| # taz.de -- Spannungen im Westbalkan: Gescheiterte Strategie des Westens | |
| > Die EU und die USA wollen die serbischen Nationalisten durch einen | |
| > verständnisvollen, aber gefährlichen Kurs für sich gewinnen. Doch es regt | |
| > sich Widerstand. | |
| Bild: Träumen von einer „serbischen Welt“: Alexander Vucic (l.) und Milora… | |
| [1][Milorad Dodik, der Präsident] der serbisch dominierten Teilrepublik in | |
| Bosnien und Herzegowina, meint, er könne sich mit dem Rückenwind aus Moskau | |
| alles erlauben. In einer Gedenkstunde am 4. August für die serbischen Opfer | |
| im kroatischen Krieg 1993 ließ er Bilder von angeblichen serbischen Opfern | |
| bei seiner Rede in Prijedor einblenden. Auf der Leinwand hinter ihm | |
| erschien eine verzweifelte Mutter mit ihren Kindern. | |
| Die angeblich serbischen Opfer entpuppten sich aber als muslimische Familie | |
| aus Žepa, die von serbischen Truppen im Rahmen der Verbrechen der | |
| „ethnischen Säuberungen“ 1995 malträtiert worden ist. Mit einem Schlag | |
| wurde der Charakter der serbischen Gedenkveranstaltung in einem Ort | |
| deutlich, wo die serbische Polizei und die Armee vor 30 Jahren unerbittlich | |
| gegen alle Nichtserben vorgegangen waren. In den Lagern Omarska, Manjača, | |
| Keraterm in Prijedor wurden mehr als 3.000 Menschen ermordet. | |
| Ausgerechnet an diesem Ort hatte Dodik Diplomaten und den serbischen | |
| Präsidenten Alexander Vučić eingeladen. Der 64-jährige Dodik lehnt das | |
| bosnische Verfassungsgericht genauso ab wie die im Friedensvertrag von | |
| Dayton ausgehandelte Verfassung von Bosnien und Herzegowina. Er droht | |
| erneut offen mit der Abspaltung des serbisch dominierten Landesteils vom | |
| Gesamtstaat Bosnien und Herzegowina, was ohne militärische Mittel nicht | |
| durchzusetzen ist. | |
| Was soll noch alles geschehen, um die EU und die USA davon abzuhalten, | |
| weiter darauf zu setzen, dass serbische Politiker ins westliche Lager | |
| überwechseln? Zwar ist für die USA Dayton 1995 ein Erfolg der | |
| US-Diplomatie. Vor allem für die Demokraten. In ihren Augen beendete | |
| Präsident Clinton 1995 in Dayton den bosnischen Krieg. Doch jetzt sind die | |
| auf dem Balkan tätigen US-Diplomaten drauf und dran, dieses Erbe zu | |
| verspielen. Serbien soll jetzt offenbar mit Konzessionen in Kosovo und | |
| Bosnien ins westliche Lager gezogen werden. | |
| [2][Serbiens Präsident Vučić] hat bisher glänzend Putin und den Westen | |
| gegeneinander ausgespielt. Vor allem der für den Westbalkan zuständige | |
| US-Diplomat Gabriel Escobar zieht die Fäden. Gemeinsam mit Christopher | |
| Hill, dem US-Botschafter in Belgrad, und den EU-Außenpolitikern Josep | |
| Borrell und dem EU-Sondergesandten Miroslav Lejčak wurde zunächst vor allem | |
| die kosovarische Regierung unter Druck gesetzt. Das Kosovo soll zu | |
| Konzessionen gegenüber Serbien gezwungen werden | |
| Auch in Bosnien ist diese Politik zu spüren. Die bosniakische | |
| Nationalpartei SDA hat nicht mehr so viel Macht wie früher, doch seitdem | |
| hätte es vonseiten der USA und der EU Druck auf die beiden anderen | |
| Nationalparteien – die kroatische HDZ und die serbische SNSD – geben | |
| müssen. Doch es passierte nichts. Die westlichen Diplomaten stehen hinter | |
| der Idee, man müsse den Nationalisten nur entgegenkommen, um den Frieden zu | |
| bewahren. Dass dies schon einmal – nämlich ab 1991 – bitter gescheitert | |
| ist, ignorieren sie. | |
| War es damals „Großserbien“, was die serbischen Nationalisten anstrebten, | |
| so ist dies heute die „serbische Welt“. In der serbischen Teilrepublik wird | |
| derzeit mit russischer Hilfe massiv aufgerüstet. Deshalb regt sich jetzt in | |
| Bosnien und Herzegowina so etwas wie Widerstand. Im bosniakisch dominierten | |
| Landesteil und in Sarajevo existiert im Unterschied zu den serbisch und | |
| kroatisch kontrollierten Landesteilen eine differenzierte Öffentlichkeit. | |
| Sowohl die in Sarajevo regierende nichtnationalistische Troika unter | |
| Führung der Sozialdemokraten und der Oberkommandierende der bosnischen | |
| Streitkräfte wollen nicht mehr wehrlos in das Messer der serbischen | |
| Nationalisten laufen. | |
| Seitdem Michael Roth, der Vorsitzende des auswärtigen Ausschusses des | |
| Bundestages, und sein Gegenüber im US-Senat den jetzigen Politikansatz | |
| kritisieren, sind immerhin einige Parlamentarier auf beiden Seiten des | |
| Atlantiks aufgewacht. Sie fordern, dass die internationale Gemeinschaft aus | |
| der Vergangenheit lernt. Sie fordern eine Abschreckungsdiplomatie, um eine | |
| weitere Verschärfung der sicherheitspolitischen Lage in Kosovo und in | |
| Bosnien zu verhindern. | |
| Die nichtnationalistischen Sozialdemokraten in Bosnien fordern von der | |
| EU-Militärmission Eufor effektive Maßnahmen, um die Integrität der Grenzen | |
| des Landes zu sichern. Deshalb rückt vor allem Brčko in Nordostbosnien, wo | |
| der serbische Teilstaat in zwei Teile zerschnitten ist, ins Zentrum der | |
| Debatte. Das Gebiet Brčko ist der strategisch wichtigste Punkt auf dem | |
| Balkan. Deshalb wollen die Serben mit aller Macht Brćko kontrollieren – | |
| auch westliche Militärs haben dies begriffen. | |
| ## Bundesregierung bleibt still | |
| Europäische Eufor-Truppen sollen dort verstärkt werden; deshalb wurden neue | |
| Eufor-Truppen nach Bosnien geschickt, auch ein kleines deutsches Kontingent | |
| von rund 30 Mann ist darunter. Aber eine wirklich bedeutsame strategische | |
| Veränderung träte erst ein, würden dort Nato-Truppen eingesetzt. Die Eufor | |
| soll nach Presse-Berichten nämlich durch ungarische Militärs geleitet | |
| werden – damit würde der Bock zum Gärtner gemacht. | |
| Berlin rührt sich nicht. Außenministerin Annalena Baerbock, die einmal | |
| angetreten war, nationalistischen Positionen entgegenzutreten, schweigt. | |
| Die Menschen in Bosnien haben aber noch die Entschließung des Bundestags | |
| von 2022 in Erinnerung, das für Bosnien einen Rechtsstaat und demokratische | |
| Reformen fordert. Was ist damit? Der deutsche Sonderbeauftragte für den | |
| Balkan, Manuel Sarrazin, und auch der [3][Hohe Repräsentant der | |
| Staatengemeinschaft, Christian Schmidt], scheinen den Beschluss vergessen | |
| zu haben. | |
| Aus Berlin kommt dazu keine Stellungnahme. Will man in Berlin wirklich die | |
| EU-Außen- und Sicherheitspolitik auf dem Balkan ausschließlich US- und | |
| EU-Diplomaten sowie einem Viktor Orbán anvertrauen? | |
| 14 Aug 2023 | |
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| Erich Rathfelder | |
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