# taz.de -- SPD nach Ampel-Aus: Alles auf Olaf | |
> Nachdem er die FDP losgeworden ist, will Scholz jetzt das Kanzleramt | |
> halten. Ein völlig verrückter Plan? Nicht, wenn es nach der SPD geht. | |
Bild: Olaf Scholz am 6. November im Kanzleramt: Kurz danach ist die Ampel-Regie… | |
Die Aussicht für Olaf Scholz? Prächtig! Zumindest an diesem Freitagmorgen. | |
Blau wölbt sich der Himmel über der Donau, der Bundeskanzler steht auf der | |
Dachterrasse eines Budapester Hotels und nimmt sich Zeit, den Ausblick über | |
die sanften Hügel von Buda zu genießen. Ein Moment, um Kraft zu tanken. | |
Scholz ist am Vorabend nach Budapest zum informellen Treffen des | |
Europäischen Rats gereist. [1][Die EU-Regierungschef:innen haben zusammen | |
zu Abend gegessen, über das Ergebnis der amerikanischen | |
Präsidentschaftswahlen gesprochen und über den Krieg in der Ukraine]. | |
„Wir werden heute auch weiter über Zukunftsfragen diskutieren, die für | |
unsere Europäische Union von allergrößter Wichtigkeit sind“, kündigt Scho… | |
auf der Dachterrasse an. Er wirkt mit sich im Reinen, wie einer, der noch | |
lange mitdiskutieren will in dieser Runde. Klar, ein bisschen müde um die | |
Augen, etwas blass ist Scholz. Dennoch tritt er bemerkenswert frisch auf, | |
angesichts der 48 Stunden, die hinter ihm liegen. | |
Man merkt Scholz kaum an, dass er als Anführer einer Minderheitsregierung | |
nach Ungarn gekommen ist, als Kanzler auf Abruf. Denn die von ihm | |
angeführte Ampelkoalition ist zerbrochen, ausgerechnet am Tag nach der | |
US-Wahl. Am Mittwochvormittag stand fest, dass Donald Trump ins Weiße Haus | |
zurückkehrt, abends besiegelte Scholz das Ende seiner Regierung. Um 21.15 | |
Uhr trat der Kanzler im Kanzleramt vor die Medien: Er werde im Januar die | |
Vertrauensfrage stellen, damit im März der Bundestag neu gewählt werden | |
kann. Zuvor hatte er Finanzminister Christian Lindner entlassen. | |
## Zuwachs bei der SPD | |
Es war der letzte Akt eines Politpokers, bei dem es zuletzt nur noch um die | |
Frage ging, wer zuerst die Nerven verliert: Schmeißt Christian Lindner hin | |
oder Olaf Scholz ihn raus? Und zugleich ist es der erste Schritt in einem | |
Plan, der die SPD an der Macht und Scholz im Kanzleramt halten soll. | |
Scholz, der leise tretende Moderator eines Dreierbündnisses ist Geschichte, | |
Olaf, der kräftig austeilende Wahlkämpfer ist wieder da. | |
Mit Lindners Rausschmiss hat Scholz am Mittwoch immerhin das Heft des | |
Handelns in die Hand genommen und dazu eine Rede gehalten, für die sie ihn | |
später am Abend in der Fraktion mit Standing Ovations begrüßten. 500 | |
Menschen sind seit Mittwoch neu in die SPD eingetreten. Dieser Rückhalt aus | |
den eigenen Reihen, der Rausch des Endlich-sind-wir-die-FDP-los, das | |
erklärt wohl einen Teil des Selbstvertrauens, mit dem Scholz weiterhin | |
auftritt. Ob dieser Rückenwind anhält, stellen selbst wohlgesonnene | |
SPD-Beobachter infrage. | |
## Streit war an der Tagesordnung | |
Scholz werde es schwer haben, sich gegenüber CDU-Chef Friedrich Merz als | |
der bessere Kanzlerkandidat zu profilieren, meint der | |
Politikwissenschaftler Wolfgang Schroeder, der das „Progressive Zentrum“, | |
eine SPD-nahe Denkfabrik, leitet. Was die Ampel in den ersten beiden Jahren | |
unter schwierigen Bedingungen geleistet habe, sei schon beachtlich, meint | |
Schroeder. „Aber das Ende der Ampel kam zu spät. Scholz hat sich bis dahin | |
keinen Namen als durchsetzungsstarker Kanzler gemacht. | |
Richtig rund lief es zwischen SPD, Grünen und FDP ja nur ganz am Anfang, | |
erste Risse zeigte das Bündnis bereits im zweiten Jahr, dann das | |
Krediturteil des Bundesverfassungsgerichts vor einem Jahr, eine | |
schwächelnde Wirtschaft, der teure Krieg in der Ukraine. FDP-Finanzminister | |
Christian Lindner aber hielt die Schuldenbremse hoch. Streit war an der | |
Tagesordnung, die Umfragewerte trudelten in den Keller. | |
Schon als sich die SPD-Fraktion im September zur Klausur traf, war vielen | |
Genoss:innen klar: Das wird nichts mehr zu dritt. Olaf solle mehr | |
Führung zeigen, der FDP auch mal ein Basta ansagen. In der Parteizentrale | |
entwarf die Führung um Lars Klingbeil und Saskia Esken einen Plan, um die | |
Partei vom Ampel-Negativimage zu lösen und auf die Erfolgsspur zu setzen. | |
Projekt Kanzlerschaft 2025. Die Aufgabe für Scholz: sozialdemokratische | |
Themen auf die Tagesordnung zu setzen und die renitente FDP mit Vorschlägen | |
zur Rettung von Wirtschaft und Arbeitsplätzen zur Einordnung zu zwingen. | |
Mitte Oktober traf sich der Parteivorstand, alle in roten Fußballtrikots | |
mit der Nummer 25, zur Klausur und beschloss ein Strategiepapier mit | |
Steuererleichterungen für die „breite Mitte“ und Zusatzbelastungen für | |
Topverdiener, mit einem Industriestrompreis und Investitionsanreizen | |
für Unternehmen, die in Deutschland investieren. Letztere Punkte brachte | |
Scholz dann auch zuletzt im Koalitionsausschuss ein, spielte also wie | |
vereinbart die sozialdemokratische Karte. | |
Doch gleichzeitig setzte die Parteiführung gemeinsam mit dem gerade ins Amt | |
gekommen Generalsekretär Matthias Miersch darauf, dass die Ampel hält und | |
man damit noch ein knappes Jahr Zeit hat, um Anlauf für den Wahlkampf zu | |
nehmen. Für den 30. November war eine „Wahlsiegkonferenz“ angesetzt, das | |
Programm sollte erarbeitet und erst am 21. Juni auf dem Parteitag | |
beschlossen werden. Scholz sollte dabei zum Kanzlerkandidaten gekürt | |
werden, bis dahin wollte man tüchtig regieren. | |
## Bloß nicht noch einmal von Lindner vorführen lassen | |
Dass alles nun im Zeitraffer passieren muss, liegt aus Sicht der SPD einzig | |
und allein an Christian Lindner. Spätestens mit seinem Papier zur | |
Wirtschaftswende – im Wesentlichen Sozialkürzungen und | |
Steuererleichterungen für Gutverdienende und Unternehmen – war klar, dass | |
dieser einen schnellen Ampel-Ausstieg anpeilt. | |
Als sich Scholz in den Tagen vor dem Ampel-Ende zunächst mit Lindner, | |
später auch mit Robert Habeck traf und am Mittwoch der Koalitionsausschuss | |
zusammentrat, ging es zunächst einmal darum, ob man noch zusammen einen | |
Haushalt hinbekommt. Es galt ein zweistelliges Milliardenloch zu schließen, | |
die Haushälter:innen des Bundestags wollten am Donnerstag letzte Hand | |
anlegen. Denen zufolge hätten sie es hinbekommen. | |
Doch im Hintergrund liefen längst die Exit-Drehbücher. Der Kanzler hatte in | |
die Dreierrunde am Mittwochmorgen eine Agenda für Wirtschaftswachstum und | |
Arbeitsplätze eingebracht. Voraussetzung und Kernpunkt des Papiers war aber | |
die Forderung, die Ukraine-Hilfen und einen entsprechenden Zuschlag als | |
Solidaritätssignal nach der Trump-Wahl, aus der Schuldenbremse | |
herauszurechnen, für insgesamt 15,5 Milliarden Euro eine Ausnahme zu | |
genehmigen. | |
Dass die FDP da freudig mitgehen würde, erwartete niemand, deshalb hatte | |
Scholz’ Sprecher vorsorglich drei Reden vorbereitet: eine für den Fall, | |
dass es klappt, eine für den Fall, dass Lindner hinwirft und eine für den | |
Fall, dass Scholz ihn feuert. Denn eins wollte man nicht: sich noch einmal | |
von Lindner vorführen lassen, ihm womöglich erlauben, das Ampel-Aus selbst | |
zu verkünden. Es gab Spekulationen, dass Lindner den Zeitpunkt auf den | |
Freitag legen wolle, wenn Scholz in Budapest weilt. | |
Als Lindner dann im Koalitionsausschuss Neuwahlen vorschlug und dies auch | |
postwendend der Bild-Zeitung steckte, zog der Kanzler den Stecker. In einer | |
Sitzungspause ploppte die Nachricht auf den Handys auf: „Lindner schlägt | |
Neuwahlen vor.“ | |
## Scholz und die SPD als Sieger, befreit vom FDP-Fluch | |
Scholz kehrte gar nicht in den Konferenzraum zurück, sondern rief den | |
Bundespräsidenten an, um ihn um die Entlassung Lindners zu bitten. Das | |
teilte er dem verdutzten Finanzminister nach der Pause auch gleich mit. In | |
der anschließenden Regierungserklärung rechnete er ungewohnt offen mit dem | |
Geschassten ab: „Christian Lindner hat viel zu oft kleinkariert politisch | |
gehandelt, hat viel zu oft mein Vertrauen missbraucht.“ Es klang ein wenig, | |
als habe er eine Beziehung beendet. | |
Scholz hielt in der Vergangenheit oft seine schützende Hand über Lindner, | |
zu oft nach Meinung der eigenen Partei und der Grünen. Lindner sprach in | |
den ersten beiden Jahren voller Hochachtung von seinem Chef, auch in der | |
FDP-Fraktion war man sehr zufrieden mit Scholz. Fraktionschef Christian | |
Dürr ließ sich nach einem Jahr Ampel noch mit den Worten zitieren: [2][Der | |
Kanzler habe „Drive“, und „er macht das menschlich echt gut“.] | |
Nun ja. Das ist vorbei. Und trotz aller Verletzungen – in den Tagen nach | |
dem Bruch fühlen sich Scholz und die SPD als Sieger, befreit vom FDP-Fluch. | |
„Wir haben keine Mehrheit aber Klarheit“, sagte der Verteidigungspolitiker | |
Andreas Schwarz wenige Stunden nach dem Aus. Auch im Kreis der EU-Chefs | |
empfingen sie Scholz nicht mit flapsigen Bemerkungen. Vielleicht weil | |
einige innenpolitisch ähnlich wenig Rückhalt haben, Emmanuel Macron etwa. | |
Die erste Phase des SPD-Plans hat also geklappt – der SPD-Kanzler hat die | |
Bühne für sich. Nun gilt es noch die Umfragen zu drehen, der Union 10 | |
Prozentpunkte abzunehmen und herauszustellen, dass der besonnene | |
Sozialdemokrat schon jetzt ein besserer Kanzler ist, als der aufbrausende | |
Friedrich Merz es je sein wird. Scholz ist überzeugt, dass das klappen | |
kann. | |
Erst im Januar will er deshalb die Vertrauensfrage stellen, vorher noch | |
„wichtige Projekte, die keinen Aufschub dulden“ verabschieden, ein Paket | |
für die kriselnde Wirtschaft, weitere Hilfen für die Ukraine und das Paket | |
zur Stabilisierung der Rentenhöhe. Die Regierung hat er umgebaut. Allein: | |
Grünen und SPD fehlen im Bundestag 43 Stimmen zur Mehrheit. Also hofft man | |
auf die Union. | |
## Scholz und seine Sturheit | |
Merz signalisierte Gesprächsbereitschaft in Einzelfragen aber nur unter | |
einer Bedingung. Dass Scholz die Vertrauensfrage schon in der nächsten | |
Woche stellt, am besten nach seiner für Mittwoch geplanten | |
Regierungserklärung. Schon im Januar könne neu gewählt werden. Merz' Kalkül | |
ist klar – mit dem Ampelfrust als Rückwind ins Kanzleramt. | |
Die meisten Menschen geben ihm Recht. Zwei Drittel wollen laut | |
ARD-Deutschlandtrend schnelle Neuwahlen. Politikwissenschaftler Schroeder | |
meint zwar, dass es gute Gründe gebe, erst im März zu wählen. Die Parteien | |
brauchten Zeit, um Kandidaten aufzustellen, darauf habe auch die | |
Bundeswahlleiterin hingewiesen. „Aber Scholz hat das schlecht erklärt. Das | |
hat seinem verantwortungsethischen Anspruch geschadet.“ | |
So wirkt es also, als wolle sich Scholz noch ein bisschen Zeit verschaffen. | |
Auch andere Parteien, darunter die FDP, fordern inzwischen schnelle | |
Neuwahlen. Der Druck auf den Kanzler wächst. „Über den Termin sollten wir | |
möglichst unaufgeregt diskutieren“, sagte Scholz am Freitag in Budapest. | |
Er schlug vor, sich zunächst unter den demokratischen Parteien auf Gesetze | |
zu verständigen, die noch in diesem Jahr verabschiedet werden könnten. | |
„Diese Verständigung könnte dann auch die Frage beantworten, welcher | |
Zeitpunkt der richtige ist, im Bundestag die Vertrauensfrage zu stellen.“ | |
Das ist ungewöhnlich. Denn eine weitere, hervorstechende Eigenschaft von | |
Scholz ist seine Sturheit. Hat er sich einmal für einen Weg entschieden, | |
geht er ihn bis zum Ende. Notfalls allein. | |
9 Nov 2024 | |
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## AUTOREN | |
Anna Lehmann | |
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