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# taz.de -- Historikerin über Synagogen und Tempel: „Zeichen jüdischer Eman…
> Die Bornplatz-Synagoge wird wohl neu aufgebaut, der liberale Tempel in
> der Poolstraße harrt der Sanierung. Miriam Rürup über Hamburgs jüdische
> Bauten.
Bild: Könnten Startpunkt eines Geschichtslehrpfads werden: Reste des Tempels i…
taz: Frau Rürup, wofür stand der jüdische Tempel in der Hamburger
Poolstraße?
Miriam Rürup: Vor allem steht er für eine Emanzipationsbewegung. Man wollte
auf modernere Art Gottesdienst feiern und trotzdem weiter jüdisch-religiös
leben. Diese Reform begann Anfang des 19. Jahrhunderts – übrigens nicht nur
in Hamburg. Die Hamburgische Besonderheit war, dass sich dafür der
Israelitische Tempelverein gründete und ein eigenes Haus baute, das fast
100 Jahre stand und immerhin 80 Jahre lang genutzt wurde. Zugleich steht er
für 300 Jahre jüdische Geschichte Hamburgs – von den Anfängen der ersten
dort ansässigen Juden bis zum Ende des 19. Jahrhunderts. Denn seine Ruine
ist das letzte bauliche Relikt dieser Zeit.
Der Tempel muss riesig gewesen sein.
Ja. Er bot Platz für 380 Männer unten und 260 Frauen oben auf den Galerien.
Die Reformbewegung stand ja dafür, dass die [1][Rolle von Frauen] im
Gottesdienst gestärkt wurde. Das zeigte sich auch darin, dass Frauen und
Männer den Tempel durch denselben Eingang betraten und einander im
Gottesdienst ohne die vorher übliche Sichtblende sehen konnten.
Trotzdem bildeten die Reformjuden die Minderheit.
Ja. Aber es haben sich bald viele Anhänger gefunden, weil es gerade für die
verbürgerlichte [2][assimilierte Mittelschicht,] die im hanseatischen
Judentum eine große Rolle spielte, eine Antwort auf die Moderne war.
Und für welche Strömung stand die Bornplatz-Synagoge, deren Wiederaufbau
man jetzt beschloss?
Die 1906 eröffnete Bornplatz-Synagoge stand für das orthodoxe Judentum. Und
wie in Hamburgs Altstadt/Neustadt gab es auch hier, im Grindelviertel,
viele Synagogen. 100 Meter weiter stand die neue Dammtor-Synagoge. Dort
beteten Juden, die ich als gemäßigt konservativ bezeichnen würde.
Wem galt die 1960 in der Hohen Weide eröffnete Synagoge?
Allen. Das war eine typische Entwicklung der deutschen
Nachkriegsgeschichte: Da es nach der Shoah nur noch wenige Juden gab,
wurden „Einheitsgemeinden“ eingerichtet. Und da die Juden, die vor allem
aus Osteuropa kamen, oft traditioneller geprägt waren als die
westeuropäischen Juden, war der kleinste gemeinsame Nenner eine Tendenz zur
orthodoxen Ausrichtung. In den 1960er-, vor allem aber in den 1980er-Jahren
hat sich das aufgefächert, und es entstanden innerhalb der
Einheitsgemeinden unterschiedliche Gebetsausrichtungen. Auch innerhalb der
Hamburger Einheitsgemeinde gibt es einen Reformflügel. Dazu kommt die
Liberale Jüdische Gemeinde, 2004 als Nachfolgegemeinde des „Neuen
Israelitischen Tempelverein von 1817 (5578)“ wiedergegründet.
Die Liberale Gemeinde hat bis heute keinen Gebetsraum. Könnte sie die
Bornplatz-Synagoge mit nutzen? Oder die Synagoge in der Hohen Weide?
Dafür müssten Sie natürlich mit der Liberalen Gemeinde selbst sprechen.
Aber warum sollte man nicht dafür auch die Hohe Weide im Blick behalten?
Sie ist ja erst vor wenigen Jahren renoviert worden, und man könnte sie
sofort beziehen – sofern das für die Liberale Gemeinde vorstellbar wäre.
Und was den immer mal wieder geäußerten Vorschlag einer gemeinsamen
Synagoge betrifft: Einerseits klingt das verlockend und versöhnlich.
Andererseits: Wieso sollten sie? Man erwartet ja auch nicht von allen
Christen, dass sie unter einem Dach beten. Man könnte ja auch sagen:
Vielleicht ist jetzt die Zeit gekommen dafür, dass die verschiedenen
Ausprägungen jüdischen Glaubens jede für sich leben – unter einem
Dachverband, der alles Administrative regelt. Wir sollten allerdings auch
nicht vergessen, dass die 1931 eröffnete Synagoge in der Oberstraße, in der
die liberale Vorkriegsgemeinde betete, noch immer steht. In ihr befindet
sich heute das [3][Rolf-Liebermann-Studio] des NDR.
Und welche Nutzung schlagen Sie für die Poolstraße vor?
Die Stadt Hamburg hat ja erfreulicherweise einen Teil des Areals gekauft:
den Hof mit der Ruine. Allerdings nicht die Vorderhäuser. Damals gehörten
sie mit zum Ensemble, denn die Mieteinnahmen aus den Vorderhäusern haben
das Gemeindehaus mitfinanziert. Jetzt muss man überlegen: Wer wird
Betreiber, und was soll an diesem Ort entstehen? Die Stadt hat ja schon
verkündet, dass es auch Wohnraum geben soll. Was uns als Initiative Tempel
Poolstraße wichtig ist: Alle historischen baulichen Reste müssen öffentlich
nutzbar sein.
In welcher Form?
Das sollte in einem partizipativen Prozess erarbeitet werden. Mindestens
aber in einem öffentlich ausgeschriebenen Wettbewerb, über dessen
Ergebnisse die Stadtgesellschaft dann diskutieren kann.
Dann kann es keinen Synagogenraum geben, denn er wäre nicht öffentlich
zugänglich.
Ein Gottesdiensten vorbehaltener Raum wäre schon integrierbar. Das Areal
umfasst einige hundert Quadratmeter Fläche, für die man durchaus eine
Mischform überlegen könnte.
Wie könnte sie aussehen?
Die Liberale Gemeinde könnte im Apsisgebäude Büroräume bekommen. Im
Portalgebäude, in dem heute eine Galerie ist, könnte man eine Ausstellung
zeigen. Den Hof könnte man überdachen und für Veranstaltungen nutzen, die
Räume im ersten oder zweiten Stock des Apsisgebäudes als Gemeinderäume,
vielleicht auch für Gottesdienste.
Wer käme als Betreiber infrage?
Ich würde schon die Stadt in der Pflicht sehen – etwa in Form einer
Stiftung. Denn es müsste wohl ein eigener Träger gefunden werden. Der Ort
soll ja als Begegnungsstätte funktionieren. Es muss der Denkmalschutz
umgesetzt, eine religiöse und museale Nutzung ermöglicht sowie ein Café und
Veranstaltungsräumlichkeiten unterhalten werden: Dafür braucht man einen
Betreiber, der genügend Erfahrung und Finanzmittel hat.
Wobei Hamburg beim Stadthaus, einst Gestapo-Zentrale, keine guten
Erfahrungen mit einem Investoren gemacht hat.
Das ist wahr. So etwas wie das [4][Stadthaus,] in dem der Investor die
zugesagte Gedenkort-Fläche über formale Winkelzüge kleingerechnet hat, darf
sich nicht wiederholen.
Wenn ein Teil des Poolstraßen-Areals Museum würde: Schwebt Ihnen eine
„Filiale“ des Museums für Hamburgische Geschichte vor?
Es könnte jedenfalls eine gute Ergänzung sein, denn die Poolstraße liegt
fast in Sichtweite des Museums. Das Portalgebäude in der Poolstraße ist
relativ klein, eine Ausstellung dort könnte aber in jedem Fall
Ausgangspunkt für Erkundungen jüdischer Kultur in der Innenstadt sein. Der
Startpunkt für einen Geschichtslehrpfad vielleicht, ergänzt durch digitale
Unterstützung.
Sollte man dort ausschließlich die Geschichte des liberalen Judentums
zeigen?
Nein, denn sie ist nicht zu trennen von der jüdischen Geschichte Hamburgs
und der jüdischen Geschichte überhaupt.
Gäbe es Mäzene für die Gestaltung des Poolstraßen-Areals?
Die fehlen uns noch. Aber die Initiative zur Rettung und Öffnung der
Tempelruine Poolstraße hat viele UnterstützerInnen. Ihr gehören
ArchitektInnen, DenkmalschützerInnen, HistorikerInnen und interessierte
NachbarInnen an, und sie hat im Vorfeld des Ankaufs durch die Stadt einen
offenen Brief zur Rettung der Poolstraße eingereicht sowie den Verein
TempelForum e.V. gegründet. Die internationale Resonanz war groß, denn im
Erinnerungshaushalt des Liberalen Judentums gilt Hamburg als Geburtsstätte
des Reformjudentums – obwohl die erste reformjüdisch orientierte Schule ja
in Seesen stand. In sehr kurzer Zeit haben wir 280 UnterzeichnerInnen aus
15 Ländern gefunden – darunter viele RabbinerInnen und
GemeindevertreterInnen. Die Foundation for Jewish Heritage unterstützt die
Initiative auch institutionell.
21 Apr 2021
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[1] /Frauen-im-Judentum/!5663118
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[4] /Archiv-Suche/!5656959&s=Stadthaus+Hamburg&SuchRahmen=Print/
## AUTOREN
Petra Schellen
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