# taz.de -- Reformjuden monieren Ungleichbehandlung: Liberale fordern Synagoge | |
> Hamburgs jüdische Einheitsgemeinde freut sich über den Wiederaufbau der | |
> Bornplatz-Synagoge. Die Liberale Jüdische Gemeinde indes hat keinen Raum. | |
Bild: Am Rande der Aufmerksamkeit: die Ruine des einstigen Tempels in der Hambu… | |
Hamburg taz | Alle reden von der Bornplatz-Synagoge. Vom beschlossenen und | |
finanzierten Wiederaufbau des einst größten jüdischen Gotteshauses in | |
Norddeutschland. Es soll auf Hamburgs heutigem Joseph-Carlebach-Platz | |
stehen, benannt nach dem 1942 von der SS bei Riga mit seinen Angehörigen | |
ermordeten Rabbiner. | |
Die große öffentliche Aufmerksamkeit für das Bornplatz-Projekt ist | |
erklärlich, ist Hamburgs Einheitsgemeinde, der die Synagoge zugute kommen | |
soll, mit 2.500 Mitgliedern doch die größte jüdische Gemeinde der Stadt. | |
Aber sie war und ist nicht die einzige bedeutende: Hamburgs 2004 neu | |
gegründete Liberale Jüdische Gemeine zählt heute ungefähr 330 Mitglieder. | |
Die Reformjuden waren wohl nie in der Überzahl, aber ihre Ideen – | |
[1][Orgelmusik im Gottesdienst] und Gleichberechtigung für Frauen – bleiben | |
doch wegweisend. | |
Für solche Konzepte stand auch die einstige, „Neuer Tempel“ genannte | |
Synagoge in der Poolstraße, laut Denkmalverein „erster eigener Sakralbau | |
dieser Gemeinde, die zu einer der Keimzellen des liberalen Judentums, einer | |
der Hauptströmungen des Judentums, wurde“. Der Gemeinde gehörte etwa der | |
Onkel des Dichters Heinrich Heine an, der Bankier und Mäzen [2][Salomon | |
Heine] – sowie der Politiker und Jurist Gabriel Riesser. | |
Der „Neue Tempel“ hatte zum Beispiel einen gemeinsamen Eingang für beide | |
Geschlechter sowie eine Orgel. Von der 1844 eröffneten Synagoge ließ eine | |
Weltkriegsbombe 1944 allerdings nur eine Ruine zurück, heute im Hinterhof | |
einer Autowerkstatt gelegen. Und während die Einheitsgemeinde 1960 eine | |
neue Synagoge in Eimsbüttel bekam, fehlt der Liberalen Jüdischen Gemeinde | |
bis heute ein sakraler Raum. | |
## Liberale sind solidarisch | |
Nun wollen die Liberalen der Einheitsgemeinde die Bornplatzsynagoge nicht | |
streitig machen, sondern sind „natürlich solidarisch mit unsern Brüdern und | |
Schwestern“, wie Galina Jarkova vom Vorstand der Liberalen Jüdischen | |
Gemeinde betont. | |
Aber den Fokus allein auf die Einheitsgemeinde zu richten, sei nicht | |
gerecht: erstens wegen der historischen Bedeutung des Reformjudentums und | |
zweitens wegen der ungelösten Raumfrage. Denn auch im von der gewachsenen | |
Liberalen Jüdischen Gemeinde 1931 eröffneten Tempel in der Oberstraße gibt | |
es keinen Raum für die heutige Gemeinde – er beherbergt das | |
[3][Rolf-Liebermann-Studio] des NDR. Also feiern die gläubigen Liberalen | |
ihre Gottesdienste mal im Jüdischen Kulturhaus in der Turnhalle der | |
einstigen Israelitischen Töchterschule, mal im Betty-Heine-Saal des | |
früheren [4][Israelitischen Krankenhauses.] | |
Aber eine Dauerlösung sei all das nicht, sagt Jarkova, und da finde sie es | |
schon merkwürdig, dass die Einheitsgemeinde nun schon die zweite Synagoge | |
bekomme und die liberale gar keine. „Wir als Liberale Jüdische Gemeinde | |
Hamburg, Nachfolgegemeinde des Israelitischen Tempelverbandes von 1817, | |
würden uns auch dieselbe Aufmerksamkeit und Unterstützung von den Bürgern | |
und dem Senat Hamburgs sowie der Bundesregierung wünschen, um wieder ein | |
blühendes liberales Judentum in Hamburg zu fördern“, heißt es in der | |
jüngsten Pressemitteilung. Schließlich gebe es in der Stadt neben dem | |
Joseph-Carlebach-Platz viele bedeutende Orte einstigen jüdischen Lebens, | |
sagt Jarkova. Und wenn man – wie von Hamburgs Senat stets betont – | |
jüdisches Leben sichtbarer machen wolle, müsse man auch dessen Vielfalt | |
abbilden. | |
## Es fehlen Lobby und Geld | |
Das ist bis jetzt nicht geschehen. Zwar hat der städtische Landesbetrieb | |
Immobilienmanagement und Grundvermögen (LIG) der Finanzbehörde Ende 2020 | |
ein Teilareal in der Poolstraße gekauft und sich zum Erhalt verpflichtet, | |
doch anders als bei der Bornplatz-Synagoge gibt es hier weder eine starke | |
Lobby noch Geld für Machbarkeitsstudie und Wiederaufbau-Konzepte. | |
Galina Jarkovas Ideen? „Natürlich wäre es unser großer Traum, hier eine | |
eigene Synagoge zu haben. Aber wir müssen auch realistisch sein und | |
brauchen erst mal überhaupt einen Raum.“ | |
Die Pressemitteilung ihrer Gemeinde liest sich radikaler: „Ein großer Teil | |
der Synagoge … steht noch und soll als Gedenkstätte zur Erinnerung des | |
toten liberalen Judentums in Hamburg umgestaltet werden. Das empfinden wir, | |
als lebendige liberale Jüdinnen und Juden, als zynisch!“ heißt es dort. | |
Die Bedenken scheinen berechtigt: Auf taz-Anfrage antwortet Finanzsenator | |
Andreas Dressel (SPD), man wolle das Grundstück – unter Einbeziehung der | |
Liberalen Jüdischen Gemeinde – so entwickeln, dass „auch ein würdiger | |
Gedenkort für das Liberale Judentum in Hamburg entsteht“. Der Neubau eines | |
Tempels sei allerdings nicht geplant. Im Übrigen liefen die Planungen zu | |
Sanierung und Gestaltung des Gesamtareals noch. Man arbeite an einem | |
Konzept. Auf der Homepage der Finanzbehörde steht allerdings sehr konkret, | |
auf dem Grundstück solle auch „Wohnraum realisiert werden“. | |
Das schafft Unruhe in der Liberalen Jüdischen Gemeine. Man brauche keine | |
Wohnungen, sondern eine Synagoge, sagen die einen. Jarkova wiederum kann | |
sich „gut ein Nebeneinander von sakralem Raum, Begegnungsstätte und | |
Ausstellungsraum vorstellen“. | |
## Bedürfnisse der Gemeinde nicht ausblenden | |
Eine museale Teilnutzung des Poolstraßen-Areals würde auch Andreas Brämer, | |
kommissarischer Leiter des Instituts für die Geschichte der Deutschen | |
Juden, begrüßen. „Es könnte eine Dependance des Museums für Hamburgische | |
Geschichte sein und die Entwicklung innerjüdischen Lebens präsentieren.“ | |
Zuallererst brauche die Liberale Jüdische Gemeinde – unabhängig von ihrer | |
Mitgliederzahl – aber einen eigenen, dauerhaft nutzbaren Raum für | |
Gottesdienste „an einem Ort, an dem sie sich wohlfühlt“. Daher dürften | |
weder Debatte noch Finanzierung bei der Bornplatz-Synagoge stehen bleiben, | |
die Bedürfnisse der Liberalen Gemeinde nicht ausgeblendet werden. | |
12 Mar 2021 | |
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## AUTOREN | |
Petra Schellen | |
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