# taz.de -- Queere Rechte in Deutschland: Kritik am Selbstbestimmungsgesetz | |
> Verschiedene Verbände begrüßen das geplante Gesetz, das die Änderung des | |
> Geschlechtseintrags neu regeln soll. Allerdings festige es auch | |
> Diskriminierung. | |
Bild: Familienministerin Paus und Justizminister Buschmann stellen Papier zum S… | |
BERLIN taz | Am Dienstag endete die Verbändebeteiligung zum | |
Selbstbestimmungsgesetz (SBGG). Der von Justiz- und Familienministerium | |
[1][geplante Gesetzentwurf] wird vor allem von juristischen Verbänden, | |
Betroffenenverbänden und teils von Frauenschutzverbänden begrüßt. Einige | |
Details werden jedoch scharf kritisiert, da sie Vorurteile zementieren und | |
teilweise zu einer Verschlechterung der Gesetzeslage beitragen würden. | |
Rechte Politiker_innen wie trans-exkludierende Frauenvereine dagegen lehnen | |
das Gesetz ab. | |
Das geplante Gesetz soll eine möglichst niedrigschwellige Änderung des | |
Geschlechtseintrags ermöglichen. Es soll das in Teilen verfassungswidrige | |
Transsexuellengesetz von 1980 ablösen, das in dem Glauben eingeführt wurde, | |
dass trans Menschen „krank“ seien: Deshalb sind trans, inter und | |
nichtbinäre Menschen zurzeit mit Gerichtsverfahren wie psychologischer | |
Begutachtung konfrontiert, in denen sie teils demütigende Fragen zur | |
Intimsphäre beantworten müssen, was mit dem künftigen Gesetz nicht mehr der | |
Fall sein wird. | |
Der Gesetzentwurf sieht vor, dass der Geschlechtseintrag sowie Vornamen | |
künftig beim Standesamt geändert werden können. Nach einer dreimonatigen | |
Wartezeit ist die Änderung gültig. Kinder und Jugendliche sollen mit dem | |
Einverständnis ihrer Sorgeberechtigten Vornamen sowie Geschlechtseintrag | |
ändern können. Sind die Jugendlichen über 14 Jahre alt und ihre | |
Sorgeberechtigten stimmen nicht zu, kann ein Familiengericht diese | |
Zustimmung ersetzen. | |
Nun gibt es Kritik, auch aus Regierungskreisen selbst: Sven Lehmann, | |
Staatssekretär im Familienministerium von Lisa Paus (beides Grüne) | |
veröffentlichte am Dienstag eine [2][achtseitige Stellungnahme] zum Gesetz. | |
Dabei kritisiert er vor allem den sogenannten Hausrechtsparagraphen, die | |
Wartezeit von drei Monaten sowie das Offenbarungsverbot, das ihm nicht weit | |
genug geht. | |
Das Offenbarungsverbot sieht bei Outing gegen den Willen der Person oder | |
Deadnaming, der Verwendung des ehemaligen Namens, eine Strafe von bis zu | |
10.000 Euro vor. Lehmann kritisiert daran vor allem, dass eine Schädigung | |
der Person vorliegen muss und dass es zu viele Ausnahmen für die Verbote | |
gibt – wie etwa ehemalige Ehepartner_innen. | |
## Buschmann brachte Hausrechtsparagraphen ins Spiel | |
Die Juristin Lea Beckmann von der [3][Gesellschaft für Freiheitsrechte] | |
(GFF) kritisiert ebenfalls die geplante Regelung zum Offenbarungsverbot: | |
„Das bisherige Offenbarungsverbot gilt als ‚Papiertiger‘, weil es nicht | |
sanktionsbewährt ist. Insofern ist es ein wichtiger Schritt, dass ein | |
Verstoß dagegen nunmehr bußgeldbewährt sein soll.“ | |
Anders als der Queerbeauftragte sei die GFF jedoch der Auffassung, dass es | |
dem grundrechtlichen Schutz besser gerecht würde, wenn auch fahrlässige | |
Offenbarungen mit Bußgeldern belegt werden können. „Denn eine schlampige | |
Aktenführung des Arbeitgebers kann echte Gefahren für ‚zwangsgeoutete‘ | |
Betroffenen verursachen“, so Beckmann. „Ob Vorsatz oder Fahrlässigkeit | |
vorlag wird noch ausreichend Berücksichtigung bei der Höhe des Bußgelds | |
finden können und müssen.“ | |
Der Hausrechtsparagraf kam erstmals [4][im Januar ins Spiel, als | |
Justizminister Marco Buschmann (FDP)] in einem Interview mit der Zeit das | |
Hausrecht von Saunabetreiber_innen betonte. Der Deutsche Sauna-Bund begrüßt | |
diesen Paragrafen ausdrücklich. Er begründet das mit dem „Bedürfnis nach | |
dem Schutz der Intimsphäre oder auch auf die Befürchtung einer Belästigung | |
oder sexuellen Belästigung Rücksicht zu nehmen“. | |
Jurist_innen wie Frauenschutzverbände kritisieren diese Herangehensweise im | |
Gesetz. Der Bundesverband Frauenberatungsstellen (bff) stellte etwa [5][in | |
seiner Stellungnahme klar]: „Trans, inter und nichtbinäre Personen sind in | |
sehr hohem Maße von geschlechtsspezifischer Gewalt und sexistischen | |
Übergriffen betroffen“, und weiter: „Durch das Selbstbestimmungsgesetz | |
werden Damentoiletten, Umkleiden und Duschen nicht weniger sicher als | |
bisher. An solchen Orten kommt es immer wieder zu Übergriffen vor allem | |
durch cis Männer.“ | |
## Juristinnenbund bemängelt unzureichenden Schutz | |
[6][Der Deutsche Juristinnenbund (djb)] kritisiert die „Drohszenarien und | |
Missbrauchsmöglichkeiten“, die vertieft im Entwurf erörtert würden und | |
„nicht auf empirischen Anhaltspunkten beruhen“. So stellt der der | |
Juristinnenbund klar, dass der „Sinn und Zweck des | |
Selbstbestimmungsgesetzes eigentlich die Verbesserung der rechtlichen | |
Situation einer Personengruppe ist, die von geschlechtsbezogener | |
Diskriminierung betroffen ist“. | |
Nachbesserungsbedarf sieht der djb neben dem Hausrecht auch an der | |
Bewertung sportlicher und medizinischer Maßnahmen, die er als rechtlich | |
überflüssig wertet. Im Gesetzentwurf ist auch eine Interimslösung zum | |
Abstammungsrecht vorgesehen – der djb schlägt eine andere Lösung vor, genau | |
wie beim Offenbarungsverbot, das unzureichenden Schutz böte. Zudem sieht | |
der djb Nachbesserungsbedarf bei der Finanzierung von Beratungsangeboten | |
wie beim Entschädigungsfonds. Im [7][Interview mit der taz hatte | |
Familienministerin Paus betont], dass letzterer ausdrücklich nicht durch | |
das Selbstbestimmungsgesetz geregelt werde. | |
Auch Arbeitnehmer_innen des Zusammenschlusses „Prout at Work“ äußerten si… | |
zu dem Entwurf. Darin heißt es, dass „der aktuelle rechtliche Rahmen den | |
Abbau von Diskriminierung am Arbeitsplatz und beeinträchtigt die Inklusion | |
von trans*, intergeschlechtlichen und nicht-binären Personen am | |
Arbeitsmarkt erschwert“. Dazu gehören neben einzelnen Organisationen wie | |
dem Bundesverband Intergeschlechtlicher Menschen e.V. Unternehmen wie | |
Pfizer, Ikea und Ben&Jerry's. | |
## Der Bundesverband Trans* feiert nicht nur | |
Der Bundesverband Trans* (BVT*) betonte, dass „dem Verband nach der | |
eingehenden Beschäftigung mit dem vorgelegten Entwurf nicht nur zum Feiern | |
zumute“ ist. Die zunehmend transfeindlichen Narrative in der Gesellschaft | |
und den Medien würden sich im Gesetz verfestigen. Der Verband fordert in | |
seiner [8][32-seitigen Stellungnahme] das Ende der dreimonatigen | |
Wartefrist. | |
Der BVT* versteht allerdings die Kritik des Queerbeauftragten Sven Lehmann: | |
„Die Kritik an dem Passus zum Hausrecht teilen wir beim Bundesverband | |
Trans*“, so [9][Kalle Hümpfner] vom Verband. „Ebenso wie Sven Lehmann | |
befürchten wir, dass durch diese Regelung neue Unsicherheiten geschaffen | |
werden. Auch den Kritikpunkten zum Offenbarungsverbot und zur dreimonatigen | |
Wartefrist, die in der Stellungnahme des Queerbeauftragten genannt werden, | |
stimmen wir als Verband vollumfänglich zu.“ | |
Kalle Hümpfner spricht sich dafür aus, dass die Änderungen des Gesetzes | |
weitergehend sein sollten: „Ergänzend haben wir als Verband noch | |
ausführlich die Situation von minderjährigen Personen sowie das Themenfeld | |
Elternschaft in unserer Stellungnahme beleuchtet.“ So warnt der Verband vor | |
der Vorwegnahme einer abstammungsrechtlichen Reform in seiner | |
Stellungnahme. Im Entwurf ist bislang eine Übergangslösung für trans, inter | |
und nicht-binäre Eltern vorgesehen: Wurde [10][bislang ein falsches | |
Geschlecht in der Geburtsurkunde der Kinder] festgehalten, so können | |
künftig die Worte „Mutter“ wie „Vater“ durch die Bezeichnung „Eltern… | |
ersetzt werden. | |
Stärker noch [11][kritisiert der Verein Intergeschlechtliche Menschen e.V.] | |
das Gesetz: „Wir verstehen nicht, dass die Begründung des Gesetzestexts den | |
Weg der geschlechtssensiblen Formulierungen stellenweise verlässt und in | |
binäre Muster zurückfällt“, heißt es darin. „Weiterhin ist in der | |
Gesetzesbegründung ein klarer Fokus auf trans und nicht-binäre Menschen zu | |
erkennen, der unserer Ansicht nach im Widerspruch zum Grundgedanken nach | |
Vereinheitlichung der Rechtsnormen steht.“ Das führe zu | |
Teilhabeausschlüssen. Der Verein fordert deshalb eine Streichung von | |
Paragraph 7, der die Quotenregelung von Gremien und Organen regelt. | |
31 May 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Einigung-auf-Gesetzentwurf/!5931168 | |
[2] https://www.sven-lehmann.eu/wp-content/uploads/2023/05/Stellungnahme-des-Qu… | |
[3] /Gesetzentwurf-gegen-digitale-Gewalt/!5933312 | |
[4] /Verzoegerung-von-Selbstbestimmungsgesetz/!5904850 | |
[5] https://www.frauen-gegen-gewalt.de/de/aktuelles/nachrichten/nachricht/stell… | |
[6] https://www.djb.de/fileadmin/user_upload/st23-16_Selbstbestimmungsgesetz.pdf | |
[7] /Lisa-Paus-zur-Kindergrundsicherung/!5928142 | |
[8] https://www.bundesverband-trans.de/wp-content/uploads/2023/05/2023_05_30_St… | |
[9] /Expert_in-ueber-Selbstbestimmungsgesetz/!5926716 | |
[10] /Rechtliche-Anerkennung-von-trans-Eltern/!5923386 | |
[11] https://im-ev.de/selbstbestimmungsgesetz/ | |
## AUTOREN | |
Nicole Opitz | |
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