# taz.de -- Namenswahl bei neuem Geschlechtseintrag: Nur so semi selbstbestimmt | |
> Das Selbstbestimmungsgesetz sollte trans Menschen ermächtigen, Geschlecht | |
> und Namen selbst zu wählen. Viele Standesämter legen das Gesetz anders | |
> aus. | |
Bild: Paul, Paula oder Kim: Viele Standesämter wollen bei der Namenswahl nach … | |
Bremen taz | Leano darf nicht Jamie heißen. Auch nicht Mika. Auch nicht mit | |
Zweitnamen, und nein: auch nicht mit Bindestrich. Das wäre nicht männlich | |
genug, nicht eindeutig. So zumindest interpretiert das Bremer Standesamt | |
bisher das Selbstbestimmungsgesetz. „Kacke“, habe er gedacht, als er die | |
Absage von der Behörde bekam, sagt Leano. „Schon wieder werde ich nicht als | |
die Person anerkannt, die ich bin.“ | |
Im November soll das Selbstbestimmungsgesetz das Transsexuellengesetz von | |
1980 ablösen – und endlich, so verspricht es der Name, für Selbstbestimmung | |
sorgen. Das eigene Geschlecht kann im Pass dann [1][einfach durch eine | |
Erklärung] an das reale Empfinden angepasst werden. Es braucht keine | |
intimen Befragungen mehr, keine Gerichtsurteile; allein die Erklärung der | |
Betroffenen soll zählen. | |
Explizit benennt das Gesetz das Ziel, „die personenstandsrechtliche | |
Geschlechtszuordnung und die Vornamenswahl von der Einschätzung dritter | |
Personen zu lösen“. Doch bei der Namenswahl ist das mit der Einschätzung | |
dritter Personen so eine Sache: Seit dem 1. August dürfen sich Betroffene | |
für ihren Novemberantrag anmelden. In Bremen haben das mehr als hundert | |
Menschen bisher getan; allein bei der Bremer Beratungsstelle Trans*Recht | |
sind dabei schon jetzt acht Fälle bekannt, in denen Namen nicht akzeptiert | |
wurden. | |
Schuld ist laut Beraterin Freyja Pe* von Rüden vor allem ein Rundschreiben | |
aus dem Innenministerium. Eine Abteilungsleiterin gibt dort eine Art | |
Interpretationshilfe des Gesetzes für Standesämter heraus; sie entwickelt | |
dabei Thesen zu der Frage, ob sich bei der Namensgebung die Zahl der | |
Vornamen ändern lässt (Nein), und wie die Vornamen gestaltet sein müssen: | |
eindeutig geschlechtsspezifisch, und zwar für sämtliche gewählte Namen. | |
## Geschlechtsneutrale Namen abgelehnt | |
„Jamie Leano Mika“ hatte Leano als neue Namen in seiner Anmeldung | |
eingetragen. Die letzten vier Jahre hat er als Jamie gelebt. Gerade die | |
Geschlechtsambiguität des Namens war dafür ausschlaggebend. „Es ist erst | |
einmal leichter sich bei einem Elternabend als Jamie vorzustellen, wenn man | |
noch sehr eindeutig als Frau gelesen wird“, erklärt er. | |
Er hätte den Namen auch jetzt gerne mitgenommen: Viele Bekannte nutzen ihn | |
weiter. Aber er kann auf ihn verzichten. „Jamie war für einen Übergang | |
gedacht.“ Schwerer fällt es ihm bei „Mika“: „Den Namen hat mir mein So… | |
gegeben“, erklärt Leano. „Er sagte, es sei nur richtig so, ich hab ihm | |
einen Namen gegeben, er jetzt mir.“ Auf diesen Namen zu verzichten, das sei | |
hart. | |
Leano hatte auch deshalb Pech, weil er bei Geburt nur einen – weiblichen – | |
Vornamen bekommen hat. Nach der Interpretation des Innenministeriums war | |
ein zweiter Name somit ausgeschlossen. Das Standesamt in Bremen räumte ihm | |
zwar die Möglichkeit ein, einen zweiten Namen über eine | |
Bindestrichkonstruktion einzubauen: Leano-irgendwas. Die Kombination mit | |
Mika aber wurde untersagt: Dieser Name sei nicht geschlechtseindeutig. | |
Tatsächlich heißt es auch [2][im Gesetz selbst:] „Mit der Erklärung nach | |
Absatz 1 sind die Vornamen zu bestimmen, die die Person zukünftig führen | |
will und die dem gewählten Geschlechtseintrag entsprechen.“ Für Deutschland | |
ist das auf Gesetzesebene eine Neuerung: Gesetzlich war es hierzulande noch | |
nie vorgeschrieben, dass Vornamen männlich oder weiblich zu sein haben. | |
Vielen ist zwar die Regelung bekannt, dass ein geschlechtsneutraler Vorname | |
für ein Kind einen zweiten eindeutigen Namen erfordert. Doch diese Regel | |
war nie ein Gesetz, nur eine Verwaltungsanweisung. 2008 wurde diese | |
Anweisung dann auch noch [3][vom Bundesverfassungsgericht gekippt]. Nun | |
gibt es nur noch eine Vorgabe mit Verweis auf das Kindeswohl: Ein Name ist | |
nur dann abzulehnen, wenn er es dem Kind unmöglich macht, „sich anhand des | |
Vornamens mit seinem Geschlecht zu identifizieren“, heißt es. | |
Für Erwachsene, die ihren neuen Namen bei Veränderung des | |
Geschlechtseintrags bewusst und selbst wählen, interpretiert von Rüden das | |
so, dass jeder Name funktionieren müsste: „Ob ein Name zur | |
Geschlechtsidentität passt, das kann ja niemand besser beurteilen, als die | |
Person selbst“, sagt sie. Das Selbstbestimmungsgesetz, denkt sie, lasse | |
diese Möglichkeit zu. Nur die Interpretation aus dem Innenministerium biete | |
diesen Spielraum nicht. | |
Standesämter sind nicht weisungsgebunden – doch faktisch orientieren sich | |
wohl die meisten an der Interpretation aus dem Innenministerium. Auch in | |
Weyhe, in Hannover, in Emden schreiben die Standesämter auf ihren | |
Webseiten, dass sich die „Zahl der Vornamen“ bei der Eintragung nicht | |
ändern lasse. | |
In Bremen hat Kai Wargalla für die Grünenfraktion in der Bürgerschaft eine | |
Anfrage zu den abgelehnten Fällen gestellt. Doch die Antwort des Senats | |
bleibt im Vagen. Man verweist darauf, dass es „im Interesse der | |
Betroffenen“ sei, dass sich Standesämter bei der Auslegung an einer | |
gemeinsamen Linie orientierten. | |
## Anders in Hamburg | |
In Hamburg positioniert sich die Stadt klarer. „Wenn eine Person empfindet, | |
dass ihr Name zum Geschlechtseintrag passt, sollte sie ihn behalten | |
dürfen“, sagt die Sprecherin der Gleichstellungsbehörde, Aileen Pinkert. | |
„Das Gesetz sollte ja gerade diese [4][unwürdige Fremdbestimmung | |
verhindern.“] Man habe Standesbeamte durch Fortbildungen sensibilisiert. | |
Probleme würden trotzdem auch in Hamburg gemeldet, sagt sie: „Das sind neue | |
Regeln“, sagt Pinkert. „Die werden von den Beamten noch unterschiedlich | |
interpretiert.“ | |
Für Personen mit dem gewählten [5][Geschlechtseintrag „divers“] erfolgten | |
noch „Abstimmungsprozesse auf Bundesebene“ für eine Liberalisierung der | |
Namenswahl, sagt die Bremer Innenbehörde in ihrer Antwort auf die | |
Grünen-Anfrage. Die Regeln hier könnten sich also noch lockern. Bei der | |
Anzahl der Namen hat sich die Abteilungsleiterin des Innenministeriums | |
bereits korrigiert: Ein neues Rundschreiben erlaubt bis zu fünf Vornamen. | |
Die meisten Standesämter haben das in ihren FAQ noch nicht geändert. | |
„Irgendwie wird das Selbstbestimmungsgesetz zum | |
Standesamtsbestimmungsgesetz“, sagt Leano. Er glaube, dass es für viele | |
Probleme geben werde: Schließlich kenne er mehrere Menschen, die wie er | |
zunächst einen genderneutralen Namen gewählt hätten. „Die leben teilweise | |
seit 15 Jahren damit. Einen anderen wollen sie nicht.“ | |
20 Aug 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Selbstbestimmungsgesetz/!6029062 | |
[2] https://www.recht.bund.de/bgbl/1/2024/206/VO | |
[3] https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2008/1… | |
[4] /Bundestag-beschliesst-Gesetz/!6004179 | |
[5] /Zensus-2022/!6022108 | |
## AUTOREN | |
Lotta Drügemöller | |
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