |
internationale Airport. Die Menschen, die am [3][Flughafen] ankommen, | |
fahren anschließend mit der U-Bahn ins Stadtzentrum. | |
Der Verkehr im Discovery Bay mit über 20.000 Bewohner:innen besteht aus | |
mehreren Linienbussen, Fähren, Fahrrädern sowie Golfcarts. Die Shuttlebusse | |
und Fähren sind 24h in Betrieb und fahren regelmäßig, womit sie die | |
Mobilität auf den Inseln ermöglichen. Um die Mobilität von Tourist:innen | |
sicherzustellen, gibt es Standorte, an denen Leihräder gemietet werden | |
können. | |
Quito | |
Die am höchsten gelegene Hauptstadt der Welt hat ein riesiges Autoproblem – | |
knapp 70 Prozent der über 2 Millionen Bewohner:innen nutzen aktuell das | |
Auto als bevorzugtes Fortbewegungsmittel. | |
Deshalb gilt noch bis Ende Juni eine Fahrzeugbeschränkung zwischen 6 Uhr | |
morgens und 20 Uhr abends namens Hoy no Circula. Der Plan sieht vor, dass | |
nur Autos mit bestimmten Endziffern an festgelegten Wochentagen fahren | |
dürfen. Vom Plan betroffen ist der [4][Districto Metropolitano] von Quito, | |
ländliche Gemeinden sind ausgeschlossen. | |
In einem rotierenden System entlastet das angeblich die Stadt um mehr als | |
die Hälfte des ursprünglichen Individualverkehrs, die Zahl der NutzerInnen | |
der öffentlichen Verkehrsmittel ist um 50 Prozent gestiegen. | |
Melbourne | |
Die zweitgrößte Stadt Australiens mit ihren 5,53 Millionen Menschen | |
entschied sich vor zwei Jahren, ihre Innenstadt fuß- und | |
fahrradfreundlicher zu gestalten. Der ÖPNV ist gut vernetzt, die | |
innerstädtische Straßenbahn kostenfrei. Den Anfang machte die Linie 35, die | |
das Zentrum der Stadt umrundet. Inzwischen wurde die Gratisbeförderung auf | |
weitere Tramlinien erweitert. Außerdem wurden in Melbourne mehr Fahrradwege | |
gebaut und weite Teile der Innenstadt vom Autoverkehr befreit. Bei dem | |
betroffenen Bereich rund um die Elizabeth Street handelt es sich allerdings | |
ausschließlich um die Haupteinkaufsstraße. | |
Addis Abeba | |
Im Jahr 2015 wurde in Äthiopiens Hauptstadt eine vollelektrische | |
Straßenbahn eingeweiht, die den Norden mit dem Süden verbindet und 17 | |
Kilometer zurücklegt. Die Einführung der Bahn führte dazu, dass | |
Bewohner:innen eine kostengünstige Alternative zu Minibus-Taxen hatten. | |
2019 beschloss die Regierung, den Autoverkehr monatlich an einem Sonntag zu | |
reduzieren. Bis zu 15 Kilometer Straße werden an diesen Tagen für | |
motorisierten Verkehr gesperrt. „Durch zu hohe Geschwindigkeit können wir | |
Menschenleben verlieren. Wir müssen unsere Geschwindigkeit kontrollieren“, | |
sagt die äthiopische Verkehrsministerin Dagmawit Moges. Die NGO Ethiopia | |
Skate nutzt die Straße an diesen Tagen dafür, benachteiligten Kindern | |
skaten beizubringen, die Tanzcrew Destino Dance führt eine Performance auf | |
– viele mit Bewegungsbeeinträchtigung machen hier mit. | |
30 Jun 2021 | |
## LINKS | |
[1] /50-Kilometer-Strasse-dauerhaft-fuer-Radler/!5714721 | |
[2] /Proteste-gegen-Luft--und-Laermbelaestigung/!5752747 | |
[3] /Archiv-Suche/!1336537&s=hongkong+lantau&SuchRahmen=Print/ | |
[4] https://www.quito.gob.ec/ | |
## AUTOREN | |
Shoko Bethke | |
Jaromir Schmidt | |
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