| # taz.de -- Vierter Jahrestag des Halle-Anschlags: „Es ist wichtig, wie wir e… | |
| > Der rechtsextreme Anschlag von Halle (Saale) jährt sich am 9. Oktober. | |
| > Angehörige und Unterstützer*innen wie Alma Roggenbuck kämpfen um das | |
| > Gedenken. | |
| Bild: Soli-Gruppe um den Besitzer des Kiez Döners in Halle | |
| taz: Frau Roggenbuck, vor vier Jahren verübte ein rechtsextremistischer | |
| Täter in Halle und Wiedersdorf ein Attentat – unter anderem auf die | |
| Synagoge und den Döner-Imbiss „Kiez Döner“. Heute heißt der Ort Tekiez. … | |
| hat sich verändert? | |
| Alma Roggenbuck: Wir, also die Menschen, die den Anschlag überlebt haben, | |
| und eine Gruppe von Unterstützer*innen, haben den damaligen Kiez Döner nach | |
| dem Anschlag zu einem Frühstückskaffee umgebaut. Der Wunsch war, den Ort | |
| als das zu erhalten, was angegriffen wurde: eine migrantische Gastronomie. | |
| Letztes Jahr im Mai musste das Café [1][aus wirtschaftlichen Gründen | |
| schließen] und es war lange unklar, wie es weitergeht. Diesen Sommer | |
| konnten wir das Tekiez wiedereröffnen, nicht mehr als Café, sondern als | |
| Raum des Erinnerns und der Solidarität. | |
| Welche Bedeutung hat dieser Ort für das Gedenken an die ermordeten Jana L. | |
| und Kevin S., ihre Angehörigen und Überlebende? | |
| Schon seit dem Anschlag war er ein Gedenkort für Kevin, der dort ermordet | |
| wurde, aber auch für alle anderen Opfer rechter Gewalt. Und zum anderen | |
| auch ein Ort der Solidarität: Der Umbau zum Tekiez geschah in | |
| Hunderttausenden Stunden ehrenamtlicher Arbeit und wurde fast | |
| ausschließlich durch Spenden finanziert. Darin wird spürbar, was es heißt, | |
| sich solidarisch mit Überlebenden und mit Angehörigen von Opfern rechter | |
| Gewalt zu zeigen. | |
| Wie wirken sich diese Veränderungen auf das Gedenken aus? | |
| Dass an einem Anschlagsort überhaupt so ein Raum existiert, ist ziemlich | |
| einzigartig und vor allem das Verdienst von den Inhabern und Überlebenden | |
| İsmet und Rıfat Tekin. Sie sind in den ersten Jahren nach dem Anschlag | |
| jeden Tag an diesen Ort gekommen, um dafür zu kämpfen, dass er erhalten | |
| bleiben kann. Als Café aber auch als Döner-Imbiss war er immer schon | |
| wichtiger Anlaufpunkt im Viertel für Leute, die einen Ort gesucht haben, an | |
| dem sie über den Anschlag sprechen, aber auch aktiv werden können. | |
| In diesem Jahr gibt es eine eigenständige Veranstaltung unter dem Namen | |
| „erinnern. kämpfen. verändern“, die vom städtischen Gedenken abgekoppelt | |
| ist. Warum geht das nicht zusammen? | |
| Wir glauben, Erinnerung kann Veränderungen in der Gesellschaft schaffen. | |
| Dafür ist wichtig, wie wir erinnern: nämlich selbstbestimmt und | |
| solidarisch. Die Geschichte des Tekiez zeigt, dass dieses Erinnern und | |
| somit auch die Veränderung ein Kampf ist. Schon seit den Tagen nach dem | |
| Anschlag stand der damalige Kiez Döner durch das Auftreten von İsmet und | |
| Rıfat Tekin für so ein selbstbestimmtes und solidarisches Gedenken – also | |
| für ein Gedenken, das von Betroffenen gestaltet ist und durch die Arbeit | |
| von Unterstützenden, die den direkt betroffenen Überlebenden und | |
| Angehörigen zuhören. | |
| Wir machen auch in diesem Jahr eine Kundgebung und schaffen somit einen | |
| Rahmen, in dem Überlebende des Anschlags in Halle und in Wiedersdorf, aber | |
| auch Angehörige von Opfern rechter Gewalt aus anderen Städten wie Hanau und | |
| München zu Wort kommen können und die Stadtgesellschaft und das Viertel | |
| ihnen zuhören kann. | |
| Zuhören – ist es das, was Politik und Gesellschaft in erster Linie leisten | |
| müssten? | |
| Die Stimmen von Überlebenden und Angehörigen werden häufig so unhörbar | |
| gemacht, dass vielen Menschen gar nicht klar ist, dass diese Stimmen | |
| überhaupt existieren. Genau das Gegenteil ist der Fall. Das Anliegen ist zu | |
| zeigen: „Hey Leute, Angehörige und Überlebende sprechen darüber und es geht | |
| nicht daran vorbei, Gedenken zu gestalten.“ Genau das erleben wir leider | |
| immer wieder. Auch wir als Unterstützende fragen uns, wen wir noch nicht | |
| erreicht haben und suchen immer den Kontakt, zu Überlebenden und | |
| Angehörigen, zu denen wir bisher noch keinen Kontakt hatten oder die bisher | |
| noch nicht bereit waren, darüber zu sprechen. Inzwischen haben wir mehr | |
| Kontakt zum Vater von Kevin S. und in diesem Jahr wird es zum ersten Mal | |
| ein Zitat vom Ehepaar geben, das in Wiedersdorf angeschossen wurde. Es ist | |
| für uns das Wichtigste, immer wieder auch Möglichkeiten zu schaffen. | |
| In diesem Jahr werden Angehörige aus Hanau und München vor Ort sein, und | |
| auch mit Angehörigen und Überlebenden anderer rechter Gewalttaten gibt es | |
| Austausch. Was teilen sie? | |
| Diese Vernetzung besteht schon seit Jahrzehnten und ist auch seitdem | |
| Grundlage für Aktivismus und dafür, dass sich Erinnern und Gedenken | |
| verändern. Ich finde es sehr berührend, wenn heute noch untereinander von | |
| den ersten Demonstrationen gegen den NSU gesprochen wird, die von | |
| Angehörigen organisiert wurden, oder die ersten Schritte der Vernetzung, | |
| die durch die Familien Yozgat und Kubaşık erst möglich wurden. | |
| Durch die Anschläge von Halle, [2][Hanau] und München wird das jetzt | |
| größer, weil dort noch mal viele Menschen betroffen waren. Für uns ist | |
| diese Vernetzung wichtig, um zu sehen, dass sich die Kämpfe um Gedenken und | |
| es zu verändern in vielen Städten auch ähneln. Und dass wir davon lernen | |
| können – zum Beispiel von der Familie Arslan, die nach dem | |
| [3][Brandanschlag in Mölln] schon seit über 30 Jahren dafür kämpft. | |
| Was ist die Vision für das Tekiez der Zukunft? | |
| Das Ziel war einmal, [4][den Ort als migrantischen Gastronomiebetrieb zu | |
| erhalten] – also als das, was angegriffen wurde. Es gibt immerfort | |
| [5][Bedauern und auch Wut darüber], dass das nicht gelungen ist. Jetzt geht | |
| es darum, dass dieser Ort langfristig erhalten bleiben kann. Das größte | |
| Ziel ist, dass so etwas nicht mehr passiert; dass es keine Eltern mehr | |
| gibt, die um ihre Kinder trauern. Darum machen İsmet Tekin und ich immer | |
| mehr Workshops mit Jugendgruppen zur Aufklärung und Bildungsarbeit über | |
| rechte Gewalt und versuchen auch insgesamt mit Aktivitäten im Tekiez zu | |
| zeigen, wie eine solidarische Gesellschaft aussehen kann. | |
| Uns ist wichtig, dass es noch immer ein Ort ist, wo es eine Küche gibt, wo | |
| immer schon gegessen wurde. Darum machen wir regelmäßig Veranstaltungen, wo | |
| Leute beim Essen noch mal anders zusammenkommen. Es ist sehr bewegend, wie | |
| viele Leute dann kommen und welche anderen Formen des Gedenkens dadurch | |
| entstehen. | |
| Bei aller Trauer und Wut darüber, dass der Ort nicht in seinem Ursprung | |
| erhalten bleiben kann – im Kern bleibt er dann doch unberührt. | |
| Die letzten vier Jahre waren İsmet und Rıfat Tekin im Grunde allein dafür | |
| verantwortlich. Nun ist das wichtigste Ziel, die Verantwortung für diesen | |
| Raum in eine gesellschaftliche zu übertragen. Es sollte nicht mehr an dem | |
| Einzelengagement von Überlebenden hängen, dass so ein Raum erhalten bleibt. | |
| Es sollte zur öffentlichen Aufgabe werden. | |
| 9 Oct 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Pia Stendera | |
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