# taz.de -- Autokratentreffen in Budapest: Verhandlungen und Spiele bei Orbán | |
> Ungarn hat verschiedene Regierungschefs eingeladen, um die eigene Macht | |
> zu stärken. Doch bei allen gemeinsamen Interessen bleiben viele | |
> Differenzen. | |
Bild: Präsident Erdoğan und Premierminister Orbán bei der Leichtathletik-WM … | |
SARAJEVO taz | Das Datum für das Treffen der Freunde Ungarns hat die | |
Regierung von Ministerpräsident Orbán mit Bedacht gewählt. Der 20. August | |
ist der Nationalfeiertag und erinnert an den Staatsgründer Stephan I., der | |
von 1000 bis 1038 das Land christianisierte und damit die Grundlage zum | |
Aufstieg Ungarns als europäischer Macht schuf. | |
Orbán hatte für Sonntag verschiedene Regierungschefs zu sich nach Budapest | |
eingeladen. Unter anderem den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan, | |
den serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić und mehrere zentralasiatische | |
Politiker. Auf den ersten Blick gegensätzliche Politiker. Orbán | |
demonstriert damit seine Unabhängigkeit. | |
Zudem begann am Sonntag auch die Leichtathletikweltmeisterschaft im | |
brandneuen Stadion in Budapest. Im Lichte dessen konnte sich Viktor Orbán | |
der Weltöffentlichkeit als verlässlicher Organisator präsentieren, und er | |
demonstriert eine eigene Version der „Zeitenwende“: Ungarn soll Glanz | |
ausstrahlen, soll zeigen, dass es aus dem Schatten eines Satelliten – | |
früher des Ostblocks und heute der EU – herausgetreten ist und eine eigene | |
nationale politische Agenda verfolgt. Statt in der von einer „linken“ | |
Clique geleiteten Europäischen Union aufzugehen, solle Ungarn eigene | |
Akzente für die Entwicklung Europas setzen. | |
In Brüssel gilt der autokratisch regierende Viktor Orbán als Repräsentant | |
eines als korrupt und antidemokratisch kritisierten Regimes. Er will Europa | |
in eine rechtskonservative und antidemokratische Richtung lenken. Und | |
sammelt schon seine Bataillone. | |
## Das Problem mit Russland | |
Bis zu den Europawahlen 2024 und zum Vorsitz seines Landes in der EU will | |
Orbán es sich noch nicht mit allen Mächten verderben. Doch mit den jetzt | |
gezeigten außenpolitischen Akzenten kann er sich ausrechnen, innerhalb der | |
EU Freunde gewonnen zu haben. Seine Putin-freundliche Position trägt schon | |
Früchte: Rechte Populisten, von Spanien bis Schweden, von Frankreich bis | |
Italien, von der Slowakei bis Bulgarien und Kroatien, sehen in Orbán ihren | |
„Hoffnungsträger“ in Europa. Hinter seinem Rücken können sie ihre | |
prorussische Agenda daheim hoffähig machen. | |
In Serbien hat er einen direkten Bündnispartner gefunden. Orbán und Vučić | |
wirken wie ein politisches Pärchen. Außerdem: ohne Orbáns finanzielle | |
[1][Zuwendungen wäre Milorad Dodik], der Führer der bosnischen Serben in | |
Bosnien und Herzegowina, nicht nur politisch, sondern auch finanziell | |
bankrott. Die geteilte „christlich“ antimuslimische Grundposition richtet | |
sich bei dem Ungarn wie den Serben nicht gegen Salafisten, sondern | |
besonders gegen die autochthonen Balkanmuslime. Ebenso teilen sie ihre | |
Abneigung gegen die kulturellen und sexuellen Freiheiten in den liberalen | |
Demokratien und haben dabei sogar die Claqueure aus Warschau hinter sich. | |
Doch was Russland betrifft, wird [2][Warschau gegen Orbán und Vučić] | |
Position beziehen. Da passt es nicht. Die Polen können trotz der Sympathien | |
für das Christentum der jetzigen Russlandpolitik Ungarns nichts abgewinnen. | |
Auch die Beziehungen zur Türkei passen nicht ganz ins Bild. Erdoğan dürfte | |
sich schwertun, die Balkanmuslime völlig zu verraten und fallenzulassen. | |
Schon mehrfach [3][erklärte er in Sarajevo, er würde Truppen schicken], | |
wenn die bedroht würden. Aber Orbáns Standpunkt gegenüber liberalen | |
Demokratien teilt er und macht mit bei gemeinsamen Wirtschaftsprojekten. | |
Ungarn bezieht rund 80 Prozent seines Erdgases aus Russland, bisher über | |
die Ukraine, in Zukunft vor allem über die TurkStream-Pipeline, die durch | |
Serbien verläuft. Orbán hat in Budapest außerdem den turkmenischen | |
Präsidenten Serdar Berdimuhamedow getroffen. Wenn die Türkei einverstanden | |
ist, soll Ungarn ein Bestimmungs- und Transitpunkt für künftige Gasexporte | |
aus Turkmenistan über die Türkei und Serbien werden. | |
Orbán will die bestimmende Macht auf dem Balkan sein und kann sich auf die | |
Naivität Brüssels und der liberalen Demokratien verlassen. Ungarische | |
Truppen sollen jetzt den Oberbefehl über die EUFOR-Einheiten in Bosnien und | |
Herzegowina übernehmen. „Wer soll uns da noch vor Übergriffen der | |
nationalistischen Serben schützen?“, fragen sich viele Menschen in | |
Sarajevo. | |
21 Aug 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Maulkorb-fuer-Kritiker-in-Bosnien-Herzegowina/!5948852 | |
[2] /Spannungen-im-Westbalkan/!5949828 | |
[3] /Kommentar-Erdoan-in-Sarajevo/!5507263 | |
## AUTOREN | |
Erich Rathfelder | |
## TAGS | |
Viktor Orbán | |
Recep Tayyip Erdoğan | |
Aleksandar Vucic | |
Milorad Dodik | |
Europäische Union | |
Autokratie | |
Bosnien und Herzegowina | |
Kolumne Fernsicht | |
Viktor Orbán | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Spannungen im Westbalkan: Gescheiterte Strategie des Westens | |
Die EU und die USA wollen die serbischen Nationalisten durch einen | |
verständnisvollen, aber gefährlichen Kurs für sich gewinnen. Doch es regt | |
sich Widerstand. | |
Israelisch-ungarische Freundschaft: Fundamentalisten vereint im Hass | |
Warum mögen sich Netanjahu und Orban? Weil sie konservativ sind. In Israel | |
hat eine Anti-LGBT-Einstellung Tradition. Zumindest außerhalb von Tel Aviv. | |
Streit über EU-Asylpolitik: Warschau und Budapest sagen nein | |
Drei Wochen nach der Einigung der EU-Innenminister wackelt der europäische | |
Asylkompromiss. Der EU-Gipfel endet ohne Beschluss. |