# taz.de -- Künstlerin über Erinnerungs-Projekt: „Eine Lücke, die ich fül… | |
> Das Projekt „Performing Denkmal“ erweitert Gedenkorte und Denkmäler | |
> performativ. Den Anstoß gab ein Spaziergang über den Jüdischen Friedhof | |
> in Altona. | |
Bild: Mit Schaum und Lavendelwasser: Reinigung des Gedenksteins auf dem Platz d… | |
taz: Maria Isabel Hagen, das Projekt „Performing Denkmal“ gab es lange | |
bevor Sie im September eine Art Premiere feiern konnten an drei Abenden. | |
Seit wann genau? | |
Maria Isabel Hagen: Ich habe angefangen, darüber nachzudenken, als ich 2019 | |
mit meinem Projektpartner Christopher Felix Hahn, der gebürtiger Hamburger | |
ist, über den [1][Jüdischen Friedhof in Altona] gelaufen bin. Der war | |
gerade erst zugänglich gemacht worden für die nicht-jüdische Allgemeinheit. | |
Ich war geschockt – einerseits davon, wie wenig ich über das Judentum | |
allgemein weiß. Aber auch darüber, dass ich diesen Ort nie gesehen hatte, | |
obwohl er beinahe von meiner Haustür liegt. Das hat den Anstoß gegeben, | |
mich mit jüdischer Geschichte in Hamburg auseinanderzusetzen. Dann habe ich | |
angefangen, ein Konzept zu entwickeln, und es war zeitweise wie Memory | |
spielen: Je mehr ich aufdeckte, desto mehr passte zusammen und desto mehr | |
Orte sind mir begegnet, an denen ich tagtäglich vorbeigekommen bin, über | |
deren jüdischen Hintergrund ich aber nichts gewusst hatte. | |
Zum Beispiel? | |
Der ehemalige jüdische Friedhof in Ottensen [2][unter dem Einkaufszentrum | |
„Mercado“]. Oder der [3][Tempel in der Poolstraße] in der Hamburger | |
Neustadt. Es war auch die Zeit von Black Lives Matter, 2020, es wurden | |
weltweit Denkmäler in Frage gestellt, umfunktioniert, auch gestürzt. Leute | |
haben sich gefragt: An was genau erinnern wir eigentlich mit diesen | |
Statuen? Ist das noch zeitgemäß? | |
Sie haben dafür alternative Formen gesucht? | |
Ja, aber auch andere Inhalte, an die zu erinnern wäre. Parallel zu diesem, | |
zu meinem Unwissen über das Judentum habe ich mich auch gefragt: Wie | |
funktioniert das Erinnern überhaupt? Und welche alternativen Formen kann es | |
dafür geben? Und das nicht im luftleeren Raum: Für mich gibt es eine starke | |
Diskrepanz zwischen abgelegten Kränzen oder einmal im Jahr polierten | |
Stolpersteinen – und den [4][Schüssen auf die Synagoge in Halle] und | |
überhaupt der jährlich wachsenden Zahl antisemitischer … ja, man nennt das | |
immer ganz neutral „Übergriffe“. Es sind aber häufig gewalttätige Angrif… | |
auf Menschen, die in der Mitte unserer Gesellschaft leben und sich aufgrund | |
dessen eigentlich sicher fühlen, sicher fühlen sollte. Da habe ich eine | |
Lücke empfunden, die ich irgendwie füllen wollte. | |
Sie haben dann mehrere einschlägige Hamburger Orte, auch Objekte | |
„performativ erweitert“. Welche – und wie? | |
Im August 2022 war das erste Denkmal der ehemalige Friedhof in Ottensen. | |
Das zweite war dann am Platz der Deportierten neben dem Hauptgebäude der | |
Hamburger Universität. Das Projekt ist auch ein Findungsprozess gewesen: In | |
meinem allerersten Konzept stand noch ein rein deutsches, also: | |
nicht-jüdisch deutsches Team. Aber im Verlauf ist mir klar geworden: Ich | |
sehe zwar die Verantwortung auf Seiten der nicht-jüdischen Deutschen, sich | |
auseinanderzusetzen mit der Geschichte und damit, wie wir sie aufbereiten. | |
Es sind nicht die Jüdinnen und Juden, die Stolpersteine polieren müssen. | |
Aber es ist trotzdem eine Frage der Beteiligung jüdischer Menschen am | |
Projekt – eigne ich mir sonst ein Thema an, das mir nicht zusteht? | |
Man kann sich natürlich schönreden, dass es gerade richtig sei, nicht als | |
Angehörige einer betroffenen Gruppe zu sprechen, sondern als Teil einer | |
Mehrheit: Weil man mehr Gehör findet, potenziell. Und weil das Gesprochene | |
gerade nicht darauf reduziert werden kann, dass da vermeintlich nur | |
Betroffenheit sich einen Ausdruck sucht. Man kann da also eine Stärke | |
erkennen – aber es bleiben Widersprüche. | |
Widerspruchsfrei ging sowieso in dem ganzen Projekt überhaupt nichts. Uns | |
sind im Verlauf immer wieder neue Sachen aufgefallen. Nehmen wir den Tempel | |
in der Poolstraße, [5][die Gründungsstätte des liberalen Judentums], einer | |
der weltweit wichtigsten Orte für das liberale Judentum überhaupt – und von | |
der Stadt Hamburg total dem Verfall anheimgegeben. Für uns stand schnell | |
fest, wir können da nicht performen, das steht uns nicht zu. | |
Als nicht-jüdische Menschen. | |
Wir können den Boden dafür bereiten, aber wir laden jüdische | |
Künstler:innen ein und ziehen uns dann auch aus der Kuration zurück. Ich | |
habe mich auf die Organisationen beschränkt. Wir haben ja versucht, auch | |
den Begriff Denkmal neu zu denken: Denkmäler, die in die Zukunft schauen. | |
Auch da habe ich wieder Jüdinnen und Juden eingeladen haben, sich Ideen | |
auszudenken, die ich dann mit ihnen zusammen umsetze. Ich habe also etwas | |
auszulagern versucht, abzugeben. Anders als beim Gedenkstein auf dem Platz | |
der Deportierten neben der Uni. | |
Wie war es da? | |
Den haben wir aktiv performativ erweitert, indem wir den Stein geschrubbt | |
haben mit Schaum und Lavendelwasser. Aber das ist ein Gedenkort, eine | |
Auftragsarbeit eines nicht-jüdischen Künstlers, Ulrich Rückriem. Das heißt, | |
da sehe ich mich eher als Deutsche, die einen dem Erinnern zugedachten | |
Stein durch eine performative Aktion wieder ins Bewusstsein der | |
Passant:innen zu bringen versucht. Bei der Synagoge beziehungsweise der | |
Tempel-Ruine fand ich dagegen, das ist ein Ort, an dem ich als Nichtjüdin | |
selbstverständlich sprechen kann. Aber warum sollte ich das tun, wenn es | |
auch eine Jüdin sein kann oder ein Jude? Ich hätte dort wohl etwas | |
Informatives gemacht, über die Geschichte erzählt, die Zwischennutzung der | |
Räume und so weiter. | |
Stattdessen gab es eine Performance von Tänzerin Yeva Lapsker und Maler | |
Pavel Ehrlich. | |
Eine symbiotische Performance, die eher darauf abgezielt hat, das Feuer im | |
Tempel wieder zu entfachen – auch, indem sie da tatsächlich eine Kerze | |
angezündet haben. Aber vor allem, indem sie jüdisches Leben wieder dorthin | |
gebracht haben. | |
Geht es „Performing Denkmal“ also vor allem um das Bewahren von teils lange | |
und arg vernachlässigten Orten vor dem Vergessen? | |
Ja, aber das Projekt will auch das Erinnern an sich hinterfragen: Bedeutet | |
es nur, etwas nicht zu vergessen? Deshalb habe ich auch den jüdischen | |
[6][Videokünstler Pavel Franzusov] mit ins Projekt geholt, damit er sich | |
utopische Denkmalideen ausdenkt. Ich selbst hätte mir nie rausgenommen, | |
diese Ideen auch nur als Skizze zu entwerfen. Während Pavel ziemlich | |
radikale Vorschläge macht. | |
Die sind nun [7][im Netz anzusehen]. So wie auch einige Ihrer eigenen | |
performativen Erweiterungen. | |
Es wird auch noch einen Trailer des im September aufgeführten Theaterabends | |
geben. Auf Anfrage haben wir auch einen Zusammenschnitt der damaligen | |
Produktion für Interessierte. Die versteht sich ja als das zwölfte Denkmal, | |
ist also nur ein Teil des Projekts. Das heißt, [8][auf meiner Homepage] | |
sind nun alle Denkmäler zu finden, die wir performativ erweitert haben – | |
und das auch filmisch festgehalten. Es gibt auch Denkmäler, die wir nicht | |
filmisch dokumentiert haben, weil auch da die Frage ist, in welcher Form | |
erinnern wir uns – hat es nur stattgefunden, wenn es filmisch festgehalten | |
wurde? | |
12 Nov 2023 | |
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[7] https://youtube.com/playlist?list=PLv8nbfXdQ0SlYOGrvoe-lhq5JXeJzr_eE&si… | |
[8] https://www.mariaisabelhagen.de/ | |
## AUTOREN | |
Alexander Diehl | |
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