# taz.de -- Rap-Album „Minus x Minus = Plus“: Jeder kann es schaffen is’ … | |
> Chancengleichheit eine Farce und Fremdenfeindlichkeit ein Tabu: Auf | |
> seinem zweiten Album zeichnet sich Rapper Disarstar als Antirassisten. | |
Bild: Disarstar sieht ganz brav aus, ist er auch | |
Gerrit Falius ist gebürtiger Hamburger, nach Vorfahren von ihm sind Straßen | |
der Hansestadt benannt. Das weiß niemand, bekannter ist er unter seinem | |
Künstlernamen Disarstar. „Bin ’n Großstadtjunge, Kosmopolit“, lautet ei… | |
seiner Zeilen, darin votiert er für Weltoffenheit und gegen jede | |
Kleingeistigkeit. Zu Hause fühlt sich der 23-jährige Rapper auf St. Pauli, | |
wo er seit Längerem wohnt. | |
Zum Erstaunen vieler Fans bringt Disarstar nun sein zweites Album beim | |
Majorlabel Warner heraus. Das bescherte ihm ein höheres Budget: Beats vom | |
Produzenten SiNCH, der schon für Stars wie Alicia Keys und Jay Z gearbeitet | |
hat, und ein Video, gedreht in Tokio. Mit mehr [1][Clicks auf YouTube] | |
rechnet er nun natürlich auch. | |
Ist Disarstar nun im Mainstream angekommen? Jedenfalls rappt er nicht über | |
Bitches und den neusten Mercedes CLS. Disarstars Reime sind tiefgründiger. | |
Aufpeitscherei und Gangsta-Pose betrachtet er als Plattitüden. Andererseits | |
will er auf Selbstlob nicht ganz verzichten, er übertreibt nur nicht so | |
viel wie die Konkurrenz: „Ego hab ich genug für zehn / Ey ich sehe was, das | |
kannst du nicht sehn / Und zwar Inhalte, Aussage, Hingabe.“ Um die Message | |
noch klarer rüberzubringen, sind die Beats zurückgedreht. | |
Nun also veröffentlicht Disarstar sein zweites Album, „Minus x Minus = | |
Plus“. Die Mathematik bietet Trost. Wenn negative Faktoren multipliziert | |
werden, ergibt das Plus. Nur wer, so wie Disarstar, down gewesen ist, kann | |
seine Makel zu einem zählbaren Ergebnis multiplizieren. Ohne ruppige | |
Vergangenheit kein richtiger Rapper. Er positioniert sich als linker | |
Flügelstürmer – wie der Fußballer David Alaba. Unter Haltung versteht | |
Disarstar: Konsum ist hohl, Chancengleichheit eine Farce und | |
Fremdenfeindlichkeit ein Tabu. Daher bezeichnet er sich selbst als | |
Antirassist. Auf dem Track „Für Dich“ erklärt er: „Ey ich hab hier ’ne | |
Faust gegen Rassismus / gegen Chauvinismus / Projizier dein Selbsthass | |
nich’ auf andere, du Nichtsnutz / Mein Blick auf die Welt is’ bestimmt von | |
Respekt / Aber gucke ich nach rechts, seh’ ich nichts außer Dreck.“ | |
## Ich texte am liebsten hungrig | |
In „Glücksrad“ kommt er auf mangelnde Chancengleichheit unter Jugendlichen | |
und jungen Erwerbstätigen zu sprechen. Oft höre Chancengleichheit bereits | |
bei der Geburt auf – und spätestens beim Notendurchschnitt in der Schule, | |
erklärt Disarstar: „Jeder kann es schaffen / is’ eine Lüge, die das System | |
in den Bahnen hält / Ackern für 1–2 Netto / Oder reingehen für schwarzes | |
Geld / Frag dich selbst / Sie dreht sich um Papier / eine harte Welt“. | |
Beim Interview im Hamburger Karoviertel wirkt Disarstar entspannt und | |
souverän. Er kommt gerade aus Japan, wo das Video zu seinem Track „Konsum“ | |
entstanden ist. Im Text rappt er die „Kauf-dich-glücklich-Gesellschaft“ | |
ironisch an die Wand. Menschen- und Luxusmarkengewimmel: Um die Aussage | |
seines Songs zu illustrieren, habe sich Tokio perfekt geeignet. Obgleich | |
die höfliche und zurückhaltende Art der Japaner ihm gefiel, bleibt Hamburg | |
seine Lieblingsstadt. | |
Was denn typisch hanseatisch an ihm sei. „Vielleicht, dass ich statt ‚ein | |
bisschen‘ ‚’n büschen‘ sage“, antwortet Disarstar. Und woher kommt d… | |
Wille, politische Botschaften rauszuhauen? „Bei uns zu Hause standen | |
Tausende Bücher. Agitation habe ich von zwei kurdischen Mitschülern | |
gelernt.“ Disarstar sagt über seine Arbeitsmethode, er recherchiere wie ein | |
Journalist. „Weil ich nichts Falsches sagen will. Ich texte am liebsten | |
hungrig, idealerweise, wenn meine Wohnung komplett unaufgeräumt und | |
unordentlich ist.“ Er arbeite nur nüchtern. Das unterscheide ihn von vielen | |
anderen. „Ich finde es schade, dass meine Generation gewissermaßen ein | |
latentes Alkoholproblem hat.“ Er rührt keine Gifte an. Außer Zigaretten. | |
Musikalisch wirkt „Minus x Minus = Plus“ variabel – ein melancholisch | |
nervöses Saxofon bei „Glücksrad“ und besänftigende Akkorde einer Gitarre… | |
Liebeslied „Ares und Area“. Alle Instrumentals sind auf den Punkt | |
produziert, was auch daran liegt, dass viele Instrumente live eingespielt | |
wurden. So unterstreicht der Sound die Reime. Je öfter man die Songs von | |
Disarstar hört, umso einprägsamer werden sie. | |
Disarstars Stimme erinnert an Eminem auf dem Album „Recovery“ von 2010: | |
hart und zu allem entschlossen. Er spiegelt die Empfindungen vieler | |
Jugendlicher wider und gibt ihnen mit seinen Songs eine Stimme. „Minus x | |
Minus = Plus“ spricht genau das aus, wovor viele Jugendliche Angst haben, | |
nämlich den Anschluss zu verlieren – Verlierer zu sein. | |
10 Apr 2017 | |
## LINKS | |
[1] https://www.youtube.com/channel/UCHTvrgzou4HNtX8rUtdvj3g | |
## AUTOREN | |
Melina Savvidou | |
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