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# taz.de -- Gedenken an Reichspogromnacht 1938: Tief verwurzelte Ängste
> An vielen Orten wird am Donnerstag an die Pogromnacht vor 85 Jahren
> erinnert. Charlotte Knobloch beklagt die verschlechterte Lage der Juden
> in Deutschland.
Bild: Kerzen vor einer Kölner Synagoge nach einem Schweigegang vor dem Gedenkt…
BERLIN dpa/epd/taz | Mit zahlreichen Veranstaltungen wird am Donnerstag an
die brutalen Pogrome der Nationalsozialisten gegen Jüdinnen und Juden vom
9. November 1938 erinnert – vor genau 85 Jahren.
Neben Bundeskanzler Olaf Scholz wird bei der zentralen Gedenkfeier in einer
Berliner Synagoge auch Josef Schuster sprechen, der Präsident des
Zentralrats der Juden. Thema sind dabei auch die wachsenden Ängste von
Jüdinnen und Juden heute.
Seit dem Angriff der palästinensischen Terrororganisation Hamas auf Israel
am 7. Oktober hat in Deutschland die Zahl judenfeindlicher und
antiisraelischer Vorfälle stark zugenommen. Tausende kamen zu
propalästinensischen Demonstrationen. Viele Jüdinnen und Juden berichten,
sie trauten sich hier nicht mehr, ihren Glauben und ihre Symbole offen zu
zeigen.
„Ich kann mich nicht erinnern, dass ich je einen solchen Angst-Komplex
unter Jüdinnen und Juden in Deutschland erleben musste wie heute“, sagte
Charlotte Knobloch, die Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde
München und Oberbayern, dem Tagesspiegel. „Die Menschen haben so viel Angst
wie noch nie, manche überlegen sogar, das Land zu verlassen.“ Lange hätten
sich Juden in Deutschland sicher gefühlt, nun aber spürten sie: „Sicherheit
wie früher gibt es hier nicht mehr.“
Zentralratspräsident Schuster sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland: „Es
hat Jüdinnen und Juden erschüttert, dass auch in Deutschland so viele
Menschen für Judenhass und Israelfeindlichkeit empfänglich sind. Die Bilder
von deutschen Straßen, auf denen vor allem Arabischstämmige die Vernichtung
Israels und die Auslöschung aller Juden fordern, sprechen tief verwurzelte
Ängste an, die auch mit dem 9. November 1938 zusammenhängen.“
## Landesweite Gewaltwelle gegen Juden
1938 hatten Schlägertrupps der Nationalsozialisten in der Nacht vom 9. auf
den 10. November [1][landesweit eine Gewaltwelle gegen Juden] begonnen. In
der Folge wurden nach Angaben des Deutschen Historischen Museums mehr als
1.300 Menschen getötet, 1.400 Synagogen zerstört und beschädigt, 7.000
Geschäfte überfallen und 30.000 Juden in Konzentrationslager verschleppt.
Viele Bürger machten bei den Pogromen mit oder stellten sich ihnen
zumindest nicht entgegen.
Wegen bedrohlicher Situationen im Alltag und antiisraelischer
Demonstrationen fühlen sich heute viele Juden daran erinnert. So erklärte
das Internationale Auschwitz Komitee: „85 Jahre nach dem 9. November 1938
ist für Überlebende des Holocaust ‚damals‘ ganz nah.“ Zentralratspräsi…
Schuster unterstrich aber vor einigen Tagen im dpa-Gespräch auch die
Unterschiede: „1938 war das Ganze ein staatlich gelenktes Pogrom. Davon
kann heute in Deutschland Gott sei Dank keine Rede sein.“
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der neben Bundesratspräsidentin
Manuela Schwesig ebenfalls an der Berliner Gedenkfeier teilnimmt, hatte am
Mittwoch Juden den Schutz durch Staat und Gesellschaft ausdrücklich
zugesagt. Scholz hat sich bereits ähnlich geäußert: „Wer Juden in
Deutschland angreift, greift uns alle an“, sagte der Kanzler vor einigen
Tagen dem Mannheimer Morgen.
## Attackierte Synagoge
Die Gedenkveranstaltung findet in der Synagoge Beth Zion in Berlin-Mitte
statt, [2][auf die kürzlich ein Brandanschlag verübt wurde]. Der Anschlag
stand im Zusammenhang mit Auseinandersetzungen nach den Terrorangriffen auf
Israel.
Der Bundestag debattiert anlässlich des Gedenktages am Morgen über den
Schutz jüdischen Lebens in Deutschland. Die evangelische und die
katholische Kirche laden für den Nachmittag im Westteil Berlins zu einem
stillen Gedenkweg ein.
Vor der Gedenkfeier debattiert am Donnerstag auch der Bundestag über den
Schutz jüdischen Lebens in Deutschland. Die beiden Linken-Vorsitzenden
Janine Wissler und Martin Schirdewan mahnten vorab, Antisemitismus in allen
Formen zu bekämpfen. „Diese Lehre aus der Geschichte darf niemals vergessen
werden und muss uns Auftrag zum Handeln sein“, erklärten sie zum 9.
November.
Auch die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel meldete sich zu Wort und
erklärte, der Kampf gegen jede Form von Judenfeindlichkeit sei staatliche
und bürgerschaftliche Pflicht: „Juden müssen sich in Deutschland sicher
fühlen können.“
## Nie wieder ist jetzt
Auch in vielen anderen Städten wird an den 9. November 1938 erinnert. In
Hamburg werden am Nachmittag bei der zentralen Gedenkveranstaltung am
Joseph-Carlebach-Platz neben vielen anderen Bürgermeister Peter
Tschentscher, der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Philipp Stricharz und
die Fridays-For-Future-Aktivistin Luisa Neubauer reden. Das Motto der
Veranstaltung lautet „‚Nie wieder‘ ist jetzt“.
Die Gedenkfeier aus der Berliner Synagoge Beth Zion in Berlin-Mitte wird
[3][vom rbb ab 10.50 Uhr live übertragen].
9 Nov 2023
## LINKS
[1] /85-Jahre-Reichspogromnacht/!5968569
[2] /Versuchter-Anschlag-auf-Synagoge/!5963814
[3] https://www.rbb24.de/politik/hintergrund/livestream-gedenken-9november-pogr…
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