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# taz.de -- Ateliersterben in Berlin: Bedrohte Ökosysteme
> Eine Studie des Atelierbeauftragten liefert alarmierende Zahlen. Immer
> mehr Künstler*innen verlieren ihre Arbeitsräume und finden keine neuen
> mehr.
Bild: Eleni Mouzourous „Pigeonswarm“ (2023) in der Ausstellung „Speculati…
Sind Tauben widerständige Tiere? Für die Künstlerin Eleni Mouzourou sind
sie es. Schon im Februar ließ sie ihren „Pigeonswarm“ [1][beim Karneval
der Enteignung], einer Demonstration von Deutsche Wohnen Enteignen, als
Sinnbilder der Verdrängung von Menschen und anderen Spezies aus ihren
angestammten urbanen Lebensräumen spielerisch umeinander kreisen.
Am Wochenende kamen die tragbaren, überdimensionierten Taubenköpfe wieder
zum Einsatz – aus gegebenem Anlass. In den Räumen des ehemaligen
Atelierhauses in der Adalbertstraße 9 hingen sie von der Decke. Hinter
ihnen ein Schild mit der Aufschrift: „Füttere eine Taube, füttere den
Widerstand.“ Mouzourou hat wie einige andere Künstler*innen bis vor
Kurzem noch hier gearbeitet. Nun heißt es Abschied nehmen.
Die Gebäude wurden 2020 zunächst an die Investmentfirma Wohninvest Zeta
GmbH verkauft, von dort dann an die Immobiliengesellschaft Coros Management
GmbH weitergereicht. 2021 folgte die Mitteilung, die Mietverträge würden
nicht verlängert. Ein Teil der Künstler*innen ist bereits ausgezogen,
der Rest muss bis spätestens Oktober raus. Lukrativeres soll rein. Anstatt
jedoch einfach zu gehen, luden die Mieter*innen gemeinsam mit Ehemaligen
nochmals zu Ausstellung, Performances und Talks.
Wehmut hing in der Luft bei der Eröffnung am Freitagabend. Mehr als zwei
Jahrzehnte lang waren Ateliers in den Gebäuden im Hinterhof untergebracht.
Aus und vorbei ist es damit. Mit „Speculative Properties“ wollten die
Künstler*innen die Öffentlichkeit auf ihre Situation aufmerksam machen,
noch einmal, zumindest symbolisch aufbegehren gegen das, was kein
Einzelfall in der Stadt ist.
Nur wenige Tage ist es her, [2][dass der Atelierbeauftragte für Berlin und
der BBK Berlin eine neue Studie zur Ateliersituation bildender
Künstler*innen in Berlin veröffentlichte].
Am 12. Juni stellte der Atelierbeauftragte Dr. Martin Schwegmann gemeinsam
mit Zoë Claire Miller, Sprecherin des BBK, und Dr. Sven Sappelt vom
Institute for Cultural Governance diese in einer Pressekonferenz an denkbar
passendem Ort vor: in der alten Kantine der Uferhallen, [3][wo etwa 100
Künstler*innen davon bedroht sind, ihre Ateliers zu verlieren.]
## Offener Brief drückt Sorge über Kürzungen im Kulturetat aus
Einmal pro Jahr befragt der Atelierbeauftragte die Künstler*innen der
Stadt zu ihrer sozioökonomischen Lage und zur Ateliersituation. Die
außerplanmäßige Umfrage von nur zwei Wochen Laufzeit mit überarbeiteten
Fragebogen sollte nun auf die Brisanz des Themas aufmerksam machen, während
parallel die Haushaltsverhandlungen des neuen Senats laufen.
Voraussichtlich wird es im neuen Haushalt auch in der Kultur zu massiven
Kürzungen kommen. [4][Am Freitag veröffentlichte eine Reihe Berliner
Kulturnetzwerke und -institutionen einen offenen Brief, in dem sie an den
Senat appellierten und ihre Sorge über den neuen Kulturetat ausdrückten].
1.673 von geschätzt 10.000 professionell in Berlin arbeitenden
Künstler*innen in der Stadt füllten den Fragebogen aus. Durchaus
repräsentativ sind die Zahlen also, und alarmierend: Ganze 63 Prozent der
Befragten gaben an, derzeit kein Atelier zu haben, dieses gerade verloren
zu haben oder dabei zu sein, es zu verlieren.
Bei denjenigen, die das Glück haben, eines zu mieten, könnte sich wie bei
den Künstler*innen aus der Adalbertstraße die Situation jederzeit
ändern: 80 Prozent erklärten, einen unbefristeten Mietvertrag zu haben, der
nach geltendem Gewerbemietrecht ohne Angabe von Gründen innerhalb von sechs
Monaten zum Ende eines Quartals gekündigt werden kann. Nur eine Minderheit
von 1,5 Prozent hat einen auf fünf oder mehr Jahre befristeten Mietvertrag.
Und die Situation scheint sich immer mehr zuzuspitzen: Allein in den ersten
fünf Monaten von 2023 gingen laut Studie 108 Ateliers verloren. Zum
Vergleich waren es im gesamten vergangenen Jahr 150. Hochgerechnet auf die
Gesamtanzahl an Berliner Künstler*innen kann der Umfrage zufolge von
1.500 bis 2.000 seit 2017 verlorenen Ateliers ausgegangen werden, während
im selben Zeitraum jedoch nur 310 neu entwickelte Ateliers und
Atelierwohnungen entstanden. Im April etwa bekam der BBK, der Berufsverband
Bildender Künstler*innen Berlin, für drei ausgeschriebene Ateliers 190
Bewerbungen.
Ohne Atelier können Künstler*innen nicht arbeiten, müssen ihre Arbeit
einschränken oder sogar aufgeben – oder in eine andere Stadt ziehen. Auch
von psychischen Folgen berichten einige Künstler*innen in der Umfrage.
## Nicht einmal die Hälfte der benötigten Ateliers vorhanden
3.500 dauerhaft gesicherte und bezahlbare Ateliers und Atelierwohnungen
seien dauerhaft nötig, um immerhin einem Drittel aller bildenden
Künstler*innen einen Arbeitsraum zu sichern, heißt es in der Studie.
Nicht einmal die Hälfte davon gibt es bereits. Momentan existieren in
Berlin 1214 geförderte Ateliers.
„Kunst zieht an und nicht aus“ wurde als Slogan schon vor zehn Jahren vom
Atelierhaus an der Mengerzeile genutzt. Der BBK hat ihn jetzt auf
Jutebeutel und Plakate gedruckt. Was nicht darauf steht, ist, was
geschieht, wenn die Kunst doch ausziehen muss: Nicht mehr viel. „Wenn man
unsere Existenzgrundlage abschafft, sind wir weg“, so fasste es
BBK-Sprecherin Miller in der Pressekonferenz zusammen. Was das für den
Kulturstandort Berlin bedeutet, der von der Kreativität seiner
Künstler*innen lebt, kann man sich selbst ausrechnen.
19 Jun 2023
## LINKS
[1] /Mietenwahnsinn-in-Berlin/!5910979
[2] https://www.bbk-kulturwerk.de/news/12062023-pressemitteilung-des-atelierbea…
[3] /Verdraengung-in-Berlin/!5930109
[4] https://www.bbk-berlin.de/news/16062023-offener-brief-zukunft-der-kultur-be…
## AUTOREN
Beate Scheder
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