| # taz.de -- Juristin über Abtreibungen: „Seismograf für Frauenrechte“ | |
| > Die Legalisierung von Abtreibungen sei keine rein juristische Frage, sagt | |
| > Jura-Professorin Liane Wörner. Sie prüft, ob sich Abbrüche anders regeln | |
| > ließen. | |
| Bild: Protest am Frauentag in Berlin gegen den Paragraphen 218 | |
| taz: Frau Wörner, Sie koordinieren in der [1][Kommission für reproduktive | |
| Rechte] im Auftrag der Bundesregierung jene Untergruppe, die prüfen soll, | |
| ob [2][Schwangerschaftsabbrüche] außerhalb des Strafrechts geregelt werden | |
| können. Kann man sagen: Sie prüfen die Legalisierung von Abbrüchen? | |
| Liane Wörner: Der Abbruch einer Schwangerschaft wird seit jeher vor allem | |
| als strafbar erfasst. Die Frau, die eine Schwangerschaft beendet, und die | |
| weiteren Beteiligten werden inkriminiert. Regelungen zum Konflikt außerhalb | |
| des Strafrechts existieren kaum. Die Frage, die wir prüfen, lautet: Geht | |
| das auch anders? | |
| Den größten Teil Ihrer einjährigen Arbeit haben Sie bereits hinter sich, im | |
| Frühjahr soll es Ergebnisse geben. Wie läuft es bisher? | |
| Die Zusammenarbeit funktioniert extrem gut. Unsere Expertisen sind | |
| interdisziplinär und ergänzen sich hervorragend. Man lernt voneinander | |
| unglaublich viel. Stellen Sie sich an einem Tisch vor: Straf- und | |
| Verfassungsrechtlerinnen, eine Völkerrechtlerin, eine Sozialrechtlerin als | |
| Expertinnen für die aktuelle Rechtslage und die damit verbundenen | |
| Verfassungsgerichtsurteile – das ist wichtig für die Frage, welchen | |
| Spielraum der Gesetzgeber überhaupt hat, auch mit Blick auf den | |
| Menschenrechtsdiskurs, die WHO und die Verschränkung mit nationalem Recht. | |
| Sozialrechtlich besteht ein großes Problem darin, dass frühe | |
| Schwangerschaftsabbrüche derzeit keine Kassenleistung sind, also | |
| grundsätzlich selbst bezahlt werden müssen, ebenso wie in den meisten | |
| Fällen die Schwangerschaftsprävention durch Verhütung. Aber die | |
| Legalisierung von Abbrüchen ist keine rein juristische Frage. | |
| Sondern? | |
| Das berührt weite Teile unserer Gesellschaft. Die interdisziplinär | |
| konstituierte Kommission befasst sich mit der Konfliktfrage aus Perspektive | |
| aller Beteiligten. Mit am Tisch diskutieren Medizinerinnen und | |
| Sozialwissenschaftlerinnen die Betreuungs- und Versorgungslage in | |
| Deutschland, nicht ohne, auch in ihrer Expertise vertreten, die Erörterung | |
| der ethischen Fragen: Was darf, was soll? Das hat für uns verdeutlicht, | |
| dass wir auch die Frage nach der Prävention stellen müssen: Wie könnte man | |
| dafür sorgen, dass es im besten Fall nur noch gewollte Schwangerschaften | |
| gibt? | |
| Der Deutsche Juristinnenbund hat schon einen konkreten Vorschlag zur | |
| Legalisierung gemacht. Was halten Sie von dem? | |
| Der Vorschlag des Juristinnenbunds ist ein Vorschlag. Wir diskutieren auch | |
| diesen. Unsere Aufgabe ist es aber nicht, einen konkreten Gesetzentwurf für | |
| die Bundesregierung auszuarbeiten. Wir loten den Spielraum aus, den der | |
| Gesetzgeber hat, um das Recht auf Schwangerschaftsabbruch (neu) zu regeln, | |
| und welche Risiken er bei welcher Regelung eingeht. Zum Beispiel das einer | |
| neuen Klage vor dem Bundesverfassungsgericht. | |
| Die Union hält wenig von Ihrer Arbeit. „Die Ampel macht sich ihre eigene | |
| Ethik“, hat der rechtspolitische Sprecher Günter Krings erklärt. Was | |
| antworten Sie ihm? | |
| Das verstehen wir nicht als Vorwurf an uns. Wir reden der Regierung nicht | |
| nach der Nase. Wir arbeiten unabhängig und hören uns die Positionen aller | |
| zivilgesellschaftlichen und politischen Akteure an, das ist uns wichtig. Im | |
| Juni haben wir alle Fraktionen zu einem gemeinsamen Gespräch eingeladen. | |
| Die Union hat daran teilgenommen. | |
| Die Unionsfraktion hat uns außerdem einen Fragebogen mit über 40 Fragen | |
| zukommen lassen und wir haben sehr freundlich geantwortet, dass wir diese | |
| in unseren Prüfbericht aufnehmen. Inhaltlich unterscheiden diese Fragen | |
| sich übrigens kaum von denen, die uns die Regierungsfraktionen gestellt | |
| haben. Dennoch: Wir schreiben den Bericht und wir bestimmen dessen Umfang. | |
| Die Union bemängelt außerdem, die Kommission hätte eine Einladung der | |
| Fraktion abgelehnt. | |
| Wir sind neun Expertinnen, die für zwölf Monate in eine Arbeitsgruppe | |
| berufen sind und hochkomplexe Fragen aus zahlreichen Perspektiven von Recht | |
| und Gesellschaft zur Konfliktfrage bearbeiten, Handlungsspielräume des | |
| Gesetzgebers und ihre möglichen Auswirkungen prüfen und dann einen | |
| umfassenden Bericht schreiben sollen. Hätten wir der Union noch einen | |
| zusätzlichen Extratermin eingeräumt, hätten wir das für alle anderen | |
| Fraktionen auch tun müssen. Dafür fehlt uns die Zeit. Und dafür bitten wir | |
| um Verständnis. | |
| Gerade bei einem so polarisierenden Thema ist es ja verständlich, dass alle | |
| ihre Positionen vorbringen wollen. | |
| Natürlich, und uns ist wichtig, allen Raum zu geben. Ende November haben | |
| wir einen ganzen Tag lang das Gespräch mit über 30 zivilgesellschaftlichen | |
| Organisationen gesucht, uns ihre Leitmaximen angehört und ihnen Fragen | |
| gestellt. Wir haben auch die Religionsvertretungen gefragt, wie in einem | |
| pluralistischen Staat eine Lösung aussehen kann, mit der alle Gruppen sich | |
| einverstanden erklären können. | |
| Und was haben sie geantwortet? | |
| Diese Gespräche haben in einem geschützten Raum stattgefunden. Das ist | |
| wichtig, alle sollten sich sicher fühlen, ihre Perspektive vorzutragen. | |
| Deswegen werde ich daraus auch nicht zitieren. Was ich aber sagen kann und | |
| möchte: Der Tag war sehr erfolgreich und sehr lehrreich. Die Gespräche | |
| waren von großer Sachlichkeit aller Beteiligten geprägt, es gab keine | |
| Anfeindungen oder Vorwürfe. | |
| Die Lösungsvorschläge unterscheiden sich natürlich im Detail. Aber allen | |
| war es ein Anliegen, die Konfliktbeteiligten bei einem | |
| Schwangerschaftskonflikt nicht allein zu lassen. Alle waren daran | |
| interessiert, den Sachverhalt besser zu lösen, als es offenbar derzeit | |
| stattfindet. Und das ist aus meiner Sicht die beste Chance für ein | |
| gelingendes Gesetzgebungsvorhaben und ein besserer Recht, das die | |
| Konfliktbeteiligten abholt. | |
| Sollte der Schwangerschaftsabbruch raus aus dem Strafgesetzbuch? | |
| Erstmals im Jahr 1927 hat das Reichsgericht einer Schwangeren in einer | |
| Notsituation das Recht zuerkannt, die Schwangerschaft nicht auszutragen. | |
| Was solche Notsituationen sind, müssen seither Ärzt:innen und Gesetzgeber | |
| entscheiden. | |
| Eine ungewollt Schwangere wird aber die Schwangerschaft nicht austragen, | |
| wenn sie das Kind nicht will, gleich ob der Abbruch legal oder illegal ist. | |
| Wir können versuchen, sie für eine Konfliktlösung zu gewinnen. Das bedeutet | |
| aber nicht, dass der Staat die Frau in jeder Situation in Anspruch nehmen | |
| kann und darf, eine Schwangerschaft auszutragen. Kurz: Der | |
| Schwangerschaftskonflikt geht uns alle als Gesellschaft an, und wir alle | |
| sollten uns damit beschäftigen, mit welcher Regelung wir ihn am besten | |
| lösen. | |
| Schwangerschaftsabbrüche sind in Deutschland eine Straftat, in den ersten | |
| 12 Wochen aber straffrei, wenn die Schwangere zuvor eine anerkannte | |
| Beratungsstelle aufgesucht hat. In vielen europäischen Ländern ist das | |
| Recht viel liberaler. Ist Paragraf 218 Strafgesetzbuch noch zeitgemäß? | |
| Niemand macht einen Abbruch aus einer nachmittäglichen Laune heraus. Es | |
| geht um einen schwerwiegenden höchstpersönlichen Konflikt. Abbrüche nach | |
| Beratung sind in Deutschland in den ersten 12 Wochen zwar straffrei, aber | |
| eben trotzdem verboten; also letztlich nur geduldet. Es bleibt die | |
| Botschaft an die Frau: Das ist falsch, das sollst du nicht. Ist das | |
| wirklich richtig? Eine Konfliktlösung ist es nicht. Damit treffe ich keine | |
| Aussage über den Wert von Leben vor der Geburt. Der Gesetzgeber hat ganz | |
| klar die Aufgabe, Leben zu schützen, da kommen wir nicht drumherum. Wie | |
| aber bringen wir diese Rechte und Schutzpflichten zusammen? | |
| Wenn Sie Ende März ihre Arbeit abschließen, steht die Europawahl vor der | |
| Tür, 2024 gibt es mehrere wichtige Landtagswahlen, und dann geht die | |
| Legislatur schon langsam zu Ende und der Bundestagswahlkampf beginnt. | |
| Besteht nicht das Risiko, dass Ihre Ergebnisse da völlig hinten | |
| runterfallen? | |
| Ob und wie schnell aus unserem Bericht konkrete Schritte folgen werden, | |
| kann ich heute nicht sagen. Tatsächlich ist in dieser Legislatur nicht mehr | |
| viel Zeit. Wichtig ist aber die Tatsache, dass das Thema in die Hand einer | |
| interdisziplinären Gruppe von Wissenschaftlerinnen gegeben wurde, die es | |
| umfassend behandeln und durchdenken. | |
| Das ist der erste essenzielle Schritt, und ich hoffe, dass unser Ergebnis | |
| dazu beitragen wird, dass Schwangerschaftskonflikte in Deutschland künftig | |
| besser gelöst werden können. Letztlich ist der Umgang mit dem Thema | |
| Schwangerschaftsabbruch ein Seismograf für die Rechte der Frauen in einer | |
| Gesellschaft. Eine neue Legislaturperiode entwertet die Argumentation | |
| nicht. | |
| 25 Jan 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Dinah Riese | |
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