| # taz.de -- Verdrängung in Berlin: Hoffen aufs rettende Ufer | |
| > Dem Künstler*innenhaus Uferhallen droht das Aus. Der Investor hat | |
| > zwar massiven Baupläne verworfen, aber dafür auch Vereinbarungen mit dem | |
| > Land. | |
| Bild: Noch ist es schön hier: In den Uferhallen im Wedding | |
| BERLIN taz | Noch wirken die Uferhallen an der Panke in Wedding wie aus der | |
| Zeit gefallen. Mehr als 100 Künstler*innen arbeiten auf dem 18.900 | |
| Quadratmeter großen ehemaligen Industriegelände in den schönen, | |
| denkmalgeschützten, roten Klinkersteingebäuden inklusive Sägezahndach. Die | |
| Uferhallen sind einer der letzten Orte Berlins, an dem viel Platz zum Atmen | |
| und zum freien Denken ist. Noch. | |
| Denn damit könnte sehr bald Schluss sein. In einem offenen Brief, der am | |
| Montag veröffentlicht wird und der taz bereits vorliegt, erklärt der | |
| [1][Verein Uferhallen], dass der Kulturstandort vor dem Aus steht. Die | |
| Eigentümer der Hallen, die Marema GmbH, habe einseitig das mit Bezirk und | |
| Senat verhandelte Bebauungsplanverfahren gekündigt – angeblich aus | |
| wirtschaftlichen Erwägungen. | |
| Ab Januar 2024, so der offene Brief, sollen nun auf dem Areal drei Bauten | |
| errichtet werden, die der Marema GmbH vor Inkrafttreten des Bebauungsplans | |
| zugesichert worden seien. Gleichzeitig könnten sich die Investoren an keine | |
| der getroffenen Vereinbarung mehr gebunden fühlen. | |
| Bislang sei nicht einmal klar, ob die betroffenen Mieter*innen | |
| Umsetzungsflächen bekommen. Man rechne mit ersten Kündigungen ab Ende Mai. | |
| Eine Anfrage der taz an die Marema GmbH blieb bis Redaktionsschluss | |
| unbeantwortet. | |
| ## Wieder auf dem Boden | |
| [2][Der bildende Künstler Hansjörg Schneider, der seit 15 Jahren in seinem | |
| Atelier in den Uferhallen arbeitet] und Mitinitiator des Uferhallen e. V. | |
| ist, berichtet der taz: Auch jenen Künstler*innen, die nicht direkt von den | |
| Neubauplänen betroffen seien, wurden bereits „deutliche Mieterhöhungen“ | |
| angekündigt. | |
| „Wir sind wieder auf dem Boden der freien Marktwirtschaft angekommen“, | |
| fasst er zusammen. Einerseits seien die Pläne zwar nun weniger | |
| einschneidend, unter anderem soll ein 13-stöckiger Wohnturm doch nicht | |
| kommen. Andererseits sei dadurch unter anderem der geplante | |
| Generalmietvertrag vom Tisch. | |
| „Es ist derzeit nicht ungewöhnlich, dass sich Bauherren zurückziehen“, | |
| räumt der Bezirksstadtrat für Stadtentwicklung in Mitte, Ephraim Gothe | |
| (SPD), gegenüber der taz ein. Doch jenseits seiner sachlichen Einschätzung | |
| der Lage zeigt er sich insbesondere vor dem Hintergrund der zähen | |
| Geschichte der Verhandlungen um den Erhalt der Uferhallen mit den | |
| Investoren ernüchtert. | |
| Noch im Herbst 2021 hatten sich das Bezirksamt, der Senat, das | |
| Landesdenkmalamt und die Eigentümer in einem Letter of Intent auf die | |
| Rettung des Kulturstandorts und die Verlängerung der bestehenden | |
| Mietverträge verständigt. Im Juni 2022 hatte der Bezirk sogar zur | |
| Bürgerbeteiligung aufgerufen. „Natürlich werden wir weiterhin versuchen, | |
| die planungsrechtlichen Voraussetzungen für eine längerfristige kulturelle | |
| Nutzung zu verhandeln“, so Gothe. | |
| Auch vonseiten des Kultursenators heißt es, die Zurückstellung der | |
| umfangreichen Bauvorhaben sei völlig überraschend gekommen. „Gründe dafür | |
| wurden zumindest uns gegenüber nicht kommuniziert“, erklärt die | |
| Pressestelle des [3][neuen Kultursenators Joe Chialo (CDU)]. Der Senator, | |
| so weiter, plane dennoch einen weiteren Runden Tisch „mit dem Ziel, | |
| Lösungsmöglichkeiten auszuloten und den Standort für alle gleichermaßen | |
| attraktiv zu halten“. | |
| ## Kein anderes Atelier in Sicht | |
| Dass es wieder zu Verhandlungen kommt, hofft auch Hansjörg Schneider, der | |
| in den Uferhallen abstrakte, teils großformatige Arbeiten zu Themen wie der | |
| Nutzbarmachung und Ausnutzung von Flächen herstellt, die weite | |
| Assoziationsräume öffnen. Dazu braucht Schneider große Räume mit hohen | |
| Decken. Ein vergleichbares Atelier mit ähnlicher Miete würde er heute kaum | |
| mehr finden. Er kennt die Nutzung der Uferhallen als Kulturstandort von | |
| Anfang an. | |
| Bis zum Jahr 2006 wurde das ab 1873 erbaute Ensemble als Betriebsbahnhof | |
| und Reparaturwerkstatt für Omnibusse von der BVG genutzt, weiß er. Als er | |
| den Raum nach seinen Bedürfnissen instand setzte, musste er zunächst viel | |
| Öl abwaschen, denn dort wurden zuvor die Motoren der Straßenbahnen geprüft. | |
| Die Stadt hatte kurz vor seinem Einzug die Liegenschaft an eine | |
| Aktiengesellschaft verkauft, welche die Uferhallen zu einem Kulturstandort | |
| mit erschwinglichen Mieten entwickeln wollte. | |
| Damals ahnten die wenigsten, wie sich die Spekulation in Berlin im nächsten | |
| Jahrzehnt entwickeln würde. 2017 dann das böse Erwachen: Der Löwenanteil | |
| der Aktiengesellschaft wird an das Unternehmen ArgoPrato verkauft, bei dem | |
| auch einer jener Samwer-Brüder beteiligt ist, die durch die Gründung von | |
| Rocket Internet berühmt wurden. Kolportierter Verkaufsbreis: 30 Millionen | |
| Euro. Für einen Erbpachtvertrag, wie ihn die benachbarten Uferstudios | |
| verhandelt hatten, war es für die Uferhallen zu spät. | |
| Sechs Jahre sind seitdem vergangen. Inzwischen heißt die Eigentümerin der | |
| Uferhallen Marema GmbH. Das Leben geht weiter in den Ateliers und | |
| Atelierwohnungen, den Tanz- und Proberäumen, Tonstudios, der Konzert- und | |
| Ausstellungshalle, in den Werkstätten, im Pianosalon, im Café. Mit ihren | |
| offenen Studios, Ausstellungen, der Teilnahme an der Berlin Art Week und am | |
| Kultursommer beweisen die Uferhallen, dass ihr Verlust ein harter Schlag | |
| wäre für Berlins Kulturszene. | |
| „Noch ist es gut hier“, sagt Hansjörg Schneider. „Besser wäre es, wenn … | |
| den Kopf frei hätten.“ Doch in einer Stadt kreativ zu sein, in der | |
| Renditeerwartungen zunehmend vor Lebensentwürfen einsortiert werden, wird | |
| das immer schwerer. | |
| 7 May 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://uferhallen-ev.de/ | |
| [2] https://uferhallen-ev.de/ | |
| [3] /Berlins-neuer-CDU-Kultursenator/!5930949 | |
| ## AUTOREN | |
| Susanne Messmer | |
| ## TAGS | |
| Verdrängung | |
| Schwerpunkt Gentrifizierung in Berlin | |
| Kunstbetrieb | |
| Berliner KünstlerInnen | |
| Wochenvorschau | |
| Freie Szene | |
| Kunst Berlin | |
| Kulturpolitik | |
| Die Linke Berlin | |
| Kunsträume Berlin | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Kulturförderung: Gold am Ufer | |
| Der Senat schließt einen Vertrag für die Uferhallen im Wedding und will den | |
| Kulturstandort schützen. Künstler dürfen 30 Jahre bleiben. | |
| Die Wochenvorschau für Berlin: Das Tacheles kommt schwedisch daher | |
| Lauter Kunst und Demonstrationen. Eigentlich alles wie immer in Berlin. | |
| Warum wollen dann alles aufs Land ziehen? Auch darauf gibt es eine Antwort. | |
| Berlins Kultursenator im Interview: „Ich werde Vollgas geben“ | |
| Joe Chialo (CDU) will die Kultur in der Stadt resilienter machen. Im Fall | |
| Rammstein hofft er auf Selbstverpflichtung der Musikindustrie. | |
| Ateliersterben in Berlin: Bedrohte Ökosysteme | |
| Eine Studie des Atelierbeauftragten liefert alarmierende Zahlen. Immer mehr | |
| Künstler*innen verlieren ihre Arbeitsräume und finden keine neuen mehr. | |
| Berlins neuer CDU-Kultursenator: Kultur? Schnickschnack! | |
| Berlins neuer Kultursenator Joe Chialo (CDU) wird schon jetzt von seiner | |
| eigenen Partei belächelt. Wird er die Kultur verteidigen können? | |
| Berlins Kultursenator zieht Bilanz: „Da kann nicht mehr viel kommen“ | |
| Nach sechseinhalb Jahren endet die Amtszeit von Klaus Lederer. Er gehe ohne | |
| Groll, sagt er, und warnt seinen Nachfolger vor Kürzungen im Kulturbereich. | |
| Künstler*innen in Berlin: Wenig hilfreich für Kollektive | |
| Die Stadt wird teurer, Künstler*innen werden weiter verdrängt. Betroffen | |
| sind auch die Treptow Ateliers, die nun ausziehen müssen. |