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# taz.de -- Selbstbestimmungsgesetz: Kein Abschluss, sondern ein Anfang
> Das Selbstbestimmungsgesetz ist für viele das Ende eines langen Kampfes.
> Elya Conrad hat es Mut gemacht für einen ersten Schritt.
Bild: Wir bestimmen selbst: Aktivist*innen am 12. April 2024, als im Bundestag …
Auf diesen Moment habe ich lange gewartet. Seit dem 1. November ist das
Selbstbestimmungsgesetz in Kraft, das es nichtbinären, trans oder inter
Menschen erlaubt, ohne entwürdigende Gutachten und irre teure
Gerichtsverfahren ihren richtigen Namen und Geschlechtseintrag zu führen.
Aber je näher mein Termin beim Standesamt kommt, desto mehr frage ich mich:
Warum warte ich eigentlich so sehr darauf? Bin ich so obrigkeitshörig, dass
der Staat mir bestätigen muss, wer ich bin? Was ändert sich denn?
Klar ist: Ich werde ab jetzt endlich nicht mehr den Geschlechtseintrag
„männlich“ führen müssen und einen geschlechtsneutralen zweiten Vornamen
haben.
Wenn ich in mein direktes persönliches Umfeld sehe, dann bedeutet das
[1][Selbstbestimmungsgesetz] vor allem eines: einen Abschluss. Ich habe
Freund*innen, die trotz längst erfolgten sozialen Outings immer wieder
mit Behörden oder Eltern zu kämpfen haben, die denken, sie dürften
definieren, wer sie sind. Und bisher bedeutet das jedes Mal eine
Auseinandersetzung mit Deadnames und persönlicher Herabwürdigung.
Was die mangelnde Akzeptanz angeht, ändert sich mit dem
Selbstbestimmungsgesetz wahrscheinlich wenig. Wer anderen seine Vorstellung
binärer Geschlechterrollen aufzwingen will, wird das weiter tun. Wer trans
Menschen nicht akzeptiert, wird es nicht plötzlich doch tun. Aber die
Menschen können jetzt eine Grenze setzen. Sie müssen all das nicht jedes
Mal neu verhandeln. In meinem Umfeld atmen gerade ganz viele auf. Nicht,
weil sich ihre Identität verändert, sondern weil ihr Leben ab jetzt
stressfreier wird.
## Lange mit dem Namen gehadert
Und bei mir? Bei mir ist es anders und doch gleich. Es ist kein Abschluss,
sondern ein Anfang. Ich warte seit drei Monaten auf den 21. November, auf
meinen Termin beim Standesamt. Ich habe lange mit meinem Vornamen gehadert,
weil er männlich assoziiert wird. Aber ich habe den Konflikt, den das in
mir auslöst, immer verdrängt. Ich habe mir lange nicht erlaubt, auch nur
darüber nachzudenken, einen anderen Namen einzufordern. Ich habe mich auch
nur wenigen Menschen gegenüber getraut, meine richtigen Pronomen zu
verwenden.
Der [2][soziale Teil schien stressig] und die behördliche Ebene auch. Und
das Selbstbestimmungsgesetz löst keinen der sozialen Stressfaktoren einer
Namensänderung. Aber irgendwie hat mir die Rückendeckung, mit meinem Pass
eine Grenze zu ziehen, endlich den Mut gegeben, anzufangen. Der Problemberg
scheint ein kleines Stückchen kleiner zu sein. Ich bin bereit, mich damit
auseinanderzusetzen.
Dass ich nicht Maurice, sondern Elya heißen will, habe ich schon davor
gewusst – aber ich habe es eben nicht zustande gebracht, es einzufordern.
Dass ich nicht mit „er“ angesprochen werden will, ebenso. Ich habe mich oft
einfach arrangiert. Für mich beginnt verrückterweise also mit der
staatlichen Absolution in dieser Angelegenheit erst die Bereitschaft dazu,
dieses innere Outing konsequenter nach außen zu tragen. Ob das komisch ist?
Vielleicht. Aber es ist so. Und ja, ich weiß, dass der soziale Teil weitaus
länger dauern wird als mein Gang zum Standesamt. Dass er komplizierter
sein, mich mehr Kraft kosten wird. Und dass ich klein anfangen muss. Mit
den Menschen, die mir am nächsten stehen.
Es ist ein Privileg, dass mein Leidensdruck nie so groß gewesen ist, dass
einfach weiterzumachen keine Option gewesen wäre. Und genau deshalb habe
ich dieses Bedürfnis lange hintangestellt. Plötzlich habe ich den Mut dazu,
das zu ändern. Auch wenn das vielleicht nicht typisch oder repräsentativ
ist. Aber ich weiß, dass es die richtige Entscheidung ist. Danke,
Selbstbestimmungsgesetz. Auch wenn ich gerade erst am Anfang bin.
7 Nov 2024
## LINKS
[1] /Selbstbestimmungsgesetz-in-Berlin/!6042696
[2] /Gesetz-zur-Selbstbestimmung/!5915502
## AUTOREN
Elya Maurice Conrad
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