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# taz.de -- Pro und Contra: „Ja heißt Ja“ als EU-Richtlinie?
> Soll die EU das Prinzip „Ja heißt Ja“ zur Richtlinie für das
> Sexualstrafrecht machen? Zwei taz-Autor*innen streiten über die Frage.
Bild: Ja heißt Ja? Nein heißt Nein? Jein? Protest gegen Gewalt gegen Frauen
## Ja
Um es gleich vorwegzunehmen: Niemand muss einen Vertrag unterschreiben oder
ein Diktiergerät in der Tasche haben, um zu beweisen, dass der (meist ja
spontane) Sex tatsächlich einvernehmlich war. Weder bei der gesetzlichen
Formulierung „Ja heißt Ja“ noch bei [1][„Nein heißt Nein“.] Das muss …
erwähnt werden, weil die kuriosesten Vorstellungen darüber kursieren,
worauf Menschen, die miteinander Sex haben, bei der jeweiligen Version
achten sollten. Das wäre absurd, dazu wird es nicht kommen.
Dennoch macht es einen Unterschied, unter welcher Prämisse die
[2][Straftatbestände sexualisierte Gewalt und Vergewaltigung]
gesellschaftlich verhandelt werden. Während die Formulierung „Nein heißt
Nein“ eine klare Ablehnung festlegt, geht „Ja heißt Ja“ darüber hinaus:
Diese Formulierung setzt eine deutliche Zustimmung zum Sex voraus. In
Schweden und in Spanien gilt das bereits.
Insofern ist es unverständlich, dass sich die EU nicht auf die von ihrem
Parlament vorgeschlagene Regelung „Ja heißt Ja“ im Sexualstrafrecht
einigen konnte. Das Prinzip, wonach EU-Staaten das Sexualstrafrecht in
Eigenregie regeln sollten – wie etwa beim Wahlrecht oder bei
Bildungsgesetzen –, ist hier fehl am Platz. Die körperliche Unversehrtheit
eines jeden Menschen, der Schutz vor Vergewaltigung und sexualisierter
Gewalt ist ein universelles Menschenrecht, das überall gleich behandelt
werden sollte.
Schweden, das 2018 als erstes EU-Land „Ja heißt Ja“ eingeführt hatte,
musste sich dafür vielfach belächeln lassen. Doch in keinem anderen Staat
in der Europäischen Union zählte die [3][EU-Statistik 2021 prozentual so
viele Täter, die wegen Vergewaltigung verurteilt] wurden. Schwed:innen
sind sich sicher: Das liegt an „Ja heißt Ja“, denn jetzt gelten bestimmte
Handlungen als Vergewaltigung, die es vorher nicht waren.
Und in Deutschland? Hier zeigen nur [4][10 Prozent der Opfer die Tat] an.
Gerade einmal 8 Prozent dieser angezeigten Täter werden verurteilt. Simone
Schmollack
## Nein
Es ist kein Skandal, dass die EU die Strafbarkeit der Vergewaltigung nicht
einheitlich regelt, denn dazu hat sie schlicht keine Kompetenz.
Die EU ist historisch als Binnenmarkt entstanden. Sie ist kein Staat. Die
EU hat daher nur dort Kompetenzen, wo ihr die Mitgliedsstaaten diese in den
EU-Verträgen ausdrücklich einräumen. Für das Strafrecht ist die EU
grundsätzlich nicht zuständig, da es als besonders sensible Materie gilt,
die dem nationalen Gesetzgeber vorbehalten bleiben soll.
Eine Ausnahme gilt nur für wenige Deliktfelder mit „grenzüberschreitender
Dimension“. Genannt werden hier unter anderem Terrorismus, Waffenhandel
sowie „Menschenhandel und sexuelle Ausbeutung“. Es liegt auf der Hand, dass
hier eher die Ausbeutung von Prostituierten gemeint ist als die
Vergewaltigung der Ehefrau, einer Bekannten oder Passantin. Wer auf diese
Zuständigkeitsgrenze hinweist, wie Justizminister Marco Buschmann, ist
deshalb kein Frauenfeind.
Doch selbst wenn die EU ihre Kompetenzgrenzen ignorieren würde, wäre die
vorgeschlagene EU-weite Definition der Vergewaltigung jedenfalls für
Deutschland kein großer Fortschritt. Bei uns gilt bereits seit 2016 das
Prinzip „Nein heißt Nein“. Wenn eine Person offensichtlich keinen Sex
möchte, darf sich niemand darüber hinwegsetzen. Ein Kopfschütteln genügt.
Es spricht zwar wenig dagegen, stattdessen eine offensichtliche Zustimmung
zu verlangen, dann würde auch ein Nicken oder ein Lächeln als
Einverständnis gewertet. Es bliebe aber beim Problem der Beweisbarkeit,
wenn Aussage gegen Aussage steht. Das Fehlen eines Nickens ist genauso
schwer zu beweisen wie ein Kopfschütteln. Letztlich kommt es in strittigen
Fällen immer auf die [5][Glaubhaftigkeit der Aussagen] an.
Wer aber davon überzeugt ist, dass „nur Ja heißt Ja“ ein großer Fortschr…
wäre, sollte den Bundestag von einer erneuten Reform überzeugen. Die
fehlende EU-Vorgabe lässt den nationalen Parlamenten ja diese
gesetzgeberische Freiheit. Christian Rath
7 Feb 2024
## LINKS
[1] /Verschaerfung-des-Sexualstrafrechts/!5439764
[2] /Anwaeltin-ueber-haeusliche-Gewalt/!5667349
[3] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1099860/umfrage/verurteilung…
[4] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/200877/umfrage/vergewaltigun…
[5] /Mutmassliche-Gruppenvergewaltigung/!5988166
## AUTOREN
Simone Schmollack
Christian Rath
## TAGS
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
Pro und Contra
Vergewaltigung
Europäische Union
Sexualstrafrecht
Bosnienkrieg
Sexualisierte Gewalt
Schwerpunkt Abtreibung
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