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# taz.de -- 200 Jahre Reformjudentum: Die Hamburger Schule
> In Hamburg feiern liberale Juden die Gründung des Vereins „Israelitischer
> Tempel“. Vor 200 Jahren begann so der Versuch, sich möglichst weit zu
> assimilieren.
Bild: Einweihung des reformierten Tempels in der Poolstraße 1844
Hamburg taz | Es ging um etwas sehr Altes und etwas recht Neues: „Bei den
Hamburger Juden begann die Erfindung neuer Traditionen am 11. Dezember
1817“, schreibt der Historiker Andreas Brämer, stellvertretender Leiter des
ebendort ansässigen Instituts für die Geschichte der deutschen Juden. An
jenem Tag im Dezember vor 200 Jahren also trafen sich „65 jüdische
Hausväter, überwiegend aus der gehobenen Mittelschicht“, und
unterzeichneten „in feierlicher Prozedur“ ein Dokument, dessen Reichweite
damals wohl noch nicht recht absehbar war: Es war die Gründungsurkunde
eines Vereins – es waren schließlich deutsche jüdische Hausväter –, des
„Neuen Israelitischen Tempelvereins“.
Dahinter stand ein Unbehagen an den weit zurückreichenden Traditionen des
Judentums, dieser alten Religion; Traditionen, die dem Menschen der
Gegenwart immer weniger nahe seien. Der verstand ja vielfach schon die
hebräische Sprache nicht mehr, in der die Überlieferung verfasst war und
das Ritual abgehalten wurde; überhaupt war ihm fremd, was Jahrtausende lang
nicht hinterfragt worden war: So beschrieben die Hamburger Vereinsgründer
die Lage. „Es ging um eine Germanisierung, Ästhetisierung und Vereinfachung
des Gottesdienstes“, so Brämer.
## Das gelobte Land trat in den Hintergrund
Das war keine reine Formsache, das rührte auch am Inhalt: Zwar verschwanden
die Bezugnahme auf die angestammte Heimat des jüdischen Volkes und die
Hoffnung auf eine Wiedererrichtung des dortigen Tempels nicht ganz, aber
sie traten in den Hintergrund – zugunsten einer Akzeptanz des Daseins hier
und jetzt, unter Andersgläubigen also, mit deren je eigener Sprache und
Gepflogenheiten. Dagegen hielten traditionsbewusstere, orthodoxe Juden an
diesen Fernzielen fest, und der Zionismus sollte dann ein konkreter Schritt
werden, ihnen auch näher zu kommen.
Demgegenüber legten es die Vereinsgründer von 1817 aufs Ankommen an, aufs
Akzeptiertwerden diesseits des Heiligen Landes: Statt von Rabbiner und
Synagoge sprachen sie lieber von „Prediger“ und „Tempel“, und einen sol…
konnten sie weniger als ein Jahr nach der Vereinsgründung in der Hamburger
Neustadt eröffnen: Ab dem Oktober 1818 wurden dort, Brunnen-/Ecke
Steinstraße die Predigten mindestens teilweise in deutscher Sprache
gehalten, wobei der Prediger Ornat trug, eine besondere Kleidung also, wie
es bei den Christen verbreitet war; auch übernahm er hier teils Aufgaben,
die traditionell dem Kantor zukamen. Die Frauen saßen zwar auch im
Hamburger Tempel getrennt von den Männern – aber nur auf einer Empore, und
nicht hinter Gittern.
## Über den Hafen in die Welt
Sie waren damit nicht die ersten ihrer Art auf heute deutschem Boden: Eine
reformorientierte Schule mitsamt angeschlossener Synagoge hatte 1801 der
Pädagoge und Unternehmer Israel Jacobson im heute niedersächsischen Seesen
eingerichtet. Dass aber die Hamburger Idee des Reformjudentums auch
andernorts Beachtung fand, ja: zum Erfolgsmodell wurde – es hatte, klar,
mit dem Hafen zu tun und den Handelsbeziehungen in alle Welt. 1820 erlebte
Leipzig im Rahmen der dortigen Messe einen ersten Gottesdienst „im Stil des
Hamburger Tempels“, im US-amerikanischen Baltimore eröffnete 1842 ein
Tempel ausdrücklich nach Hamburger Vorbild, ein weiterer folgte 1845 in New
York; bis heute berufen sich Gemeinden in Nordamerika auf diese
Reformierten.
„Zahlreiche bedeutende Männer“ habe die Tempelvereinigung „unter ihren
Führern und Mitgliedern“ gehabt, heißt es nicht ohne Stolz in der
Festschrift, die 100 Jahre nach Gründung, im Oktober 1918, herauskam.
Hingewiesen wird darin prominent auch auf den Bankier und Mäzen Salomon
Heine: Der stand den Reformern wohlwollend gegenüber, während seinen
berühmteren Neffen, den Dichter Heinrich Heine, echte Sorge umtrieb: Er
hielt eine dauerhafte Spaltung des Judentums für möglich.
1918 hatten die Reformer ihren ersten Tempel längst verlassen: 1842 war in
der nahe gelegenen Poolstraße mit dem Bau eines neuen, größeren begonnen
worden, 1844 wurde dieser eingeweiht. Reste davon stehen bis heute im
Hinterhof eines denkmalgeschützten Ensembles: Was fehlt, fiel 1944 dem
Krieg zum Opfer, aber nicht der „Reichspogromnacht“ 1938: Da nämlich war
der Bau schon aufgegeben, zugunsten des dritten Hamburger Tempels in der
Oberstraße; zudem sollen die Brandstifter in Braun die Immobilie verschont
haben. weil die im Hinterhof lag – und Feuer auch „arischen“ Häusern hä…
gefährlich werden können.
Den kompletten Schwerpunkt der taz nord zur Bedeutung Hamburgs für das
Reformjudentum lesen Sie in der taz am Wochenende am Kiosk oder digital
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8 Dec 2017
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## AUTOREN
Alexander Diehl
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