# taz.de -- Expert_in über Selbstbestimmungsgesetz: „Es ist eine historische… | |
> Das kommende Selbstbestimmungsgesetz wird von vielen Queers kritisiert. | |
> Kalle Hümpfner vom Bundesverband Trans* mahnt, den Gesetzentwurf | |
> abzuwarten. | |
Bild: Kalle Hümpfner von Bundesverband trans* | |
taz: Kalle Hümpfner, das geplante Selbstbestimmungsgesetz soll dafür | |
sorgen, dass der Geschlechtseintrag wie der Name niedrigschwellig geändert | |
werden kann. Die nächsten Tage soll der Entwurf dazu veröffentlicht werden. | |
Bis dahin wollten Sie ihn [1][erst mal nicht kommentieren]. Bleiben Sie | |
dabei? | |
Kalle Hümpfner: Wir können als Bundesverband Trans* nicht vorwegnehmen, | |
[2][was im Entwurf steht]. Was wir sehr wichtig finden, ist, dass der | |
Entwurf bald kommt. Daher finden wir es sehr positiv, dass es eine Einigung | |
auf politischer Ebene zwischen den federführenden Ministerien gab. In | |
unserem Statement haben wir das kommentiert und deutlich begrüßt. Nun | |
beobachten wir, dass eine breitere Debatte losgetreten wurde. Einerseits | |
geht es um die dreimonatige Wartefrist und andererseits geht es um | |
[3][einen Passus zum Hausrecht]. | |
Zuerst zur Wartefrist: Die dreimonatige Pause zwischen Antrag und | |
tatsächlicher Änderung des Geschlechtseintrags war eine Neuigkeit, die so | |
nicht in den Eckpunkten stand. Haben Sie dazu keine Haltung? | |
Tatsächlich ist uns erst seit Kurzem bekannt, dass es eine entsprechende | |
Frist geben soll. An dieser Stelle können wir sagen, dass wir diesen Punkt | |
und seine Bedeutung in der Praxis genau prüfen werden. Wenn die Wartefrist | |
die Änderung des Geschlechtseintrags deutlich schwieriger gestaltet, werden | |
wir das selbstverständlich kritisieren, sobald der Gesetzentwurf den | |
Verbänden vorgelegt wird. | |
Gehen Sie davon aus, dass die Bundesregierung daraufhin etwas nachjustiert? | |
Das lässt sich sehr schlecht vorhersehen. Wir werden in der | |
Verbändeabteilung alles anmerken, was wir kritisch finden. Was davon | |
aufgegriffen wird, ist noch unklar. Wir hoffen auf jeden Fall auch auf die | |
Möglichkeit, uns bei einer öffentlichen Anhörung im Bundestag einzubringen. | |
Dort wollen wir die Punkte erneut einbringen, die durch die Regierung nicht | |
berücksichtigt wurden. | |
Dann gibt es da noch die Debatte um das Hausrecht. In geschützten | |
Frauenräumen soll unabhängig vom Geschlechtseintrag im Pass wie bisher das | |
Hausrecht erlauben, bestimmte Personen des Orts zu verweisen. Die Koalition | |
argumentiert mit Paragraf 20 des Allgemeinen Gleichberechtigungsgesetz | |
(AGG). Darin heißt es, eine „Verletzung des Benachteiligungsverbots ist | |
nicht gegeben, wenn für eine unterschiedliche Behandlung wegen der | |
Religion, einer Behinderung, des Alters, der sexuellen Identität oder des | |
Geschlechts ein sachlicher Grund vorliegt“. Lassen Sie dieses Argument | |
zählen? | |
Wir kennen den entsprechenden Passus noch nicht, deswegen ist es sehr | |
schwierig, sich dazu zu äußern. Es ist alles bis zu einem entsprechenden | |
Grad spekulativ. Ferda Ataman erklärte in einem aktuellen Statement, dass | |
ein gruppenbezogener Ausschluss anhand körperlicher Merkmale oder dem | |
Erscheinungsbild nach dem AGG nicht zulässig sei. | |
Ich würde an der Stelle mit einem gewissen Optimismus, dass dieser Punkt | |
berücksichtigt wurde, dafür plädieren, den Entwurf abzuwarten und dann | |
genau zu prüfen. Natürlich werden wir uns als Verband mit Expert*innen | |
aus dem Antidiskriminierungsrecht beraten, um exakt zu klären, was dieser | |
Punkt in der Praxis bedeutet. | |
Was stimmt Sie so optimistisch? | |
Sven Lehmann hat als Queer-Beauftragter der Bundesregierung wiederholt | |
bekräftigt, dass das Selbstbestimmungsgesetz Diskriminierung abbauen soll | |
und nicht zu neuer Benachteiligung führen wird. Diese Zusicherung stimmt | |
mich zuversichtlich, solange ein Entwurf Schwarz auf Weiß nicht eine andere | |
Sprache spricht. | |
Die aktuelle Debatte, die an vielen Stellen ins Spekulative abdriftet, | |
besorgt mich dagegen. Es ist nicht auszuschließen, dass diese | |
Auseinandersetzung auch von transfeindlicher Seite gepusht wird. Die starke | |
Fokussierung auf die Hausrechtsdebatte spielt Gegner_innen in die Hände, | |
weil es dazu führen kann, dass sich der Entwurf für ein | |
Selbstbestimmungsgesetz weiter verzögert. Gleichzeitig werden absurde | |
Diskussionen geführt, die Vorurteile verstärken. | |
Was meinen Sie damit? | |
Was wir erleben, sind Diskussionen von Menschen, die kaum mit trans, inter | |
und nichtbinären Personen in Kontakt stehen. Ich kenne sehr viele trans | |
Personen in meinem Umfeld, die sagen, sie würden sowieso nicht in eine | |
Sauna gehen, weil sie dort diskriminiert werden oder sich unwohl fühlen. | |
Auch die hohe [4][Gewaltbetroffenheit von trans, inter und nichtbinären | |
Personen] kommt in der Diskussion selten zur Sprache. Stattdessen werden | |
sie als Täter*innen konstruiert. Wir reden hier eigentlich am Thema | |
vorbei. | |
Gleichzeitig gibt es trans, inter und nichtbinäre Personen, die öffentlich | |
diese Debatte führen. Sollten sie sich eher zurückhalten? | |
Die Frustration, Empörung und Verunsicherung kann ich verstehen, wenn | |
mögliche Verschlechterungen des Selbstbestimmungsgesetzes in Medien | |
thematisiert werden. Leider befürchte ich, dass eine sehr starke | |
Gegenreaktion auf Gerüchte auch gefährlich für das gesamte Vorhaben sein | |
kann. Damit wird das Gesetz in der Öffentlichkeit als umstritten | |
wahrgenommen. Es kann der Eindruck entstehen, dass die trans Communitys das | |
Selbstbestimmungsgesetz nicht unterstützen. Dann fragen sich die | |
Ministerien, warum sollen wir das voranbringen, wenn wir nur kritisiert | |
werden? | |
Das ist ein Moment, an dem das Vorhaben kippen könnte. Es ist [5][eine | |
historische Chance], dass das Selbstbestimmungsgesetz jetzt im | |
Koalitionsvertrag steht. Aber es ist noch nicht umgesetzt. | |
Glauben Sie wirklich, dass das Gesetzesvorhaben noch scheitern könnte? | |
Wir haben jetzt das schlechteste Szenario, dass wir in einer aufgeheizten | |
Debatte stehen und widersprüchliche Informationen zum Entwurf vorliegen. | |
Wir – und viele weitere Verbände – äußern uns daher nicht. Eine fachliche | |
Debatte ist derzeit nicht möglich. Dadurch entsteht eine Diskussion, in der | |
viele wichtige Stimmen in der Öffentlichkeit auch fehlen. Das ist ein | |
Ungleichgewicht. | |
Auch wenn Sie den Entwurf noch nicht kennen: Würden Sie sagen, das | |
Selbstbestimmungsgesetz, wie es nun angedacht ist – inklusive | |
Hausrechtsklausel –, ist trotzdem ein Fortschritt für trans, inter und | |
nichtbinäre Menschen? | |
Wir haben natürlich verbandsintern diskutiert. Es gibt rote Linien. Es wäre | |
ein massives Problem, wenn es einen Passus zum Hausrecht gäbe, der | |
Diskriminierung verstärkt. Hier spreche ich sehr bewusst im Konjunktiv. Ich | |
hoffe sehr, dass diese Situation nicht eintritt. | |
Wir haben in der Vergangenheit erlebt, dass es Entwürfe gab, die nicht | |
tragbar waren. 2019 wurde [6][ein Entwurf unter der damaligen | |
Justizministerin Katarina Barley] vorgestellt, der deutliche | |
Verschlechterungen enthielt. Es gab zu Recht starke Kritik und in der | |
verbleibenden Legislaturperiode war es nicht mehr möglich, einen weiteren | |
Anlauf für ein neues Gesetz zu nehmen. Ich hoffe sehr, dass wir nicht an | |
diesen Punkt kommen. | |
5 Apr 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Nachfolge-des-Transsexuellengesetzes/!5924999 | |
[2] /Entwurf-fuer-Selbstbestimmungsgesetz/!5924214 | |
[3] /Verzoegerung-von-Selbstbestimmungsgesetz/!5904850 | |
[4] /Transaktivistin-ueber-TERFs/!5920500 | |
[5] /Entwurf-zum-Selbstbestimmungsgesetz/!5921977 | |
[6] https://www.fluter.de/selbstbestimmungsgesetz-trans-bundestag | |
## AUTOREN | |
Nicole Opitz | |
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