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# taz.de -- Selbstbestimmungsgesetz: Ein Anruf, ein neuer Name
> Mit dem Selbstbestimmungsgesetz wird es für Vanessa Mannteufel leichter,
> Vornamen und Geschlechtseintrag zu ändern. Ein Besuch beim Standesamt.
Bild: Vanessa Mannteufel wird bald ihren Vornamen und Geschlechtseintrag änder…
Das Telefonat mir dem Standesamt habe keine Viertelstunde gedauert, erzählt
Vanessa Mannteufel. Eigentlich hatte sie ihren neuen Geschlechtseintrag und
Vornamen beim Standesamt vor Ort anmelden wollen. Der Mitarbeiter habe ihr
dann gesagt, sie könne die Daten einfach am Telefon sagen.
„Ich war natürlich total aufgeregt, ich habe so lange darauf gewartet“,
sagt Mannteufel. „Ich habe ihm alle Daten genannt, aufgelegt und erst mal
meinen Schwestern geschrieben.“ Schwestern – so nennt Vanessa Mannteufel
Freundinnen, die auch trans* sind. Mannteufel ist 51 Jahre alt, sie
arbeitet als Kranführerin. Ende der Neunziger war sie bei der Bundeswehr.
Bei der Geburt wurde ihr das männliche Geschlecht zugeordnet.
Seit August können sich Menschen, die ihren Vornamen oder
Geschlechtseintrag ändern wollen, beim Standesamt anmelden. Es ist der
erste Schritt hin zum [1][neuen Selbstbestimmungsgesetz], das der Bundestag
im April beschlossen hat. Damit soll es für trans*- und
inter*geschlechtliche sowie für nichtbinäre Menschen leichter werden,
ihren Personenstand offiziell zu ändern. Bisher galten dafür [2][hohe
Hürden]. In Kraft tritt das Gesetz im November. Wer aber jetzt seinen
Antrag stellt, hat bis dahin schon die vorgeschriebene dreimonatige
Bedenkzeit hinter sich gebracht.
Als Mannteufel die Vorgeschichte dieses für sie so wichtigen Telefonats
erzählt, sitzt sie auf einer Bank in der Leipziger Innenstadt. Sie hat
lange Nägel und Wimpern, ihre Lippen sind rot geschminkt. Das war für sie
lange nicht selbstverständlich: „Vor ungefähr fünfzehn Jahren hatte ich das
erste Mal so ein Gefühl, ganz tief in mir, fast unterbewusst“, sagt sie:
Sie ist eine Frau. „Ich habe mich meiner damaligen Freundin anvertraut,
habe aber gedacht, dass das wieder weggeht.“ Aber es ging nicht weg. „Wenn
du jeden Tag mit dem Gefühl aufwachst, wenn du an nichts anderes mehr
denken kannst – das geht nicht“, sagt Mannteufel. „Irgendwann musste ich
die Reißleine ziehen und bin zum Psychologen gegangen.“
## Schrittweises Coming-out
Nach und nach fand sie über Facebook und später über Instagram Menschen,
denen es ähnlich ging wie ihr. „An einem Samstag vor ungefähr fünf Jahren
wollte ich mich mit meinen Schwestern treffen. Ich wusste, dass ich mich
dafür als Vanessa kleiden würde, so wie jetzt“, sagt sie und zeigt auf
ihren Rock. Vorher musste sie noch einkaufen. „Und da habe ich gedacht:
Wieso gehe ich nicht als Vanessa zum Supermarkt? Von einem auf den anderen
Tag habe ich fast alle meine Anziehsachen genommen, aussortiert, in Tüten
gepackt.“
Nach und nach [3][outete] sich Mannteufel. Zuerst in ihrem privaten Umfeld:
„Die Reaktionen waren eigentlich durchweg positiv. Auch wenn ich heute
Freunde treffe, dann sagen die: ‚Boah, Vanessa, siehst du toll aus!
Hammer!‘ “ Vor etwa zwei Jahren outete sie sich auch bei der Arbeit. Bei
der Erinnerung daran schmunzelt sie: „Die haben mich eigentlich nur
gefragt, ob ich weiter Kran fahren kann.“
Vor einem Jahr dann habe sie jemand, den sie „über Ecken“ kenne, in einer
privaten Nachricht auf Facebook Messenger [4][trans*feindlich bedroht].
„Ich habe Screenshots gemacht, bin noch am selben Tag zur Polizei“, sagt
Mannteufel. In wenigen Tagen findet vor dem Leipziger Amtsgericht der
Prozess gegen den Mann statt. „Mir geht es gar nicht darum, dass er eine
hohe Strafe bekommt, sondern es geht darum, Akzeptanz zu schaffen“, sagt
Mannteufel.
Sie lebt als Vanessa, aber in ihrem Personalausweis steht noch ihr alter
Vorname. Auf dem Papier ist sie ein Mann. Dass die Änderung für sie nun
einfacher wird als für viele vor ihr – bis dahin war es ein weiter Weg.
1981 trat das Transsexuellengesetz (TSG) in Kraft. Menschen, die ihren
Geschlechtseintrag ändern wollten, durften demnach nicht verheiratet sein.
Sie mussten sich sterilisieren lassen. Und sie mussten ihr Geschlecht
operativ angleichen lassen.
2011 erklärte das Bundesverfassungsgericht, der OP- und
Sterilisationszwang sei mit dem Recht auf sexuelle Selbstbestimmung
und auf körperliche Unversehrtheit nicht vereinbar und damit
verfassungswidrig. Doch noch immer mussten Menschen, die trans*, inter*
oder nichtbinär sind, vor Gericht zwei Gutachten von Ärzt*innen oder
Psycholog*innen vorlegen.
## Noch immer zahlreiche „Misstrauensparagrafen“
Am Tag der Abstimmung im Bundestag spricht die Grünen-Bundestagsabgeordnete
[5][Nyke Slawik in Plenum] über ihren eigenen Weg: „Zwei Jahre und viele
Gutachter*innengespräche später, einen Amtsgerichtsprozess später,
war es so weit: Die Namensänderung war durch und ich knappe 2.000 Euro
ärmer.“ Dieses emotional wie auch finanziell belastende Prozedere soll sich
mit dem Selbstbestimmungsgesetz ändern.
Mit dem Selbstbestimmungsgesetz fallen die bisher notwendigen Gutachten und
Gerichtsverfahren weg, eine einfache Erklärung beim Standesamt genügt.
Jugendliche ab 14 Jahren können mit Zustimmung ihrer Eltern selbst eine
Änderung des Eintrags beantragen. Für jüngere Kinder können Eltern eine
Erklärung abgeben. Aktivist*innen und Betroffene begrüßten das Ende der
Zwangsberatungen. Viele aber kritisieren, das Gesetz enthalte noch immer
zahlreiche „Misstrauensparagrafen“ wie etwa die dreimonatige Bedenkfrist.
Kritik gab es auch daran, dass die im Koalitionsvertrag versprochene
Entschädigung für zwangssterilisierte Personen nicht geregelt ist. Auch bei
der Umsetzung gibt es Unklarheiten. So fordern manche Standesämter, die
Anzahl der Vornamen müsse gleichbleiben, oder dass die Namen dem gewählten
Geschlecht entsprechen – eine trans* Frau könnte dann zum Beispiel keinen
Unisex-Namen wählen.
Im Gesetz selbst findet sich dazu nichts. Danach gefragt, erklärt der
Queer-Beauftragte der Bundesregierung, Sven Lehmann (Grüne), auf der
Plattform Abgeordnetenwatch nur: Die Auslegung des Gesetzes sei Sache der
Länder und Standesämter.
„Für eine Ablöse des TSG durch ein Selbstbestimmungsgesetz wurde lange
gekämpft“, sagt Leo Yannick Wild. Wild leitet die spezialisierte
Inter*Trans*Beratung der Schwulenberatung Berlin. Gerade aus konservativen
Kreisen waren in der Debatte über das Gesetz immer wieder Vorwürfe laut
geworden wie der, trans* Frauen könnten anderen Frauen Plätze in
Frauenhäusern streitig machen. Oder: Männer würden ihr Geschlecht ändern
lassen, um beruflich von Quotenregelungen oder im Sport zu profitieren.
## Unwucht im Diskurs
Trans* zu sein, sei „Mode“, behauptete im Spiegel die Frauenrechtlerin
Alice Schwarzer, die immer wieder mit [6][trans*feindlichen Aussagen
polarisiert]. Es gebe nur zwei Geschlechter, die „offensive Transideologie“
bedrohe „biologische Frauen“.
Im öffentlichen Diskurs hätten unverhältnismäßig oft Gegner*innen des
Selbstbestimmungsgesetzes Sendezeit bekommen, kritisiert Wild. Die
Konsequenzen zeigten sich auch in der Arbeit der Beratungsstelle: „In den
letzten Monaten wurde viel häufiger als früher beschrieben, dass sich etwa
Ärzt*innen abwertend gegenüber trans*, inter* und nichtbinären
Patient*innen geäußert haben“, sagt Wild.
Mannteufel hat die Debatte über den Gesetzentwurf aufmerksam verfolgt: „Ich
habe die ganze Zeit gehofft, dass die Einigung schnell kommt“, sagt sie.
Schon seit ein paar Jahren weiß sie, dass sie ihr rechtliches Geschlecht
und ihren Vornamen ändern möchte. Doch sie wartete auf das neue Gesetz, um
den belastenden Weg über das TSG nicht auf sich nehmen zu müssen. Es sei
ein wichtiger, aber nicht ihr letzter Schritt auf diesem Weg, sagt
Mannteufel. Eine erste Hormontherapie hat nicht angeschlagen, im Spätsommer
will sie sich weiter beraten lassen.
Ein paar Tage nachdem Mannteufel ihr Anliegen telefonisch beim Standesamt
angemeldet hat, bekommt sie eine Mail: Sie muss den Antrag doch noch
persönlich unterzeichnen.
Am Donnerstagmittag läuft Mannteufel die alte Steintreppe im Leipziger
Standesamt hinauf. Vor einer der alten, schweren Holztüren bleibt sie
stehen. „Jetzt bin ich doch aufgeregt.“ Sie geht auf die Tür zu, klopft.
Dann drückt sie die Klinke herunter, aber die Tür lässt sich nicht öffnen.
Ein kurzes Piepen ertönt, Mannteufel drückt die Tür auf und verschwindet in
dem Raum.
Zehn Minuten später kommt sie lächelnd hinaus. „Juhu“, sagt sie leise,
reckt die Arme mit geballten Fäusten triumphierend in die Höhe. „Wir haben
schon nach einem Termin geschaut“, sagt sie. „Es wird wohl ein Dienstag
Anfang November.“
Wenn ihr Geschlechtseintrag und Vorname geändert sind, kann Mannteufel auch
ihren Personalausweis und andere Papiere neu beantragen. An ihrer
Handtasche baumelt ein pinker Anhänger. Darauf steht in silbernen,
glitzernden Buchstaben: „Queen of the day“.
10 Aug 2024
## LINKS
[1] /Bundestag-beschliesst-Gesetz/!6004179
[2] /Aenderung-des-Geschlechtseintrags/!5976884
[3] /Outing-als-nicht-binaere-Person/!5910766
[4] /Transfeindlichkeit/!5876069
[5] /Selbstbestimmungsgesetz-im-Bundestag/!5973044
[6] /Selbstbestimmungsgesetz/!5965211
## AUTOREN
Marie Sophie Hübner
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