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# taz.de -- Künstler*innen in Berlin: Wenig hilfreich für Kollektive
> Die Stadt wird teurer, Künstler*innen werden weiter verdrängt.
> Betroffen sind auch die Treptow Ateliers, die nun ausziehen müssen.
Bild: Wollen zusammenbleiben: Sebastian Körbs, Lorcan O’Byrne, Lydia Paasche…
Berlin taz | Der Bildhauer Sebastian Körbs steht in seinem weiten, hohen
Atelier mit großen Fenstern und Grobspanplatten statt Wänden und deutet mit
ausladender Geste auf eine seiner Skulpturen. Über zwei Meter ist sie groß,
abstrakt und doch menschlich, je nach Betrachtungswinkel ein wenig
Zellteilung und etwas Arabeske. „So eine Skulptur hätte ich einem kleinen
Raum weder machen noch stellen können“, sagt Körbs. „Wenn das so
weitergeht, werden wir alle nur noch im Postkartenformat arbeiten“, fügt er
an und grinst.
Körbs ist Teil der Treptow Ateliers, einer Gemeinschaft von 26
Künstler*innen. Sie existiert seit etwa zehn Jahren, seit 2019 als Verein.
Die Künstler nutzen derzeit 17 Ateliers in der Wilhelminenhofstraße 83–85
in Schöneweide. Doch Ende Oktober haben sie erfahren, dass sie zum 15.
Januar weiterziehen müssen. Die Künstler*innengemeinschaft war schon
einmal gezwungen, den Standort zu wechseln. Vor zweieinhalb Jahren mussten
sie [1][ein Atelierhaus in der Mörikestraße 8–12 in Baumschulenweg
verlassen]. Das Haus ist längst abgerissen, doch noch immer ist dort nur
eine Baugrube zu sehen.
„Wenn man da vorbeiradelt und sieht, dass wir noch da hätten bleiben
können, möchte man am liebsten heulen“, sagt die bildende Künstlerin Lydia
Paasche beim Gespräch in der Teeküche, an dem neben ihr und Sebastian Körbs
auch noch die italienische Fotografin Chiara Dazi und der irische Maler
Lorcan O’Byrne teilnehmen. Trotzdem hatten sie vor zweieinhalb Jahren in
letzter Minute Glück, berichten sie.
Denn damals fanden sie hier in den Rathenau-Hallen in der
Wilhelminenhofstraße eine neue Heimat, auf dem Areal des ehemaligen AEG
Transformatorenwerks, wo auch noch andere Künstler*innen arbeiten und
ausstellen. Der Eigentümer Basecamp, ein Entwickler und Betreiber von
studentischem Wohnen, möchte die Hallen denkmalgerecht sanieren und zum
Büro- und Kulturstandort entwickeln. Im Mai 2019 überzeugte die
Senatsverwaltung für Kultur Basecamp, den Treptow Ateliers einen Teil der
Hallen für ein Jahr zur Zwischennutzung zu überlassen.
## Nichts Neues in Sicht
„Basecamp waren fair und kooperativ, haben mit offenen Karten gespielt. Wir
durften sogar die fantastischen hinteren Räume kostenfrei für Ausstellungen
nutzen und sie haben uns am Ende noch mal verlängert“, sagt Paasche. Aber
nun ist nach zweieinhalb Jahren Schluss – und auch wenige Tage vor Ablauf
des Mietvertrags ist nichts Neues in Sicht.
Die Künstler*innen haben Verständnis für Basecamp, immerhin war von
vornherein klar, dass sie nicht bleiben können. Wofür sie aber weniger
Nachsicht haben: Die Senatsverwaltung für Kultur und Europa mag bei der
Vermittlung des aktuellen Standorts hilfreich gewesen sein. Bei der Suche
nach einem Objekt, wo man länger bleiben kann, fühlen sie sich im Stich
gelassen.
Die Häuser, die der Senat anbieten konnte, waren entweder maximal abgelegen
oder boten nur Räume, in denen die Arbeit an großformatigen Bildern oder
Skulpturen unmöglich ist, berichtet Körbs. Nur 500 Meter entfernt von den
Treptow Ateliers stehe ein Gebäude leer, das der Senat durch die Berliner
Immobilienmanagement GmbH (BIM) sanieren und ausbauen lassen möchte. Die
alte Berufsschule, seit mehr als einem Jahrzehnt ungenutzt, soll ein
Produktionsort für freie Künstler*innen werden.
## Keine Bevorzugung von Künstler*innen
Schon 2019 haben die Treptow Ateliers eine Machbarkeitsstudie durchführen
lassen für die Nutzung der alten Schule. „Hätten wir damals das Objekt zur
längerfristigen Zwischennutzung oder sogar auf Basis eines Erbbauvertrags
bekommen und gleich loslegen können, wären wir heute wohl fertig und
könnten umziehen“, so Paasche. Aber das wurde vom Senat abgelehnt. „Die
Raumvergabe an Künstler*innen verläuft nach klaren Kriterien und über
Jurys. Wir hätten nicht einfach so eine Gruppe bevorzugen können“,
verteidigt der Leiter der Öffentlichkeitsarbeit für die Senatsverwaltung
für Kultur und Europa, Daniel Bartsch, diese Entscheidung gegenüber der
taz. „Die Berufsschule war so sanierungsbedürftig, dass eine Herrichtung
zur Zwischennutzung in Eigeninitiative nicht vorstellbar war“, fügt er an.
Baubeginn soll 2023 sein.
Auch wenn das alles seine Richtigkeit haben mag: Die Not der Treptow
Ateliers verweist auf ein tiefer liegendes Problem. Laut Berufsverband
Bildender Künstler*innen Berlin (bbk) leben Kunstschaffende in der
Hauptstadt prekärer denn je, verdienen im Schnitt nur 1.163 Euro im Monat.
„2020 ist das Einkommen von 85 Prozent der Befragten im Vergleich zu 2007
sogar noch gesunken“, so das Weißbuch Atelierförderung II des bbk. „Die
Gewerbemieten in Berlin liegen bei bis zu 15 bis 46 Euro pro Quadratmeter.
Mit ihrem Raumbedarf kommen auf bildende Künstler*innen nicht selten bis
zu 900 Euro Mietkosten für professionelle Arbeitsräume zu, die sie
monatlich aufbringen müssten.“ Als das Buch im August 2021 herauskam, war
weder die Inflation noch der Anstieg der Energiekosten in Sicht.
Der Senat hat gut reagiert, vor allem mit der Akquise von Arbeitsräumen
durch ein neu eingerichtetes Kulturraumbüro. In diesem Jahr werden die
2.000 geförderten und damit erschwinglichen Arbeitsräume für
Künstler*innen, die Kultursenator Klaus Lederer (Linke) schon bis Sommer
2021 versprochen hatte, erreicht sein. Allerdings: Es gibt kein
funktionierendes Instrument, gewachsenen Gruppen zu helfen, ihre
Raumprobleme selbst in die Hand zu nehmen.
## Sorgenvolle Zukunft
Dies kritisiert der Atelierbeauftragte für Berlin, Dr. Martin Schwegmann,
schon lange. „Die Hürden für Künstler*innengruppen bei
Konzeptverfahren, wie sie für die Schöneberger Linse oder das Areal des
ehemaligen Blumengroßmarkts inklusive Bauland für das aktuelle
Redaktionsgebäude der taz zur Anwendung kamen, sind viel zu hoch“, sagt er
gegenüber der taz. Die Erbbauzinsen 2021 wurden zwar gesenkt, dennoch seien
die Mieten aufgrund der gestiegenen Bodenpreise und galoppierender
Baukosten für die meisten Projekte kaum bezahlbar. Eine
Genossenschaftsanteilförderung für Gewerbe, wozu Kunst und Kultur rechtlich
zählen, gibt es ebenfalls nicht.
Und ein Bürgschaftsprogramm des Senats für freie Gruppen, dessen Prüfung
[2][Klaus Lederer] bei seinem Amtsantritt 2016 versprochen hat, ist bislang
wegen zu hoher Auflagen noch nie zur Anwendung gekommen. Laut Daniel
Bartsch habe der Senat begonnen, „Empfehlungen für eine bedarfsgerechte
Anpassung“ zu geben. „Wir müssen dringend nachhaltige Konzepte entwickeln,
bei denen gemeinwohlorientierte Orte auch von Künstler*innen selbst
organisiert werden“, so Schwegmann zur taz. „Wir haben hier auf jeden Fall
eine Leerstelle, die wir angehen müssen“, räumt auch Bartsch ein.
Von dieser Leerstelle können derzeit nicht nur die Treptow Ateliers,
sondern viele Häuser, in denen Kunst oder Kultur produziert werden, ein
Lied singen. Bei den Uferhallen in Wedding, die 2017 größtenteils von einer
Firma des Rocket-Internet-Gründers Alexander Samwer gekauft wurden, hieß es
noch im Herbst 2021, sie seien gerettet.
Inzwischen sehen die über 100 Künstler*innen, die auf dem 18.900
Quadratmeter großen Gelände arbeiten, wieder mit großer Sorge in die
Zukunft. Die Bebauungspläne seien zu massiv, „die Konflikte
vorprogrammiert“, so der bildende Künstler Hansjörg Schneider zur taz. Man
sei zu wenig in die komplexen Verhandlungen zwischen Eigentümern, Senat,
Bezirk und Denkmalbehörde eingebunden worden, findet er. Wenn 2024 noch
immer keine Einigkeit beim Bebauungsentwurf herrsche, könne dieser auch
wieder platzen. Die langfristige Verträge mit bezahlbare Mieten erhalten.
Auch bei anderen Kulturorten sind Bezirk und Senat die Hände gebunden. In
der Goldleistenfabrik in Weißensee arbeiteten etwa 20 Künstler*innen,
Selbstständige und Handwerker*innen. Im Oktober flatterten ihnen
Mietsteigerungen um 40 bis 70 Prozent auf den Tisch. Bezirksbürgermeister
Sören Benn (Linke) erklärte, er bemühe sich um „Einvernehmen mit
Projektentwicklern und Mietern“ – allerdings sind laut Klaus Scheddel, Chef
des Via-Reiseverlags, inzwischen rund die Hälfte der Mieter*innen
ausgezogen. „Ich selbst habe einen meiner beiden Räume aufgegeben, um mir
weiterhin die Miete leisten zu können“, sagt er zur taz. Und: Allein in
Treptow-Köpenick sind laut Netzwerk Ateliergemeinschaften sechs
Ateliergemeinschaften langfristig bedroht.
## Fehlende Hilfe von Seiten der Politik
Bis weit in die Nullerjahre hinein war Berlin in Sachen bezahlbare
Arbeitsräume ein Eldorado für die Künstler*innen. Viele Gruppen schlugen
sich oft unabhängig von staatlicher Unterstützung, mit viel Eigeninitiative
und auf sehr hohem Niveau durch. Viele dieser Gruppen gibt es noch, aber
[3][die Hindernisse, die sie überwinden müssen, werden immer höher].
So hoch, dass Lydia Paasche, Sebastian Körbs und ihre Mitstreiter*innen
rapide die Luft ausgeht. Über 70 Objekte haben sie sich in den letzten vier
Jahren genauer angeguckt, durchgerechnet, sind in Kontakt getreten. Immer
haben die Investoren und Eigentümer Bedingungen aufgestellt, die sie nicht
erfüllen können. Hier müsste die Politik rasch ansetzen.
„Es macht doch keinen Sinn, dass die Politik Gruppen, die gemeinsam etwas
in die Hand nehmen und Ausstellungen machen wollen, an die Wand fahren
lässt und ihnen später geförderte Einzelräume anbietet, in denen man eher
für sich bleibt“, sagt Sebastian Körbs.
Genau so könnte es ihm aber nun ergehen.
11 Jan 2023
## LINKS
[1] /Ateliernot-in-Berlin/!5575390
[2] /Klaus-Lederer/!t5255339
[3] /Ateliernotstand-in-Berlin/!5587746
## AUTOREN
Susanne Messmer
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