# taz.de -- Selbstbestimmungsgesetz: Jetzt ist Giulio auch ganz offiziell Giulio | |
> Seit dem 1. November ist es für Transpersonen einfacher, ihren Vornamen | |
> und ihren Geschlechtseintrag ändern zu lassen. Besuch bei einem | |
> Standesamt. | |
Bild: Glücklich: Giulio Guccini hat in Leipzig seinen Vornamen und seinen Gesc… | |
Leipzig taz | „Jetzt erst mal eine rauchen“, sagt Giulio Guccini an einem | |
Montagmorgen Anfang November. Er kommt gerade aus dem holzgetäfelten | |
Eingang des Standesamtes und dreht sich eine Zigarette. Auf den Treppen | |
posieren sonst oft Brautpaare für Fotos. An diesem Morgen brechen viele | |
junge Leute die bürgerliche Kulisse mit bunt gefärbten Haaren und | |
Kapuzenpullovern. Einer davon ist Guccini. Seit einer halben Stunde hat er | |
auf dem Papier einen neuen Vornamen und ein anderes Geschlecht. „Heute ist | |
es endlich passiert“, sagt er und zieht an seiner Zigarette. | |
Ab dem 1. November ist es Personen möglich, auf dem Standesamt ihren | |
Vornamen und ihren Geschlechtseintrag unbürokratisch ändern zu lassen. Es | |
gilt als eines der wenigen gesellschaftspolitischen Vorhaben, die von der | |
Ampel tatsächlich umgesetzt worden sind. Das ist eine [1][große | |
Errungenschaft für trans, inter und non-binäre Personen] (kurz TIN*), die | |
zuvor demütigende Prozesse über sich ergehen lassen mussten. Das sogenannte | |
Selbstbestimmungsgesetz löst das veraltete Transsexuellengesetz ab. Es galt | |
als verfassungswidrig. [2][Für die Betroffenen] bedeutet das: Gutachten, | |
Gerichtsverfahren und hohe Kosten fallen ab sofort weg. | |
TIN* Personen umfassen laut Einschätzung verschiedener Verbände rund ein | |
Prozent der deutschen Bevölkerung. Im Standesamt bekommt die kleine Zahl | |
viele Gesichter. Allein in Leipzig haben sich rund 700 Personen für eine | |
Eintragsänderung angemeldet. Seit August ist das beim Standesamt mit einem | |
Vorlauf von drei Monaten möglich. Laut Hochrechnungen des Spiegel haben | |
bundesweit rund 15.000 Menschen einen Termin. Wie läuft so ein Besuch beim | |
deutschen Amt? | |
Giulio Guccini ist einer der ersten, die in Leipzig einen Termin bekommen | |
haben. Der 27-Jährige ist Schulbegleiter für ein autistisches Kind. „Es ist | |
süß, dass manche Leute ihre Freund:innen mitbringen. Eigentlich ist es ja | |
nur ein schneller Besuch bei einer Behörde“, sagt Guccini. Neben ihm umarmt | |
sich eine Gruppe Zwanzigjähriger. Es ist kurz vor elf. Guccinis Termin | |
beginnt um Punkt. | |
## Sorge vor ungeschultem Personal | |
„Ich habe Sorge, dass der Deadname gleich fällt“, sagt Guccini und nestelt | |
an einem braunen Umschlag. Darin steckt seine Geburtsurkunde, die er ändern | |
lassen wird. Als Deadname bezeichnen Transpersonen ihren ursprünglichen | |
Namen. Ihn zu hören oder zu verwenden ist für sie oft mit Schmerz | |
verbunden. Das kommt einem ständigen Outing gleich, weil das trans Sein | |
ungewollt Thema wird. Auch das Misgendern, also ihn als Frau statt als | |
Herrn Guccini anzusprechen, ist diskriminierend. | |
Mit seinem bei Geburt zugewiesenem Vornamen und weiblichem Geschlecht | |
identifiziert Guccini sich nicht. „Niemand, der mich kennt, nutzt meinen | |
Deadname. Ich bin schon lange Giulio. Der Name passt als Halbitaliener gut | |
zu mir“, sagt er im Wartesaal des Standesamtes. | |
„Sie haben Glück, dass Sie in Leipzig wohnen“, sagt die Beamtin beim Öffn… | |
der Bürotür. Hier habe man sich schlau gemacht, wie alles läuft. Die hohe | |
Zahl der Vorabanmeldungen hätte zu einer gründlichen Vorbereitung geführt. | |
Sie hält ihr Wort: Alles verläuft so banal wie bei jedem anderen Amtstermin | |
auch. Ihre Kunstnägel klackern kurz über die Tastatur und schon spuckt ein | |
Drucker die Formulare aus. | |
„Das sind die Namen, die derzeit in Ihrem Ausweis stehen“, diskret deutet | |
die Mitarbeiterin auf den alten Vornamen, ohne ihn auszusprechen. „Hiermit | |
unterschreiben Sie, dass Sie nun Giulio Gianni Guccini heißen und den | |
männlichen Geschlechtseintrag haben möchten“, erklärt sie. | |
## Und dann ein neuer Ausweis | |
Guccini unterschreibt einige Zettel. Der Antrag kostet dreißig Euro. Sein | |
zuständiges Standesamt ist im niedersächsischen Stade. Seine Formulare | |
werden dorthin weitergeleitet. | |
„Denken Sie daran, bei der Bank, der Uni und allem anderen anzurufen und | |
den Namen zu ändern“, erinnert die Frau ihn. Sobald die geänderte | |
Geburtsurkunde da ist, kann Guccini offiziell seinen Personalausweis und | |
Reisepass neu beantragen. „Wenn ich den Perso wirklich in der Hand habe, | |
feiere ich das mit Freund:innen.“ Neue Passfotos habe er schon gemacht. | |
Seinen Termin beschreibt Guccini als angenehm. Keine seiner Sorgen habe | |
sich bestätigt. Vielerorts wurde vorab vor ungeschulten Mitarbeitenden | |
gewarnt. | |
400 Kilometer weiter südlich hat Kim Endisch anderes erlebt. Am Telefon | |
erzählt Endisch, dass es in der bayerischen Stadt Mainburg beim Standesamt | |
einige Hürden gab. Der Antrag kostete doppelt so viel wie in Leipzig. Pro | |
Änderung wird abgerechnet: Name plus Geschlechtseintrag ergeben dann | |
sechzig Euro. Außerdem fiel mehrfach der Deadname von Endisch. Eine | |
Schulung der Mitarbeitenden hat laut Endisch zu dem Zeitpunkt noch nicht | |
stattgefunden. Auch sei die Software für den Antrag nicht aktualisiert. | |
„Es war unangenehm, aber damit habe ich gerechnet. Bayern versucht es | |
Transpersonen möglichst schwer zu machen“, sagt Endisch. Und meint damit | |
die Staatsregierung um CSU-Ministerpräsident Markus Söder. Aus Sorge vor | |
Einwänden auf dem Standesamt hat Endisch einen Nachweis darüber | |
mitgebracht, dass der Name unisex sei. | |
## Nicht alle Vornamen sind erlaubt | |
Solche Sorgen sind nicht ganz unbegründet. „Jeder Standesbeamte ist | |
weisungsfrei“, erklärt die Beamtin aus dem Leipziger Standesamt. Das heißt, | |
das Standesamt entscheidet, ob ein Vorname zulässig ist. „Zu schräge | |
Vornamen etwa wie die von Elon Musks Kindern (der Sohn heißt „X Æ A-Xii“, | |
die Tochter „Exa Dark Sideræl“, Anmerkung der Redaktion) sind weiterhin | |
nicht erlaubt.“ Im Zweifel müsse man zu einer Namensberatungsstelle, um den | |
Wunsch zu prüfen. Guccinis Fall ist auch deswegen unstrittig, weil er einen | |
männlichen Geschlechtseintrag und einen dazu passenden Namen gewählt hat. | |
Er könnte sich als Mann nicht offiziell Julia nennen. | |
Trotz des erfolgreichen Termins wirkt Guccini im Anschluss nachdenklich. Es | |
wäre schön, etwas in der Hand zu halten, das bestätigt, was gerade Großes | |
passiert sei. Ein paar Schritte vom Standesamt entfernt ist ein Café. Er | |
gönnt sich zur Feier des Tages einen Apfelkuchen. | |
„Hast du gesehen, dass ich die Karte beim Bezahlen so verdecke?“, fragt | |
Guccini. Er hebt die Hand mit der EC-Karte. Sein Daumen liegt über dem | |
Namen. „Auch wenn es wahrscheinlich niemanden juckt, ich will meinen | |
Deadname darauf nicht zeigen. Das sind alles Momente, die sich für mich | |
ändern werden.“ Er lächelt. Mit jeder Anekdote wird klarer, wie oft Guccini | |
mit seinem trans Sein konfrontiert wird. Er erzählt von diskriminierenden | |
Momenten im Wartezimmer beim Arzt oder bei der Fahrscheinkontrolle. „Vieles | |
in meinem Leben konnte ich auch so ändern, aber manche Situationen sind von | |
Ausweisen abhängig.“ | |
Auf seiner „gender journey“, wie er es nennt, habe Guccini lange gebraucht, | |
um sich als Transmann zu akzeptieren. Aber ein nicht-binärer Eintrag und | |
damit der Eintrag „X“ im Ausweis war für ihn ausgeschlossen. Seine | |
Schwester wohnt in Kanada. „Wenn ich sie besuchen oder auch verreisen will, | |
kann ein X im Reisepass Probleme machen.“ | |
17 Nov 2024 | |
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## AUTOREN | |
Stella Lueneberg | |
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