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# taz.de -- Rehabilitation in der Ukraine: Im Krieg wieder laufen lernen
> In einer Klinik in der Westukraine arbeiten Therapeuten mit schwer
> verletzten Soldaten. Einer der Helfer kommt aus Nepal, ein anderer aus
> dem Libanon.
Bild: März 2022: Freiwillige evakuieren einen verwundeten Soldaten in Irpin, k…
Serhii schaut nach unten auf seinen seinen linken Fuß und dreht ihn langsam
nach innen. „Cool! Schau nur wie weit das schon geht“, sagt er und blickt
auf. Seine braunen Augen werden ganz groß. „Vor drei Wochen konnte ich den
Fuß gar nicht bewegen.“ Er sitzt im Rollstuhl und trägt einen graumelierten
Jogginganzug, der an ihm etwas zu groß wirkt. So passt auch das Gestell
aus Metallstangen und Schrauben in die Hose, das bei Serhii von der Hüfte
abwärts das zusammenhält, was mal sein rechter Ober- und Unterschenkel war.
Das untere Ende des Hosenbeins ist leer.
Der schlanke Mann mit den braunen Haaren ist gerade in den Raum gekommen.
Er wartet auf seine tägliche Physiotherapie. Hier will er lernen, das linke
Bein wieder voll zu belasten. Für das rechte möchte er eine Prothese
bekommen.
Das helle Zimmer mit Blick auf den verschneiten Parkplatz befindet sich im
Erdgeschoss einer Klinik in Winnyzja. Auf rund 30 Quadratmetern grauer
Auslegeware sind Behandlungsliegen und allerlei Gerätschaften aufgebaut:
Sprossenwände für Klimmzüge, ein Laufband, Medizin- und Sitzbälle sowie
Yogamatten. Es ist warm. Die Patienten tragen T-Shirts.
Bis zu einem halben Dutzend Patienten sind gleichzeitig hier. Einer beugt
sich auf einer Yogamatte seitwärts über einen Medizinball. Ein anderer
liegt auf seiner Liege. Ein Physiotherapeut hilft ihm dabei, sein Bein zu
bewegen. Es ist unterhalb des Knies amputiert. Am Fenster sitzt ein Patient
im Rollstuhl. Er hat Erfrierungen an Beinen und Armen erlitten. Ein
Therapeut arbeitet nun mit ihm an der Beweglichkeit seiner Finger. Er soll
sie langsam immer weiter ausstrecken und dann wieder zur Faust ballen.
Zwischen den Übungen haben Helfer und Patienten kurz Zeit für ein Gespräch.
Winnyzja liegt zirka 250 Kilometer südwestlich von Kyjiw. In beiden Städten
betreibt Ärzte ohne Grenzen ein Projekt mit je einer
Gesundheitseinrichtung, das die Rehabilitation [1][von Kriegsverletzten]
unterstützt. Ein internationales Team von Physiotherapeut:innen und
Psychiater:innen betreut dabei selbst Patienten und soll auch die
einheimischen Mitarbeiter:innen weiterbilden. „Die Brutalität dieses
Krieges erzeugte eine große Zahl an Patienten mit schweren Verletzungen und
einen großen Bedarf an postoperativer Therapie“, heißt es in einem Bericht
der NGO. Der Schwerpunkt der Klinik in Winnyzja liegt auf der Therapie von
Patienten mit Amputationen. Andere Krankenhäuser haben sich auf Kopf- oder
Rückenverletzungen spezialisiert.
Wie das Krankenhaus heißt, wo es genau liegt und wie es von außen aussieht,
soll nicht öffentlich genannt werden. So will es Ärzte ohne Grenzen. Solche
roten Linien ziehen sie auch in anderen ukrainischen Krankenhäusern bei der
Berichterstattung. Russland hat schon häufig Krankenhäuser angegriffen,
deshalb sollen möglichst wenig Informationen herausgegeben werden.
Fotografiert werden darf nur im Inneren. Die Gesichter der behandelten
Soldaten sollen ebenfalls nicht gezeigt werden, um sie und ihre Familien zu
schützen. Und von den Menschen, mit denen die taz für diesen Text
gesprochen hat, nennen wir nur die Vornamen.
Serhii kommt aus Winnyzja selbst. Mit dem Militär hatte er nie etwas zu
tun, sagt er. Bis Russland im Februar 2022 versuchte, die ganze Ukraine zu
unterwerfen. Zuletzt arbeitete er als Manager in einer Installationsfirma.
Er spricht leise und hat eine weiche Stimme. „Ich wurde eingezogen“, sagt
der 38-Jährige. In den ersten Kriegsmonaten war das selten. Selbst bei
Freiwilligen hat die Armee meist nur solche mit militärischer Erfahrung
akzeptiert. Serhii vermutet, dass er einberufen wurde, weil er mal fünf
Jahre als Rettungssanitäter gearbeitet hat. „Das war wohl eine gefragte
Qualifikation“, sagt er und legt den Kopf schräg.
Nach einigen Wochen militärischem Training schickte ihn die Armee im Juni
als Sanitäter an die Front im Süden. Dort, zwischen den Großstädten Cherson
und Mykolajiw, trat er im Oktober auf eine Mine. „Wir haben versucht, einen
verletzten Soldaten zu evakuieren“, erinnert er sich. Dabei sei es
passiert. „Ich hatte Angst, beide Beine zu verlieren.“ Bei seiner Rettung
hat alles gut funktioniert, sagt Serhii. „Zwei Stunden nach der Explosion
war ich in Mykolajiw im OP.“ Doch nach 20 Tagen in Fixierung habe es
Komplikationen gegeben. „Es gab eine Blutung. Ich habe das Bewusstsein
verloren.“ Als Serhii wieder zu sich kam, fehlte ihm sein rechter Fuß.
Anschließend verbrachte er zwei Monate in einem Krankenhaus [2][in Odessa],
danach verlegten sie ihn nach Winnyzja. Auch hier mussten die Ärzte noch
mal operieren. Sie hatten eine Nervenverletzung im linken Bein entdeckt.
Serhii krempelt die Hose hoch und zeigt eine Narbe unterhalb des Knies. Die
Stiche ziehen sich in einem Halbkreis unter seiner Kniescheibe entlang. Nun
hofft er, dass die Fortschritte bei der Therapie weitergehen. „Ich will
wieder arbeiten.“ Welche Möglichkeiten er später hat, hängt davon ab, wie
seine Therapie verläuft.
## Sicherheit bedeutet hier wenige Fenster und ein tiefer Keller
Während die Therapeuten die Patienten behandeln, hält Natalia als
stellvertretende Projektleiterin die Fäden zusammen. Vor der Invasion war
sie Englischlehrerin. Nun kommuniziert sie mit den ukrainischen Behörden
und den internationalen Helfern. „Ich habe gefühlt, dass ich etwas tun
muss“, erinnert sie sich. Dann sei sie auf Ärzte ohne Grenzen gestoßen,
sagt sie beim Kaffee im Büro der NGO in einem Hochhhaus am Rande der
Innenstadt von Wynnizja. Von der Klinik bis hierher sind es mehrere Minuten
mit dem Auto. Es gibt wenige Fenster und einen tiefen Keller, deswegen hat
Ärzte ohne Grenzen das Haus ausgesucht. Hier sind die Mitarbeiter bei
Raketenbeschuss relativ sicher. Und hier bereiten sich die Helfer vor und
erledigen Papierkram.
„Die Helfer von Ärzte ohne Grenzen bringen viel Erfahrung mit“, sagt sie.
Davon wolle man so viel wie möglich lernen. „Wir werden das noch brauchen.“
Der Bedarf sei riesig. Im Krankenhaus will man bald einen dritten
Therapieraum eröffnen. Man überlege, das Projekt auf eine weitere
Rehaklinik in Winnyzja auszuweiten. „Wir haben es hier mit Verletzungen zu
tun, die in Friedenszeiten selten sind. Das Krankenhaus hier hatte früher
drei oder vier Amputationspatienten im Jahr, nun sind es drei oder vier am
Tag.“ Viele der Patienten seien mehrfach verletzt. Zehn Operationen seien
keine Seltenheit. Seit dem Projektstart habe man 294 Patienten behandelt.
Davon 161 in Winnyzja.
Ärzte ohne Grenzen unterhält in der Ukraine eine ganze Reihe von Projekten.
Kurz vor Jahreswechsel arbeiteten nach eigenen Angaben 116 internationale
und 685 ukrainische Mitarbeiter für die Organisation. In mehreren Regionen,
die vorübergehend von Russland besetzt waren, sind ihre Teams unterwegs.
Die Angreifer haben oft auch die medizinische Infrastruktur zerstört. In
anderen Regionen engagiert sich Ärzte ohne Grenzen in der Betreuung von
Binnenflüchtlingen. Außerdem betreibt die Organisation einen Zug, der seit
März 2022 ältere, behinderte und psychoneurologische Patienten aus
Krankenhäusern in der Nähe der Frontlinie evakuiert.
An einer Sprossenwand im Therapieraum ist ein Gummiband angebracht. Der
Patient, dem ein halber Unterschenkel amputiert wurde, soll es mit dem
verletzten Bein zurückziehen. „Wir müssen die Balance vorbereiten für die
Prothese“, erklärt Sudan. Er ist einer der Physiotherapeuten aus dem
Ausland. Er trägt grüne Krankenhauskleidung und eine Maske. Man sieht an
seinen Augen, dass er meist lächelt. Der Beinstumpf des Patienten ist nicht
voll ausgeheilt und bandagiert. Trotzdem soll der Mann trainieren, damit
sich die Muskulatur nicht zurückbildet.
Sudans Weg in die Ukraine war lang. „Ich komme aus Nepal.“ Als er im
Februar die Bilder vom Krieg in der Ukraine sah, habe er gewusst, dass
Hilfe nötig sei. 42 Stunden sei er schließlich unterwegs gewesen, als er im
August ins Land kam. Der 32-Jährige arbeitet seit sieben Jahren als
Physiotherapeut. Mitarbeiter wie Sudan findet Ärzte ohne Grenzen in vielen
Ländern. Wer sich bereit erklärt, wird bei Bedarf einem konkreten Projekt
zugeordnet. Internationale und einheimische Mitarbeiter werden meist für
die Dauer von sechs bis neun Monaten angestellt.
Sein Einfluss sei leider begrenzt, sagt Sudan. Viele der Patienten hätten
bereits viel Muskulatur verloren. „Oft dauert es vier Wochen, bis sie hier
sind. Am besten für die Behandlung ist es aber, so früh wie möglich nach
der Verletzung zu beginnen.“ Es wäre besser, wenn die Patienten schon ein,
zwei Tage nach der Operation mit der Reha anfangen. „Manchmal sind ihre
Beine nur noch so dünn wie die Arme.“ Sudan sagt, die Patienten sollten
sich so bald wie möglich auf Krücken fortbewegen können. Das sei wichtig
für die Muskulatur und außerdem für die Psyche.
Das gestaltet sich allerdings oft schwierig. Viele von Sudans Patienten
haben multiple Verletzungen. „Die meisten wurden bei Minenexplosionen
verwundet.“ Zur Wucht der Explosion kommen Splitter, die oft große Wunden
reißen. „Viele Patienten haben viel Blut verloren und sind entsprechend
schwach“, sagt Sudan. Sie haben zudem oft große Schmerzen. „Sie müssen ab…
schmerzfrei sein, sonst können wir hier nicht arbeiten.“
Nicht allen Patienten kann Sudan hier in Winnyzja so helfen, wie sie es
wünschen. „Manchmal ist es nicht realistisch“, sagt er. Gerade habe er
einen Patienten gehabt, dem ein Bein direkt unterhalb der Hüfte amputiert
worden sei. Er möchte gern eine Prothese. Aber Sudan darf auch keine
falschen Hoffnungen wecken. Es ist einfach zu wenig übrig, um eine Prothese
daran zu befestigen.
## Es gibt zu wenige Physiotherapeuten im Land
Das größte Problem für die Versorgung: Es gibt zu wenige Menschen, die
verletzte Ukrainer fachgerecht behandeln können. Nach den Daten der OECD
kamen in der Ukraine vor dem Beginn der großangelegten russischen Invasion
auf 10.000 Einwohner 0,68 Physiotherapeuten. In Deutschland sind es 24. Die
geringe personelle Kapazität steht nach dem russischen Angriff im Februar
2022 einem enormen Bedarf gegenüber. Genaue Zahlen zu Verwundeten
publiziert die ukrainische Regierung genauso wenig wie zu den Gefallenen.
Aber angesichts des Umfangs der Kampfhandlungen und der Raketen- und
Drohnenangriffe auf zivile Ziele sind es wahrscheinlich Zehntausende.
Mit so vielen Verletzten wäre wahrscheinlich jedes Gesundheitssystem stark
belastet. In der Ukraine gilt zwar die Krankenhausversorgung zum Beispiel
in der Chirurgie als vergleichsweise gut. Jahrzehntelang bildeten die
Universitäten des Landes den medizinischen Nachwuchs für viele
Entwicklungsländer aus. Die Behandlung ist für Ukrainer:innen kostenlos.
Allerdings war das Gesundheitssystem jahrzehntelang unterfinanziert, sodass
Kosten für Medikamente sowie Vor- und Nachsorge an den Patienten hängen
blieben. Physiotherapie konnten sich viele einfach nicht leisten.
Entsprechend schwach entwickelt ist der Sektor.
Ein zweiter Serhii betritt den Therapieraum auf Krücken. Fast 1,90 Meter
groß und ein Kreuz, als würde er seit seiner Jugend rudern und Zementsäcke
schleppen. Aus seiner kurzen schwarzen Sporthose ragt nur ein Bein. Erst
ein paar Tage vorher hat die deutsche Regierung angekündigt, der Ukraine
auch Kampfpanzer zu liefern. „Jetzt kann ich auch wieder mit den Deutschen
reden“, scherzt Serhii. Er sagt den Satz auf Deutsch, das unterrichten
immer noch viele Schulen [3][in der Ukraine].
Serhii Nummer zwei nimmt Platz. Der muskulöse Stumpf seines amputierten
Oberschenkels wird sichtbar. Die Wunde ist gut abgeheilt. Die Narbe sieht
glatt aus und ist nicht mehr rosa. Bald kann er eine Prothese bekommen.
Doch das eigentlich gewünschte Modell würde 70.000 Euro kosten. Zu teuer
für ihn. Stattdessen soll es nun ein anderes Fabrikat werden. „Damit kann
man Fahrrad fahren“, sagt er. „Vielleicht sogar rennen.“
Die Therapie nimmt Serhii wie eine Trainingseinheit an. Damit kann er
umgehen. Er hat Gürtel in mehreren Kampfsportarten und hat im Gym des
Boxweltmeisters Oleksandr Ussyk trainiert. Die Statur für das Schwergewicht
hat er. Er zeigt auf dem Smartphone ein Video. Der kurze Film zeigt ihn bei
der Therapie. Serhii macht Sit-ups und hält dabei einen fünf Kilo schweren
Medizinball über dem Kopf. Wie zur Bestätigung seiner Fitness macht er
gleich noch ein paar Klimmzüge.
Er war Kommandeur einer Einheit im Donbass. Offizier im Rang eines
Hauptmanns. Doch wie sein Namensvetter ist auch dieser Serhii kein
Berufssoldat. Der 38-Jährige stammt aus Oleksandria in der Zentralukraine.
Nach der Schule sei er damals in die Akademie der Grenztruppen eingetreten.
Nach dem Wehrdienst habe er aber Jura studiert und als Staatsanwalt
gearbeitet. Als Russland 2014 die Ukraine angriff, wurde er mobilisiert,
weil er Reservist war. Ein Jahr hat er seinerzeit im Donbass gekämpft.
„Aber danach wollte ich etwas anderes“, sagt er. Und machte sich als Anwalt
selbstständig.
Als Russland seine großangelegte Invasion am 24. Februar begann, war Serhii
zu Hause. Zuerst habe er seine Frau, seine sechsjährige Tochter und den
dreijährigen Sohn in Sicherheit gebracht. „Sie wohnen jetzt in der Nähe des
Bodensees. Sehr schön dort.“ Drei Tage später stieß er zu seiner Einheit in
der Nähe des Flughafens von Donezk. „Dort habe ich fünfeinhalb Monate
gekämpft.“ Dann wurde er verwundet.
Er zeigt auf dem Smartphone ein Video aus der Zeit vor seiner Verwundung.
Man sieht ukrainische Soldaten in einem Schützengraben. In einer Ecke liegt
etwas Grünes, das wie Laub aussieht. Tatsächlich handelt es sich dabei um
eine sogenannte Schmetterlingsmine. Meist werden sie als Streumunitiuon
verschossen. Sie sind kaum zu entschärfen und müssen an Ort und Stelle
gesprengt werden. Auf dem Video sieht man erst, wie Serhiis Soldaten die
Mine in dem Graben aus einiger Entfernung mit einem Holzknüppel bewerfen,
bis sie hochgeht. Auf eine andere schießen sie.
Es war knapp für Serhii, in mehrerer Hinsicht. „Am 16. August hatten wir
ein Gefecht mit einer Einheit der Wagner-Söldner“, erinnert er sich. Serhii
wurde getroffen. Aber das Projektil blieb in seiner Schutzweste stecken.
Als die Soldaten versuchten, die Stellung zu wechseln, muss jemand auf eine
Landmine getreten sein. „Bei der Explosion hat ein Soldat beide Augen
verloren, ein anderer beide Beine.“ Serhii selbst durchtrennte ein
Schrapnell die Arterie in seinem linken Bein. Er habe es geschafft, sich
schnell genug das Tourniquet selbst anzulegen und die Blutung abzubinden.
„Dann habe ich die anderen bandagiert.“
## Serhii träumt vom Spielen mit seinen Kindern
Doch auch bei diesem Serhii gab es Komplikationen. Bei der Notoperation
wurde offenbar ein Teil des Schrapnells übersehen, sagt er. Die Folge:
Blutvergiftung. „Das Bein musste amputiert werden.“ Serhii wurde erst nach
Kyjiw gebracht, im September dann nach Winnyzja. Allerdings heilte die
Wunde nicht gut und er musste noch mal operiert werden. Wovon er nun
träume? „Ich will mit meinen Kindern Fangen spielen können.“
Um mit der Physiotherapie zu beginnen, müssen die Patienten sie auch
wollen. Das ist keine Selbstverständlichkeit. Nicht selten verlieren
Verwundete den Lebensmut, wenn sie begreifen, dass vieles, was ihr Leben
bis dahin ausgemacht hat, nicht mehr möglich ist. „Viele Patienten zweifeln
am Sinn ihres Daseins. Einige sind selbstmordgefährdet“, sagt Psychiater
Hassan im Besprechungsraum mit der Glasfront und den weißen Wänden. Der
34-Jährige gehört zum internationalen Team von Ärzte ohne Grenzen und kommt
aus dem Libanon. Er trägt einen gestutzten Vollbart, die dunklen Haare
zusammengebunden.
Für die NGO war er auch schon in Liberia, Jordanien und im Irak. Dort, wo
die Terrorgruppe Isis gewütet hat, habe es auch viele Amputationspatienten
gegeben. Seit August 2022 ist Hassan in der Ukraine. Anfangs arbeitete er
in einem Projekt, das Patienten aus Gebieten in Frontnähe evakuiert hat. Im
Oktober habe er dann in der Reha angefangen. „Alle zwei, drei Wochen
pendele ich zwischen Kyjiw und Winnyzja“, erzählt er im Büro der NGO. Er
fühle sich verantwortlich, zu helfen. „Wenn ich die Patienten sehe, weiß
ich, ich bin am richtigen Ort.“
Dabei gehen die Patienten sehr unterschiedlich mit ihren Verletzungen um.
„Die meisten haben keine militärische Erfahrung und haben sich trotzdem
gemeldet.“ Das sei beeindruckend. „Viele haben die Kapazität, damit
klarzukommen.“ Er hätte beispielsweise mehr Patienten mit posttraumatischen
Belastungsstörungen erwartet. Normalerweise würde viele Menschen den Ort
ihrer Traumatisierung meiden. „Aber viele der Soldaten wollen sogar zurück
an die Front.“ Offenbar sei das eine Bewältigungsstrategie.
Andere Soldaten gingen weniger offen mit ihren Verletzungen um. Manchmal
wissen die Familien noch nach Monaten nicht, was für eine Verletzung ihr
Vater, Bruder, Mann oder Freund eigentlich hat. „Sie machen sich Sorgen,
wie ihre Kinder reagieren. Sind sie noch deren Superheld?“ Andere sind
enttäuscht, machen sich Vorwürfe, empfinden Scham. „Wir haben es auch mit
toxischer Männlichkeit zu tun“, sagt Hassan. Man gestehe sich nicht zu, zu
trauern und zu weinen. Das stehe dann aber dem eigenen Umgang mit dem
Erlebten im Weg. „Oft dauert es bis zu drei Wochen, bis die Patienten
überhaupt reden wollen.“ Die Zeit fehle in der Therapie, denn die meisten
seien nur vier bis sechs Wochen in der Klinik. Umso wichtiger sei es, dass
die psychiatrische Behandlung danach fortgesetzt werde.
Wie es mit Patienten wie den beiden Serhiis weitergeht, hängt vom Erfolg
ihrer Therapie ab. Und von der Schwere ihrer Verletzungen. Bei Serhii im
Rollstuhl dauert die Behandlung sicher noch Wochen. Allein das Entfernen
des Metallgestells verlangt nach einer eigenen Operation. Erst danach kann
er mit der Physiotherapie für das amputierte rechte Bein beginnen. Der
andere Serhii geht mit seinen Krücken am Tag nach dem Treffen im
Krankenhaus schon im Zentrum von Winnyzja spazieren.
9 Feb 2023
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## AUTOREN
Marco Zschieck
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