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# taz.de -- Konferenz zum Selbstbestimmungsgesetz: Zerknüllt am Boden
> In Kreuzberg diskutieren Aktivist*innen über die Selbstbestimmung von
> trans, inter und nichtbinären Personen. Das neue SBGG wird scharf
> kritisiert.
Bild: Papierkram: Die „Vierte Welt“ in Kreuzberg während der „Queerokrat…
Berlin taz | Es raschelt unter den Füßen der Aktivist*innen, die die
Konferenzräume betreten. Wie ein Meer aus Papier bedecken die zerknüllten
Seiten des Selbstbestimmungsgesetzes (SBGG) den Boden der „Vierten Welt“ in
Kreuzberg. In dem Theater und Veranstaltungsort am Kottbusser Tor fand bis
Sonntag die „Queerokratia“ statt, eine viertägige Konferenz für die
Selbstbestimmung von trans, inter und nichtbinären (tin*) Personen.
Organisiert wurde das bundesweite Vernetzungstreffen mit ungefähr 150
Teilnehmenden vom Bündnis „Selbstbestimmung Selbst Gemacht“. Luce deLire
ist Mitglied des Bündnisses und erklärt, dass der Titel „Queerokratia“ ei…
„Aneignung von Demokratie“ und die „Herrschaft der Queers über sich selb…
beschreibt.
Anlass für die vom Hauptstadtkulturfonds geförderte Konferenz ist das
Selbstbestimmungsgesetz, [1][das am 1. August in Kraft treten wird]. Es
wird das Transsexuellengesetz (TSG) ablösen, das vom
Bundesverfassungsgericht schon vor 40 Jahren in Teilen als
verfassungswidrig eingestuft wurde. Volljährige tin* Personen sollen nun
ihren Vornamen und Geschlechtseintrag nach einer dreimonatigen Wartefrist
beim Standesamt mit einer einfachen Erklärung ändern können.
Lange wurde für das neue Gesetz gekämpft. Dessen ungeachtet gibt es
deutliche Kritik aus der Community. „Frustriert“ ist eines der Worte, das
am häufigsten fällt bei den Teilnehmer*innen der Konferenz, die sich am
Samstag in einer Arbeitsgruppe über ihre Gedanken und Gefühle zum neuen
Gesetz austauschen.
## Scharfe Kritik in gemütlicher Umgebung
Ein viel diskutierter Kritikpunkt ist der Hausrechtsparagraf. Dieser
besagt, dass das Recht der Eigentümer*innen, über den Zugang zu Räumen
entscheiden zu können, unberührt bleibt. Befürchtet wird, dass trans*
Frauen weiterhin aus Frauenräumen – [2][wie Frauensaunen] – von den
Betreiber*innen ausgeschlossen werden. DeLire kritisiert: „Das Gesetz
strotzt vor trans* Misogynie.“
Ein Gefühl, das viele der ungefähr 20 Menschen in der Kleingruppe
ansprechen, ist das der Ambivalenz. „Wir sagen nicht, dass das SBGG
überhaupt kein Fortschritt ist. Wir wünschen uns das TSG nicht zurück.“
sagt deLire. Doch zufrieden sind die Aktivist*innen mit dem
Selbstbestimmungsgesetz nicht. Neben dem Hausrechtsparagrafen kritisieren
sie die dreimonatige Wartefrist und fordern niedrigere Altersgrenzen.
Auch Paragraf 9 drückt den Aktivist*innen zufolge „Misstrauen statt
Selbstbestimmung“ aus. Der Paragraf regelt, dass eine Änderung des
Geschlechtseintrags zu „weiblich“ oder „nichtbinär“ im „Spannungs- u…
Verteidigungsfall“ nicht möglich ist. Verhindern soll das, dass cis Männer
das Gesetz missbrauchen, [3][um der Wehrpflicht zu entgehen].
So scharf die Kritik der Konferenzteilnehmer*innen, so vertraut, ja
gemütlich die Atmosphäre in der „Vierten Welt“. Eng beieinander sitzen und
liegen sie auf Betten mit blauer Blümchenbettwäsche und riesigen Kissen. In
den vom Künstler Fadi Aljabour gestalteten Räumen soll sie entstehen
können: die neue „Zartheit im politischen Miteinander“, die das Bündnis
schaffen will. Lachend wird der pink glitzernde Moderationshut hin und her
geworfen und trotz der ernsten Themen ist die Stimmung locker.
## „Gute Zeit für Allianzen“
An der Konferenz nehmen Mitglieder aus tin* Verbänden, Aktivist*innen
und Vertreter*innen anderer politischer Gruppen teil. Auch Nora Eckert,
Vorstandsmitglied des Bundesverbands trans*, ist dabei und betont, dass sie
viele der hier besprochenen Kritikpunkte bereits im Rahmen der
Verbändebeteiligung gegenüber der Bundesregierung angemerkt haben.
Umgesetzt wurde jedoch kaum etwas davon, sagt sie.
Gemeinsam beginnen die Aktivist*innen neue Solidaritätsstrukturen für
tin* Personen zu planen. In anderen Workshop-Räumen sprechen sie über den
Zusammenhang zwischen Faschismus und Transfeindlichkeit und tauschen sich
über die Unterschiede der Lebensrealitäten von trans* Personen auf dem Land
und in der Stadt aus.
Konferenzteilnehmer Luca, der seinen Nachnamen lieber nicht nennen möchte,
findet die Vernetzung mit den anderen Teilnehmer*innen sehr wertvoll.
„Es ist eine gute Zeit für Allianzen, nicht fürs Alleinkämpfen“, sagt er.
3 Jun 2024
## LINKS
[1] /Bundestag-beschliesst-Gesetz/!6004179
[2] /Sauna-vor-dem-Bundestag/!5989885
[3] /Neues-Selbstbestimmungsgesetz/!5937342
## AUTOREN
Kajo Roscher
## TAGS
Selbstbestimmung
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
Berlin-Kreuzberg
Non-Binary
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Feminismus
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Schweden
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
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