| # taz.de -- Silvester in Berlin: Den Knall gehört | |
| > In der Hauptstadt kündigt die Polizei den größten Silvestereinsatz seit | |
| > Jahrzehnten an. Sozialarbeiter*innen setzen auf Gespräche und | |
| > Kontakt. | |
| Bild: Krawall in der Silvesternacht in Berlin 2022/2023: Jugendliche werfen Bö… | |
| Berlin taz | Eins will Sarah Nagel noch betonen: „Für viele Jugendliche | |
| hier ist Silvester das wichtigste Fest des Jahres.“ Mit Hinblick auf den | |
| Jahreswechsel hat Neuköllns Jugendstadträtin von den Linken | |
| Journalist*innen zu einem Gespräch geladen. „Anders als bei | |
| Familienfesten ist es ein Fest, bei dem sie eher unter sich sind. Das ist | |
| in dem Alter für viele interessant. Und auch Böllern finden viele | |
| attraktiv“, sagt sie. | |
| Dem Berliner Bezirk steht das Jahresende bevor. Im vergangenen Jahr war in | |
| der Silvesternacht in Neukölln ein Reisebus ausgebrannt, die Flammen waren | |
| bis zu den darüberliegenden Wohnungen geschlagen. Als die Feuerwehr kam, | |
| schossen Anwesende ihnen Böller und Feuerwerksraketen entgegen und knallten | |
| mit Schreckschusswaffen. Auch von anderen Einsatzorten, nicht nur in der | |
| Hauptstadt, berichteten Einsatzkräfte von Polizei und Feuerwehr, dass | |
| Jugendliche und junge Erwachsene sie attackiert hätten. Neukölln allerdings | |
| stand schnell im Fokus. Hier, so schien es, war es mal wieder besonders | |
| schlimm gelaufen. Hier, so hieß es bald, sei mal wieder die Integration | |
| gescheitert. Die CDU fragte deswegen explizit nach den Vornamen der | |
| Tatverdächtigen. | |
| Nun, ein knappes Jahr später, bereiten sich das Land Berlin, der Bezirk und | |
| Träger von Jugendsozialarbeit auf den Abend vor – und wollen auf | |
| unterschiedliche Art dafür sorgen, dass es diesmal friedlich bleibt. | |
| Berlins Polizeipräsidentin Barbara Slowik kündigte vor wenigen Tagen „den | |
| größten Polizeieinsatz an Silvester der letzten Jahrzehnte“ an – auch weg… | |
| des Nahostkonflikts, der „die Einsatzlage deutlich anspruchsvoller und | |
| komplexer“ mache. Mehr als 2.800 Kräfte sollen in Berlin zusätzlich | |
| eingesetzt werden. Im vergangenen Jahr waren es rund 1.300 | |
| Polizist*innen mehr. Auch die Staatsanwaltschaft ist verstärkt. Berlins | |
| Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) kündigte hartes Durchgreifen an. | |
| Die Polizei hatte zuvor bereits vier Böllerverbotszonen ausgewiesen. Drei | |
| davon gab es bereits in den vergangenen Jahren, neu hinzugekommen ist eine | |
| in Nord-Neukölln rund um den Hermannplatz und die Sonnenallee. Also dort, | |
| wo es auch in den vergangenen Jahren an Silvester Konflikte gegeben und wo | |
| [1][die Polizei nach dem Terroranschlag vom 7. Oktober wiederholt | |
| propalästinensische Versammlungen] untersagt und aufgelöst hatte. | |
| ## Dieses Jahr weniger Post-Corona-Aggression | |
| Neuköllns Bürgermeister Martin Hikel (SPD) sieht das Verbot allerdings | |
| skeptisch: „Es sorgt direkt in der Verbotszone sicher für etwas Ruhe, | |
| bindet aber auch viele Ressourcen der Polizei.“ Grundsätzlich sei es in | |
| Neukölln an Silvester noch nie ruhig gewesen. Ob Neukölln, ob Berlin ohne | |
| Gewalt ins neue Jahr kommen wird? Zu dieser Frage hält Hikel sich zurück – | |
| wie alle anderen auch. | |
| „Silvester 2022 zu 2023 war das erste nach Corona“, sagt Jugenstadträtin | |
| Nagel. „Wir hatten schon vor dem Jahreswechsel gemerkt, dass ein Potenzial | |
| für Aggressionen da ist.“ Im Vergleich dazu nähmen sie im Bezirk in diesem | |
| Jahr [2][eine andere Haltung und andere Pläne bei vielen Jugendlichen] | |
| wahr: „Sie reden diesmal weniger darüber, Einkaufsfahrten zu machen, um | |
| sich Böller zu besorgen. Wir gehen schon davon aus, dass das Potenzial in | |
| diesem Jahr geringer ist“, sagt Nagel. | |
| Im [3][Bezirk und auch bei der Jugendarbeit] war Silvester das ganze Jahr | |
| über mehr oder weniger unterschwellig Thema. Sie hätten damals direkt das | |
| Gespräch mit Jugendlichen gesucht, berichtet Nagel. „Da gibt es diejenigen, | |
| die selbst Angst vor exzessivem Böllern haben, und diejenigen, die das | |
| Verhalten in der Nacht verurteilt haben“, sagt sie. „Einige haben auch | |
| Verständnis dafür geäußert, dass hier Leute Druck abgebaut haben.“ Wichtig | |
| sei, mit ihnen im Gespräch zu bleiben und die Jugendlichen ernst zu nehmen. | |
| Im Vorfeld einzuwirken, könne Eskalationen vorbeugen. | |
| ## Fußballturniere zwischen Feuerwehr und Jugendliche | |
| „Natürlich besteht auch [4][die Sorge, dass es wieder knallen könnte] – u… | |
| dass dann wieder [5][pauschale Verurteilungen und rassistische | |
| Diskussionen] losgehen“, sagt Tabea Witt, Sozialarbeiterin und | |
| Geschäftsführerin von Outreach, einem Träger für Jugend- und | |
| Jugendsozialarbeit. Outreach wird berlinweit mehrere Partys mit | |
| Jugendlichen veranstalten, auch das als ein Versuch, den Abend zu | |
| befrieden. Es sei ihnen wichtig, die Jugendlichen in ihrem Bedürfnis nach | |
| Feiern ernst zu nehmen. „Sie haben das Recht auf Partys und einen schönen | |
| Jahreswechsel“, sagt Witt. Straßensozialarbeiter*innen von | |
| Outreach werden auch an Silvester unterwegs sein – in der Hoffnung, dass | |
| sie Dynamiken entschärfen können. | |
| Doch wichtiger ist für Witt das, was das ganze Jahr über passiert. Outreach | |
| biete etwa nun mehr Mitternachtssport an – als „Alternative zur Straße“ … | |
| auch, um einzuüben, wie die Jugendlichen sich eskalierenden Situation | |
| entziehen können. Außerdem hat der Träger in sechs Berliner Bezirken | |
| [6][Fußballturniere zwischen Feuerwehr und Jugendlichen] organisiert. „Am | |
| Interesse der Jugendlichen merken wir schon jetzt, dass sich das gut | |
| entwickelt“, sagt Witt. Die Idee zu solchen Treffen kam als Reaktion auf | |
| die vergangene Silvesternacht. Wie langfristig dieser Austausch gefördert | |
| wird, ist bisher unklar. | |
| Direkt nach den Krawallen 2022/23 hatte die Politik in Berlin zu einem | |
| [7][Gipfel gegen Jugendgewalt eingeladen]. Mit Vertretern von | |
| Rettungskräften und Trägern der Jugendsozialarbeit hatten sie sich dort | |
| bereits im Februar [8][auf Maßnahmen verständigt]. Die Politik kündigte an, | |
| dafür über zwei Jahre rund 70 Millionen Euro zur Verfügung zu stellen. 20 | |
| Millionen sollten noch 2023 fließen und [9][bereits bewährte Angebote | |
| verstärken und ausweiten]. | |
| Doch tatsächlich ging es erst ab September richtig los. Die | |
| Wiederholungswahl, die [10][Bildung einer neuen Regierung] und die | |
| Beratungen zum kommenden Doppelhaushalt hätten einiges verzögert, hieß es. | |
| Die [11][Politik hätte schon Mittel gehabt], das Geld auch früher zur | |
| Verfügung zu stellen, kritisierten Vertreter*innen der Jugendarbeit. | |
| „Klar hätten wir uns gewünscht, dass es früher losgeht“, sagt auch Witt. | |
| Sie sagt aber auch: „Wir haben schon das Gefühl, dass die Politik unsere | |
| Arbeit ernst nimmt und sieht, dass sie das ganze Jahr über wichtig ist.“ | |
| ## Die Rolle des Nahost-Konflikts | |
| Das hatte auch Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner nach dem | |
| dritten Gipfel gegen Jugendgewalt im Oktober betont. Er wolle sich dafür | |
| einsetzen, dass [12][die Arbeit langfristig und nicht nur von Jahr zu Jahr | |
| finanziert werde], sagte er. Wie genau, das ließ er allerdings offen. Und | |
| nur wenig später sagt er auch den Satz, den er seitdem noch oft wiederholen | |
| wird: dass „auch in der Silvesternacht der Rechtsstaat auf Berlins Straßen | |
| durchgesetzt“ werde. | |
| Doch die massive Polizeipräsenz – droht die nicht eher, Vertrauen wieder zu | |
| zerstören? Das erst mühsam in Fußballspielen und Treffen aufgebaut wurde? | |
| Zu der Frage halten sich die Akteur*innen aus Jugendhilfe, Politik und | |
| Verwaltung bedeckt. Die Polizeipräsidentin begründet den Einsatz auch mit | |
| dem Nahostkonflikt. „Die Situation in Gaza und Israel macht etwas mit fast | |
| allen Jugendlichen, teils auch über familiäre Verbindungen“, sagt Katrin | |
| Dettmer, kommissarische Leiterin des Jugendamts Neukölln dazu. „Das ist bei | |
| uns schon lange so.“ Allerdings münde das nicht in politische Proteste. | |
| „Unsere Jugendlichen sind nicht politisch organisiert, uns ist auch nicht | |
| bekannt, dass das mit Silvester verknüpft wird“, sagt sie. | |
| Die Demos in Solidarität mit den Menschen in Gaza und das, was dort | |
| passiere, wie die Polizei dort auftrete – das sei allerdings ein großes | |
| Thema bei den Jugendlichen. | |
| 29 Dec 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Propalaestinensische-Demos-in-Berlin/!5964978 | |
| [2] /Silvester-in-Berlin/!5977969 | |
| [3] /Haushaltsplan-fuer-Berlin/!5974025 | |
| [4] /Jugendarbeit-in-Berlin/!5978836 | |
| [5] /Neuer-Jugendstaatssekretaer-Falko-Liecke/!5924544 | |
| [6] /Jugendsozialarbeit-in-Berlin/!5956953 | |
| [7] /Politik-gegen-Jugendgewalt-in-Berlin/!5908495 | |
| [8] https://www.rbb24.de/politik/beitrag/2023/03/berlin-senat-20-millionen-gewa… | |
| [9] /Massnahmen-gegen-Jugendgewalt/!5954378 | |
| [10] /Regierung-in-Berlin/!5925641 | |
| [11] /Gewaltpraevention-nach-Silvesterrandale/!5947138 | |
| [12] /Silvestervorbereitungen/!5965300 | |
| ## AUTOREN | |
| Uta Schleiermacher | |
| ## TAGS | |
| Silvester | |
| Berlin-Neukölln | |
| Neukölln | |
| Feuerwehr | |
| Böller | |
| Feuerwerk | |
| Polizei | |
| Randale | |
| GNS | |
| Silvester | |
| Schwerpunkt Stadtland | |
| Schwerpunkt Stadtland | |
| Polizei Berlin | |
| Schwerpunkt Stadtland | |
| taz Plan | |
| Silvesterknallerei | |
| Silvester | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Berlin-Neukölln vor Silvester: Spektakel ohne Protagonisten | |
| Alle Augen waren zum Jahreswechsel auf Neukölln gerichtet, jenem Berliner | |
| Bezirk, in dem es schon mal knallt. Ein Rundgang im Risikogebiet. | |
| Kai Wegner und Katharina Günther-Wünsch: Die Beziehungen des Regierenden | |
| Der Regierende bestätigt das „süßeste Tuschelthema von Berlin“: Er hat e… | |
| „Neue“. Kaum ein Thema ist dagegen, dass es Kai Wegner repressiv mag. | |
| Arzt über Feuerwerksverletzungen: „Eine Handvoll pro Silvester“ | |
| Zu Jan Cruse kommen zu Silvester viele Patienten. Er ist Chirurg in | |
| Hamburg. Ein Gespräch über Feuerwerksverletzungen und das medizinisch | |
| Machbare. | |
| Pro-Palästina-Demo in Silvesternacht: Von Berliner Polizei verboten | |
| Die Demo im Bezirk Neukölln darf nicht stattfinden, da mit Straftaten zu | |
| rechnen sei. Bundesinnenministerin Faeser sichert für Silvesternacht | |
| „äußerste Wachsamkeit“ zu. | |
| Für Silvester auf den Polenmarkt: „Digga, ich will Hokuspokus machen“ | |
| Hohenwutzen gilt als Böller-Eldorado, erreichbar per Shuttle aus Berlin. | |
| Dort rüstet sich die Hauptstadtjugend mit Feuerwerk für Silvester aus. | |
| Bewegungstermine in Berlin: Es geht wieder los | |
| Das neue Jahr wird vermutlich starten wie schon 2023: mit einer | |
| rassistischen Silvesterdebatte. Was tun gegen die gesellschaftliche | |
| Verrohung? | |
| Böllerverbot zu Silvester?: Genug andere Sorgen | |
| Klar, gegen das Böllern spricht Vieles. Aber die unbeliebte Ampel wäre | |
| schlecht beraten, für einen Tag Ruhe noch mehr Unmut zu provozieren. | |
| Polizeieinsätze zu Silvester: Aufrüsten für den Jahreswechsel | |
| Die Polizei rechnet zu Silvester erneut mit Ausschreitungen und reagiert | |
| mit Großaufgeboten. Innenministerin Faeser warnt vor einer Terrorgefahr. |