# taz.de -- Neues Album von Schnipo Schranke: „Ein Song ist bei uns nie nur e… | |
> Schnipo Schranke werden gerne auf ihren Fäkalhumor reduziert. Anlässlich | |
> ihres neuen Albums „rare“ erzählen die Musikerinnen, um was es ihnen | |
> eigentlich geht. | |
Bild: „Man muss etwas opfern, damit es für andere eine Bereicherung ist“: … | |
taz.am wochenende: Ihr Album heißt „rare“ und das Cover sieht fast wie ein | |
Gebirgsrelief aus … | |
Daniela Reis: Eigentlich ist es ein Stück Rindfleisch. Und das englische | |
„rare“ meint ja nicht nur „selten“ und „roh“, sondern auch „ungew… | |
und „irre“. Blutig ist es ja sowieso. | |
Fritzi Ernst: Und ein bisschen eklig. | |
Sie haben das Album in einem Landhaus in Reichenow aufgenommen. Wo ist das? | |
Ernst: Ganz tief im Osten. Ich hatte schon polnisches Netz auf dem Handy. | |
Reis: Ein Badesee war gleich um die Ecke, ziemlich romantisch. Richtig | |
Bullerbü-mäßig. Wenn ich daran denke, wünsche ich mich dahin zurück. | |
Irgendwie war diese Woche die bisher beste meines Lebens. Man hatte nichts | |
anderes zu tun, als sich Zeit für die Songs zu nehmen. Wir waren maximal | |
gelassen und gut drauf. Was bei uns nicht immer so ist. | |
Sie kennen sich von der Musikhochschule in Frankfurt am Main. Wie war das | |
da? | |
Ernst: Man wird auf seinem Instrument ausgebildet, aber Kreativität ist | |
eher unerwünscht. Wenn man den Vorstellungen nicht entspricht, ist man halt | |
schlecht. Als wir mit der Band anfingen, habe ich von Dozenten zu hören | |
bekommen, dass ich mir das noch mal überlegen soll, weil man damit | |
keinerlei berufliche Perspektive habe. | |
Reis: Dabei hätten wir mit klassischer Musik wahrscheinlich auch nie viel | |
verdient. Es wird einem vorgegaukelt, dass man dort eine Ausbildung macht, | |
von der man irgendwann leben kann. Aber wir hätten maximal Musiklehrer | |
werden können. | |
[1][In der taz haben Sie 2015] über die fehlende Frankfurter Musikszene | |
geschimpft. Deshalb der Umzug nach Hamburg? | |
Ernst: Wir hatten Rocko Schamoni kennengelernt und uns ein bisschen über | |
Hamburg informiert. Da gibt es vieles, was uns gefällt. Und wir haben viel | |
Zuspruch von der dortigen Szene erfahren. | |
Reis: Als wir in Hamburg ankamen, war es, als wären die Betten für uns | |
schon gemacht. Frank Spilker von den Sternen hat uns letztens erzählt, dass | |
er unsere YouTube-Videos schon kannte, bevor wir nach Hamburg kamen. In | |
Frankfurt hat das keinen interessiert. Als wir letztes Jahr in Frankfurt | |
spielten, habe ich mich dafür entschuldigt, dass wir so über die Stadt | |
gelästert haben. Aber da hat keiner widersprochen, die haben alle gejubelt. | |
Kostet es Überwindung, Songs, die so persönlich sind wie Ihre, auf der | |
Bühne zu spielen? | |
Ernst: Immer. Man muss etwas opfern, damit es für andere eine Bereicherung | |
ist. Man muss sich aus seiner Wohlfühlzone herausbegeben. | |
Reis: So können wir aber einfach wir selbst bleiben. Das geht in der | |
Klassik nicht. Da muss man sich an eine Etikette halten. Die Privatheit | |
unserer Texte führt dazu, dass wir auch schlecht gelaunt auf die Bühne | |
gehen können, ohne dass es fürs Publikum unerträglich wird. Ein Abend wird | |
vielleicht noch wertvoller, wenn man zeigt, dass es einem nicht so gut | |
geht. | |
Schreiben Sie alle Ihre Songs zusammen? | |
Reis: Jede schreibt für sich. Aber wir sind eine Band und finden es | |
schöner, wenn beide für jeden Song Credits bekommen. | |
Ernst: Selbst wenn man den Song ganz allein gemacht hat, würde der ja ohne | |
die andere gar nicht stattfinden. | |
Was entgegnen Sie denen, die Sie als Performance-Künstler bezeichnen? | |
Jenen, die sagen, Sie würden mit Texten, in denen es um Pimmel und Sperma | |
geht, vor allem provozieren wollen? | |
Ernst: Wir sehen uns als Band, das ist keine Performance. Wir empfinden | |
unsere Texte auch nicht als provokant. Wir schreiben persönliche Songs. Das | |
ist kein künstlich heraufbeschworenes Gesamtkonzept. | |
Reis: Wir sind auch privat Freunde des Fäkalhumors. Ich bin davon | |
ausgegangen, dass es längst salonfähig ist, in der Popmusik solche Worte zu | |
verwenden. Mittlerweile weiß ich, dass das in der Presse noch immer für | |
Aufsehen sorgt. Im deutschen Schlager pickt man sich gern die blumigen | |
Seiten heraus. Aber warum soll ich darüber singen, dass mein Gatte mich | |
liebkost, wenn er mir doch den Finger in den Po gesteckt hat? Das ist doch | |
viel interessanter. Ich hoffe, dass das Thema irgendwann fallen gelassen | |
wird und hingenommen wird, dass so etwas Teil unserer Sprachkultur ist. | |
Ernst: Wir haben von deutschsprachiger Musik wenig mitbekommen, bevor wir | |
nach Hamburg kamen. Wir hörten HipHop, wo es üblich ist, sich direkter | |
auszudrücken. | |
Reis: Wir fanden und finden es einfach lustig. Aber ein Song ist bei uns | |
nie nur ein Gag. Wir waren naiv. Jetzt wissen wir, dass das als Statement | |
verstanden wird. Wir wollen auf der Bühne so reden, wie wir es auch privat | |
tun. Wenn wir uns da zurücknehmen, wäre es nicht mehr echt. Wenn man das | |
eklig findet, bin ich beleidigt. Dann muss man sich mit mir prügeln. | |
Was hören Sie noch außer HipHop? | |
Reis: Ich finde diese Frage wahnsinnig privat. Ich kann darüber schlechter | |
reden, als übers Ficken zu singen. Ich denke immer, dass die Leute anhand | |
meiner Lieblingsband direkt in mich reingucken können. Ich fühle mich | |
ertappt, man könnte herausfinden, womit ich mich identifiziere. Meine | |
Lieblingsbands sind The Cure und New Order. Ich kannte das alles gar nicht. | |
Wir saßen in dieser Klassiknische und haben uns nur mit Beethoven & Co. | |
beschäftigt. Im letzten Jahr tat sich dann ein neues Universum auf, wir | |
haben Synthesizer für uns entdeckt und Musik gehört, in der die vorkommen. | |
Es ist vielleicht für manche desillusionierend, dass wir nicht total | |
abgefahrenen Scheiß hören. Aber es ist viel faszinierender, Bands zu | |
beobachten, die schon lange dabei sind, als junge Künstler. | |
Die Personen, die Sie besingen, scheinen immer unerreichbar. In „Gast“ | |
beobachtet die Protagonistin von einem Baum aus ihren Geliebten in seinem | |
Zimmer. | |
Ernst: Es ist immer einfach, jemanden anzuhimmeln, den man kaum kennt. Das | |
ist eine Schwäche, die wir in dem Song ausleben. Bei uns geht es oft um | |
Situationen, in denen man extreme Gefühlslagen durchlebt. Das sind | |
Momentaufnahmen, wir fühlen uns auch nicht immer schlecht. | |
Suizid ist mehrfach ein Thema in Ihren Songs. | |
Reis: Für mich ist es keine Entblößung, darüber zu singen. Ich würde mir | |
wünschen, dass Themen wie psychische Krankheiten offen angesprochen werden. | |
Sie sind doch kein Grund, sich schwächer als andere fühlen zu müssen. Es | |
würde jedem besser gehen, darüber zu reden. Es gibt Kreise, in denen das | |
weniger leicht möglich ist als unter uns Musikern. Ich therapiere mich | |
selbst, wenn ich darüber schreibe. Ist der Song fertig, habe ich das | |
genügend reflektiert und kann vielleicht sogar darüber lachen. | |
Über Depressionen haben schon viele im Pop gesungen, aber bei Ihnen ist es | |
ungewöhnlich explizit. | |
Reis: Ich mag klare Worte. Ich hätte das Gefühl, nicht alles gegeben zu | |
haben, wenn ich das verschweigen würde. Ich stelle mich auf eine Bühne, | |
weil ich die Leute unterhalten möchte und möchte, dass sie mir zuhören. | |
Aber vielleicht will ich mich ja mit denen auch austauschen. Wenn man schon | |
diesen Schritt macht, dann muss man auch mit der vollen Wahrheit | |
herausrücken. Ich finde das normal. Vielleicht ist das der Grund, dass wir | |
auf der Bühne stehen, und nicht diejenigen, denen es gerade gut geht. Wir | |
wollen jedenfalls nichts Belangloses berichten. Mir persönlich hat es schon | |
oft geholfen, wenn Künstler so etwas tun. Man hat das Gefühl, nicht so | |
allein zu sein. | |
Würden Sie sich selber als Aushängeschild einer neuen Generation von | |
Feministinnen sehen? | |
Ernst: Es war uns am Anfang nicht bewusst, dass unser Geschlecht eine Rolle | |
spielt. Aber genau das wurde in fast jedem Artikel thematisiert. Wir | |
möchten, dass es als normal angesehen wird, dass wir als Frauen solche | |
Texte schreiben. | |
Reis: Von dir als Frau wird immer erwartet, dass du dich zum Thema | |
Feminismus positionierst. Wenn du keine Meinung hast, giltst du als | |
antifeministisch. Schon dass wir ständig dazu befragt werden, ist doch | |
sexistisch. Dann hat man plötzlich doch Bock, Feministin zu sein. Dabei | |
hätten wir es so gern, dass es das Problem gar nicht gibt. Wir würden gern | |
sagen, dass wir drauf scheißen. | |
27 Jan 2017 | |
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## AUTOREN | |
Jan Paersch | |
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