# taz.de -- Sexuelle Gewalt im Bosnienkrieg: Die leeren Augen | |
> Im Bosnienkrieg wurden 1992 20.000 Frauen vergewaltigt, 50.000 Menschen | |
> wurden ermordet. Unser Autor war damals in Tuzla im Osten Bosniens. Eine | |
> Erinnerung. | |
Bild: Fikreta zeigt ihrer Mutter und zwei weiteren Frauen das Haus, wo sie mit … | |
Sarajevo taz | Es waren zuerst die Gesichter. Die leeren Augen, die ins | |
Nichts gerichteten Blicke, die im Sommer 1992 hinter dem Fenster des Busses | |
zu sehen waren. Eine Mitarbeiterin des Roten Kreuzes bedeutete mir, dass | |
dies Frauen aus dem von Serben eroberten Gebiet in Ostbosnien seien. Das | |
Rote Kreuz habe sie da rausgeholt und ins noch sichere und freie Gebiet | |
hierher in die Stadt Tuzla gebracht. Sie war sichtlich betroffen. | |
Langsam begann ich zu verstehen. Diese Flüchtlinge waren Opfer von | |
Vergewaltigungen. Dass die serbischen Truppen während ihres Vormarsches in | |
Bosnien nicht nur eine breite Blutspur gezogen, sondern im Zuge der | |
„ethnischen Säuberungen“ auch Tausende Frauen vergewaltigt hatten, war | |
schon gerüchteweise bekannt. Doch wer kann sich das schon vorstellen? Als | |
das ganze Ausmaß der Massenvergewaltigungen bekannt wurde, regte sich vor | |
allem in Mitteleuropa und in Deutschland eine breite Frauensolidarität. | |
Hunderte von Frauen fuhren in die Region. Eine der ersten war [1][Monika | |
Hauser], eine Medizinstudentin aus Südtirol, die kurz vor ihren Examina | |
stand. Sie wollte die medizinische Behandlung mit der psychologischen | |
verknüpfen, eine für die damalige Zeit sehr fortschrittliche Position. | |
Getragen von Spenden der westlichen Frauenbewegung standen ihr auch | |
ausreichend Mittel zur Verfügung, um die modernsten medizinischen Geräte | |
ins Kriegsgebiet nach Zenica zu bringen. | |
1993 stellte Hauser eine Crew aus einheimischen Ärztinnen und | |
Psychologinnen zusammen, die betroffene Frauen betreuten. Über deren | |
Berichte und weitere Informationen entschlüsselte sich das ganze Bild: Dass | |
die serbische Soldateska ernst machte mit den Theorien ihrer Nationalisten | |
und die eroberten Gebiete von Nichtserben „säubern“ wollten, hatten zu | |
Beginn des Krieges die wenigsten erwartet. | |
## Viele Frauen in KZs | |
Das Vorgehen war überall ähnlich. Die Soldaten kamen in ein Dorf, trieben | |
die Männer zusammen, erschossen einige, sperrten die Frauen in die Schule | |
oder in Scheunen. Für sie gab es kein Entkommen, viele wurden vor den Augen | |
ihrer Kinder oder ihrer Männer vergewaltigt. Die Bewohner der Nachbardörfer | |
versuchten in Richtung Kroatien oder die noch freien Gebiete zu fliehen, | |
Zehntausende schafften das nicht. | |
In den Städten und Gemeinden Westbosniens wurde vor allem Jagd auf die | |
Elite gemacht, Professorinnen und Richterinnen, Studentinnen und Chefinnen | |
von Restaurants gehörten zu den bevorzugten Opfern, viele Frauen fanden | |
sich in den Konzentrationslagern wieder. Oder wurden gleich ermordet. Wie | |
auch Tausende von Männern in den KZs Omarska, Manjaca, Keraterm. | |
Einzelschicksale, wie das einer Richterin, an der sich von ihr verurteilte | |
Kriminelle rächten, hat mich tief berührt. Von April 1992 bis in den Herbst | |
hinein wurden über 50.000 Menschen ermordet, [2][mindestens 20.000 Frauen | |
vergewaltigt] und über 2 Millionen Menschen aus ihrer Heimat vertrieben. | |
Fast die Hälfte der damaligen Gesamtbevölkerung Bosnien und Herzegowinas. | |
Die Verbrechen hatten zum Ziel, ethnisch reine Bevölkerungen zu schaffen. | |
[3][Die Vergewaltigungen] vor allem der muslimisch-bosniakischen Frauen | |
wurden als Kriegswaffe eingesetzt, die Geschändeten und Vertriebenen | |
sollten nicht mehr zurückkehren wollen. | |
Nach wissenschaftlichen Untersuchungen des Research and Documentation | |
Center in Sarajevo waren mehr als 90 Prozent der vergewaltigten Frauen im | |
Bosnienkrieg muslimisch, die Mehrzahl der Täter waren orthodoxe Christen, | |
also bosnische Serben. Bald wurde für die Journalisten vor Ort klar, dass | |
die Vergewaltigungen einem geostrategischem Kalkül entsprangen. Sie waren | |
Teil des politischen Plans der damaligen politischen Führung Serbiens, die | |
Mehrheitsbevölkerung in Bosnien zu vertreiben und das Land für sich zu | |
beanspruchen. | |
Monika Kleck kam 1994 in die ostbosnische Stadt Tuzla, die sich gegen die | |
serbisch-nationalistische Offensive militärisch behaupten konnte. Auch die | |
damals 24-jährige Psychologiestudentin wollte den Opfern helfen und schloss | |
sich [4][Amica] an, einer in Freiburg geschaffenen NGO. „Hier gab es eine | |
Psychologin, eine Bosnierin, die mich toll eingeführt und mir die | |
Traditionen vor allem der ländlichen Bevölkerung erklären konnte.“ | |
Gerade in patriarchalen Gesellschaften sei die Frau für die Ehre des Mannes | |
zuständig, erklärt Kleck. Die Vergewaltigungen seien auch gegen die Männer | |
gerichtet gewesen, die ihre Frauen nicht verteidigen konnten. Während | |
Hauser in Zenica einen offensiven Zugang für die Behandlung der Frauen | |
suchte, versuchte Amica in Tuzla, jegliches Stigma zu vermeiden. Die | |
betroffenen Frauen sollten nicht als vergewaltigt erkannt werden. | |
Und dennoch, so richtig zufrieden ist Monika Kleck nicht. Denn auch 30 | |
Jahre später leiden viele Frauen weiter an Depressionen, 58 Prozent der | |
Frauen haben gynäkologisch Probleme, haben nach wie vor Schmerzen. Doch | |
noch schwerer wiegt, dass das Erlebte immer noch lebendig ist. Auch die | |
sozioökonomische Lage der Menschen ist katastrophal, sie sind es ja, die | |
damals Haus und Hof verloren, deren Familien zerstört wurden, die in | |
bitterer Armut leben. Und der gespaltene Staat tut sich schwer, die | |
Verbrechen anzuerkennen, Renten und Entschädigungen müssten durchgesetzt | |
werden. | |
In Visegrad an der Drina gibt es ein Hotel, Vilina Vlas, dass 1992 zu einem | |
berüchtigten Vergewaltigungslager geworden war. Bakira Hasecic war damals | |
Insassin, sie hat nach ihrem Überleben die Organisation [5][Zene Zrtve | |
rata] gegründet. Sie ermutigt Frauen die Scham abzulegen und offensiv mit | |
den Verbrechen umzugehen. Mit Gleichgesinnten gehen sie in die Orte des | |
Verbrechens und versuchten Täter zu finden. Erst in diesem Sommer erkannten | |
sie zwei Polizisten. Die wurden natürlich von den serbischen Behörden der | |
Region nicht verhaftet. Aber sie sind jetzt bekannt. | |
Im Juni 2008 beschloss die UN, Vergewaltigungen als Kriegsverbrechen zu | |
definieren. Vor allem die Systematik der Verbrechen in Bosnien veranlasste | |
das Weltgremium. Seither sind alle Menschen angehalten, in Kriegsgebieten | |
Beweise für diese Art von Kriegsverbrechen zu sichern. Das ist immerhin | |
etwas, was die bosnischen Opfer erreicht haben. | |
7 Feb 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://medicamondiale.org/ueber-uns/wer-wir-sind/monika-hauser | |
[2] /Kriegsverbrechen-in-Bosnien/!5892756 | |
[3] /Sexualisierte-Gewalt-im-Bosnienkrieg/!5920087 | |
[4] https://www.amica-ev.org | |
[5] https://zena-zrtva-rata.com/ | |
## AUTOREN | |
Erich Rathfelder | |
## TAGS | |
Bosnienkrieg | |
Massenvergewaltigung | |
Trauma | |
Parlamentswahl | |
Schwerpunkt Europawahl | |
Kroatien | |
Sexualisierte Gewalt | |
Balkan | |
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten | |
Boris Pistorius | |
Republika Srpska | |
Bosnien-Herzegowina | |
Bosnien und Herzegowina | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Vorgezogenen Parlamentswahl in Kroatien: Europa oder lieber Putin? | |
In Zagreb wäre eine linksnationale Regierung vorstellbar. Damit einher | |
ginge ein EU- und Nato-kritischer Kurs, ähnlich wie in Ungarn. | |
Parlamentswahlen in Kroatien: Konservative gegen Sozialdemokraten | |
Bei den Parlamentswahlen in Kroatien geht es um nichts Geringeres als | |
Europas Zukunft. Und die weitere Unterstützung für die Ukraine. | |
Wahlen in Kroatien: Milanović darf nicht kandidieren | |
Der amtierende Präsident Kroatiens müsste laut einem Urteil für die | |
Kandidatur als Premier erst sein Amt aufgeben. Darauf will er nicht hören. | |
Israelische Politikerin zu Hamas: „Wir fühlen uns verraten“ | |
Die Oppositionspolitikerin Shelly Tal Meron kritisiert das Schweigen der | |
Weltgemeinschaft. Frauenrechtsorganisationen hätten die sexualisierte | |
Gewalt der Hamas nicht ausdrücklich verurteilt. | |
Minister Pistorius auf dem Westbalkan: Harte Hand für weiche Flanke | |
Verteidigungsminister Pistorius ist auf diplomatischer Mission auf dem | |
Balkan. Die Region ist ein Pulverfass – und Trump könnte es als | |
US-Präsident entzünden. | |
Pro und Contra: „Ja heißt Ja“ als EU-Richtlinie? | |
Soll die EU das Prinzip „Ja heißt Ja“ zur Richtlinie für das | |
Sexualstrafrecht machen? Zwei taz-Autor*innen streiten über die Frage. | |
Pistorius in Bosnien und Herzegowina: Absage an Abspaltungsfantasien | |
Der Verteidigungsminister betont das Engagement Deutschlands. Zum | |
Präsidenten der serbischen Teilrepublik findet er deutliche Worte. | |
Republika Srpska begeht Staatsjubiläum: Gedrückte Stimmung in Banja Luka | |
Die bosnische Teilrepublik feiert mit viel Pomp, steht aber kurz vorm | |
Bankrott. Die angedrohte Abspaltung des Landes von Bosnien blieb allerdings | |
aus. | |
Europäischer Gerichtshof zu Bosnien: Braucht es eine neue Verfassung? | |
Die Verfassung in Bosnien und Herzegowina verstößt gegen europäisches | |
Recht. 28 Jahre nach dem Frieden von Dayton nimmt der Nationalismus im Land | |
zu. | |
Spannungen im Westbalkan: Gescheiterte Strategie des Westens | |
Die EU und die USA wollen die serbischen Nationalisten durch einen | |
verständnisvollen, aber gefährlichen Kurs für sich gewinnen. Doch es regt | |
sich Widerstand. |