| # taz.de -- Selbstbestimmungsgesetz in Berlin: Selbstbestimmung am Horizont | |
| > 1.200 Berliner:innen warten schon auf die einfache Änderung von | |
| > Geschlechtseintrag und Namen. Doch das neue Gesetz bringt auch Tücken mit | |
| > sich. | |
| Bild: Rückendeckung für trans, inter und nicht-binäre Personen | |
| Berlin taz | Es ist ein „riesiger queerpolitischer Meilenstein“. So | |
| bezeichnet der queere Verband LSVD+ das [1][Selbstbestimmungsgesetz], das | |
| am Freitag in Kraft tritt und damit das bisherige Transsexuellengesetz aus | |
| den achtziger Jahren ablöst. Ab 1. November können trans, inter und | |
| nicht-binäre Personen ihren Geschlechtseintrag und Namen einigermaßen | |
| unbürokratisch ändern. | |
| Dafür müssen sie sich zunächst beim Standesamt anmelden und nach drei | |
| Monaten Wartefrist nochmals beim Amt vorsprechen, um die Änderung | |
| beurkunden zu lassen. Menschen, die ihren Geschlechtseintrag ändern wollen, | |
| haben vier Möglichkeiten: weiblich, männlich, divers oder gar keine | |
| Geschlechtsangabe. | |
| Damit das Gesetz direkt am 1. November umgesetzt werden kann, waren bereits | |
| seit dem 1. August – also drei Monate im Voraus – die Anmeldungen in den | |
| Standesämtern geöffnet. In Berlin sind bis vergangene Woche etwa 1.200 | |
| Anmeldungen eingegangen. Die Anzahl der Anmeldungen variiert stark: Während | |
| in Reinickendorf bisher nur 46 Anträge eingegangen sind, waren es in | |
| Friedrichshain-Kreuzberg mit 208 Anmeldungen viermal so viele, mehr als | |
| überall sonst in der Stadt. | |
| ## Nicht ausreichend Kapazitäten | |
| Doch auf taz-Anfrage teilt der Bezirk mit, es seien weder räumliche noch | |
| personelle Kapazitäten vorhanden, um den „erforderlichen sensiblen Umgang“ | |
| zu gewährleisteten. Auch LSVD+-Sprecher:in Kerstin Thost ist angesichts der | |
| ohnehin schon angespannten Terminsituation in den Berliner Behörden | |
| skeptisch. | |
| Zwar hätten die Standesämter die vereinfachte Anmeldung zur | |
| Personenstandsänderung früh vorbereitet, doch wie gut die Umsetzung klappe, | |
| sei nicht vorhersehbar. Ohnehin komme es bei der Umsetzung des Gesetzes | |
| stark auf die einzelnen Ämter an, sagt Thost. Unter anderem deswegen steht | |
| René_ Rain Hornstein dem Gesetz „ambivalent“ gegenüber. Hornstein engagie… | |
| sich bei der TIN-Rechtshilfe, einer Beratungsstelle, die sich an trans*, | |
| inter* und nicht-binäre (TIN) Menschen richtet. | |
| Laut Hornstein lässt das Selbstbestimmungsgesetz eine Reihe an | |
| unterschiedlichen Auslegungen zu, die der Beratungsstelle „unnötig Arbeit“ | |
| machten. Besonders unklar seien die Vorgaben der akzeptierten Vornamen und | |
| wie „geschlechtstypisch“ diese sein müssen. Während einige Berliner Ämter | |
| wie das Bezirksamt Neukölln bereits erklärten, dass sie sowohl | |
| geschlechtskonnotierte als auch geschlechtsneutrale Vornamen annähmen, | |
| spricht das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg von | |
| „Einzelfallentscheidungen“. Generelle Aussagen über die Anerkennung | |
| geschlechtsneutraler Vornamen seien nicht möglich. | |
| „Wir als trans, inter und nicht-binäre Menschen haben wirklich andere Dinge | |
| zu tun, als uns um diese lästige Bürokratie zu kümmern“, sagt Hornstein. | |
| Kritik übt Hornstein ebenfalls daran, dass das Gesetz nicht für Menschen | |
| ohne unbefristeten oder verlängerbaren Aufenthaltstitel gilt. | |
| ## Verbesserung zum Transsexuellengesetz | |
| Trotz der Kritikpunkte ist das Gesetz für LSVD+-Sprecher:in Kerstin Thost | |
| ein „Paradigmenwechsel weg von Pathologisierung hin zu Selbstbestimmung“. | |
| Denn klar ist auch: Das bisher geltende Transsexuellengesetz war in dieser | |
| Form für trans, inter und nicht-binäre Menschen unhaltbar. | |
| Sophie Vogel* weiß das aus eigener Erfahrung: Der intergeschlechtlich | |
| geborenen Marzahnerin wurde als Kind das weibliche Geschlechtsteil | |
| entfernt. Sie fühlte sich jedoch als Frau und outete sich mit 15 Jahren als | |
| trans. Erst mit 18 konnte sie 2021 ihren Geschlechtseintrag und Vornamen | |
| unter dem hürdenreichen Transsexuellengesetz ändern. Das Gesetz forderte | |
| bisher zwei teure und langwierige psychologische Gutachten, in denen die | |
| Glaubwürdigkeit der Betroffen mit intimen, teils entwürdigenden Fragen | |
| geprüft wurde. „Es war ein harter Weg“, sagt Vogel. | |
| Mittlerweile zeigt sie stolz ihren Ausweis: „Ich bin eine Frau. Hier steht | |
| es schwarz auf weiß. Jetzt kann das niemand mehr infrage stellen.“ Und | |
| trotzdem wird ihre Identität infrage gestellt: Denn Sophie Vogel möchte | |
| eine geschlechtsangleichende Operation. Ideen im Zuge des neuen Gesetzes | |
| die Hürden für hormonelle und operative Geschlechtsangleichungen | |
| aufzuweichen, wurden jedoch verworfen. Die Begründung: Die körperlichen | |
| Veränderungen seien oftmals irreversibel und sollten nach gründlicher | |
| Überlegung entschieden werden, um spätere Reue möglichst zu vermeiden. | |
| ## Geschlechtsangleichung weiterhin schwer | |
| Betroffene müssen daher weiterhin einen langwierigen Prozess durchlaufen. | |
| Dazu gehören eine 12- bis 18-monatige Hormon- und Psychotherapie, eine | |
| Namens- und Personenstandsänderung, eine Kostenübernahmeerklärung der | |
| Krankenkasse sowie ein psychotherapeutisches Gutachten, das die Diagnose | |
| und die Operationsindikation bestätigt. | |
| Der belastende Prozess sorgt bei Vogel für viel Leid: „Ich kann psychisch | |
| nicht mehr“, sagt sie. Nach der Operation hofft sie, das sein zu können, | |
| was sie ist: eine selbstbewusste Frau. „Ich gebe nicht auf.“ Der Kampf um | |
| Selbstbestimmung geht also weiter. | |
| *Name von der Redaktion geändert | |
| 30 Oct 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Katharina Wulff | |
| Lilly Schröder | |
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