# taz.de -- Neue alte Synagoge: Bewegung am Hamburger Bornplatz | |
> Der Wiederaufbau von Hamburgs einst prächtigster Synagoge nimmt Formen | |
> an. Vor zu viel Rückwärtsgewandtheit warnt die Historikerin Miriam Rürup. | |
Bild: Angezündet und abgerissen: Erinnerungstafel für die Synagoge im Hamburg… | |
HAMBURG taz | Das Geld ist auf dem Weg. Noch nicht für die Synagoge selbst, | |
über deren Errichtung auf dem Joseph-Carlebach-Platz im Grindelviertel | |
[1][seit Kurzem diskutiert wird]. Aber gesichert ist die Finanzierung der | |
Machbarkeitsstudie, die vor zwei Wochen Bürgermeister Peter Tschentscher | |
(SPD) ankündigte: Am Freitag der vergangenen Woche sagte der | |
Haushaltsausschuss des Bundes 600.000 Euro dafür zu – auf Betreiben der in | |
solchen Dingen ziemlich gut eingespielten Hamburger Bundestagsabgeordneten | |
[2][Johannes Kahrs (SPD)] und Rüdiger Kruse (CDU). | |
„Die Politik redet nicht nur, sondern handelt“, freute sich Hamburgs | |
Landesrabbiner Shlomo Bistritzky [3][im Hamburger Abendblatt]. Die SPD | |
hatte sich das Thema erst mit einer gewissen Verzögerung zu eigen gemacht: | |
Den Anstoß zur Debatte hatte im Oktober der | |
Grünen-Bürgerschaftsfraktionsvorsitzende Anjes Tjarks gegeben, am | |
schnellsten Zustimmung signalisierten damals FDP und CDU. | |
Bistritzkys Arbeitgeber Philipp Stricharz, Vorsitzender der Jüdischen | |
Gemeinde, präzisierte am Freitag [4][gegenüber „Zeit online“], wie das | |
weitere Vorgehen aussehen könnte: „In einem Jahr wollen wir die | |
Machbarkeitsstudie abschließen, binnen fünf Jahren sollte die Synagoge | |
fertiggebaut sein. Das wäre unser Wunsch.“ Aber er wies in dem Interview | |
auch hin auf viele Details, die es noch zu klären gelte. „Eine | |
Planungsgruppe in der Gemeinde diskutiert gerade erste Ideen und Wünsche, | |
demnächst werden auch Vertreter der Senatskanzlei dazustoßen. Schließlich | |
ist der Wiederaufbau ein sehr großes Projekt.“ | |
Entschieden scheint indes schon das Äußere eines etwaigen Neubaus: So hatte | |
sich SPD-Mann Kahrs in der gemeinsamen Erfolgspressemeldung mit Kruse schon | |
zur Gestaltung geäußert: „Mir ist wichtig, dass, wenn die Synagoge | |
wiederaufgebaut wird, die Außenhülle originalgetreu rekonstruiert wird.“ | |
Auch der Gemeindevorsitzende Stricharz wies hin auf die lange als | |
verschollen geltenden Pläne der alten Synagoge im neoromanischen Stil. | |
Die war im Jahr 1906 fertiggestellt worden, entworfen hatten den | |
selbstbewusst frei stehenden Bau der Architekt Semmy Engel und | |
Regierungsbaumeister Ernst Friedheim. Die damals größte Synagoge in | |
Nordeuropa überstand die Pogromnacht Anfang November 1938 – geschändet, | |
beschädigt, aber nicht niedergebrannt. Einen ungeschützten Winter später | |
dann musste die Jüdische Gemeinde sie auf eigene Kosten abreißen lassen und | |
das Grundstück an die Stadt zurückverkaufen. | |
Die damaligen Baupläne hat Stricharz zufolge der Hamburger Historiker | |
Jürgen Sielemann wieder ausfindig gemacht: „Grundrisse und einige wichtige | |
Details liegen jetzt schwarz auf weiß vor uns. Daran können wir uns | |
orientieren, das hilft uns sehr.“ | |
Gegen ein bloßes Orientieren an dem, was einmal war, wendet sich Miriam | |
Rürup, Historikerin und Direktorin des Instituts für die Geschichte der | |
deutschen Juden in Hamburg: [5][Im NDR] sprach sie am Donnerstag vom Platz | |
als einer „sichtbaren Lücke, die der Nationalsozialismus in unserer Stadt | |
hinterlassen hat“. Wolle man einfach wieder aufbauen, was dort bis 1939 | |
stand, „macht sich bei mir das Unbehagen breit, dass man genau diesen | |
Verlust überdecken möchte“. | |
„Es geht mir nicht darum zu sagen: Auf dem Platz darf nichts passieren“, | |
präzisiert Rürup gegenüber der taz. „Auch ein Mahnmal kann nach 30 Jahren | |
neu überdacht werden.“ Den Grundriss der alten Synagoge macht seit 1988 das | |
[6][„Synagogenmonument“] der Künstlerin Margrit Kahl nachvollziehbar in | |
Gestalt von polierten Granitsteinen, die in den Platz eingelassen sind. Sie | |
frage sich aber, so Rürup zur taz: „Woher kommt diese Haltung der | |
Rückwärtsgewandtheit?“ | |
Neben diesem vielleicht geschichtspolitisch zu nennenden Argument hat Rürup | |
aber noch ein weiteres: „Wenn man heute versucht, dort möglichst nahtlos | |
anzuschließen, dann baut man ein Gebäude wieder auf, das historisch für | |
orthodoxes Judentum steht. Damit wäre es aber ein einseitiges religiöses | |
Symbol, das nur einen Teil des Judentums anspricht.“ | |
In der Tat: Hamburg war auch einmal die [7][Wiege des Reformjudentums], und | |
Spuren davon finden sich heute noch in der Neustadt, in einem Hinterhof in | |
der Poolstraße etwa. „Kaum eine andere Stadt würde doch so etwas derart | |
verrotten lassen“, sagt Rürup. „Sondern es entdecken als historisch | |
bedeutsam; sich auf den Weg machen und fragen: Wie können wir das | |
darstellen als Teil unserer Geschichte – und vielleicht sogar wieder zu | |
Glanz erwecken? Auch da wäre meine Fantasie nicht, einfach wieder | |
aufzubauen. Aber man könnte an diesem Ort vielschichtig jüdische Geschichte | |
in Hamburg zeigen.“ | |
Sie plädiert dafür, die angekündigte Machbarkeitsstudie zu öffnen: „Ist es | |
denkbar ein Haus für das Judentum zu bauen“, fragt die Historikerin, „in | |
dem alle Strömungen sich zu Hause fühlen können?“ | |
22 Nov 2019 | |
## LINKS | |
[1] /Synagogen-Initative-in-Hamburg/!5637335 | |
[2] https://kahrs.hamburg/pressemitteilung-johannes-kahrs-spd-und-ruediger-krus… | |
[3] https://www.abendblatt.de/hamburg/eimsbuettel/article227655039/Synagoge-Ham… | |
[4] https://www.zeit.de/hamburg/2019-11/judentum-antisemitismus-synagoge-hambur… | |
[5] https://www.ndr.de/nachrichten/hamburg/Ruerup-Platz-der-Synagoge-als-Mahnma… | |
[6] https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Synagogenmonument_Hamburg1.jpg | |
[7] /!5464453 | |
## AUTOREN | |
Alexander Diehl | |
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