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# taz.de -- Berlins Kultursenator zieht Bilanz: „Da kann nicht mehr viel komm…
> Nach sechseinhalb Jahren endet die Amtszeit von Klaus Lederer. Er gehe
> ohne Groll, sagt er, und warnt seinen Nachfolger vor Kürzungen im
> Kulturbereich.
Bild: „Man muss die Frage stellen: Wem gehört diese Stadt?“ Klaus Lederer,…
taz: Herr Lederer, Sie waren sechseinhalb Jahre Senator: War das eine
privilegierte Position?
Klaus Lederer: Politik gestalten zu können ist immer ein Privileg, das aber
auch mit einer Verantwortung einhergeht. Insofern ist das für mich eine
Zeit, die mir keiner nehmen und die ich als absolut tolle Erfahrung
verbuchen kann. Viel kann jetzt nicht mehr kommen.
Vor allem [1][die Coronajahre waren wahnsinnig hart], viele
Politiker*innen sind an und über die Grenzen gegangen …
Der Job fordert einen – wenn man ihn ernst nimmt – 60 bis 80 Stunden die
Woche, man wird ihn auch nachts und im Urlaub nicht los, er zehrt immer an
der Substanz. Insofern war für mich stets klar, dass es eine Phase mit
zeitlichem Limit ist. Aber die dreieinhalb Jahre bis zur nächsten Wahl
hätte ich schon noch gern gemacht.
Konnten Sie bei der Arbeit nicht auch Routinen etablieren?
Ich verfüge jetzt über sechseinhalb Jahre akkumulierte Erfahrung, was dazu
führt, dass ich Dinge anders mache, als ich sie zu Beginn meiner Amtszeit
gemacht hätte. Als ich hier angekommen bin, tat sich zum Beispiel ein Thema
auf, das ich in dieser Tragweite nicht erwartet hatte: der Komplex
Machtmissbrauch in Kultureinrichtungen. Das hat mir sogar einen
Untersuchungsausschuss beschert.
Sie meinen den Fall [2][des Leiters der Stasi-Opfer-Gedenkstätte, Hubertus
Knabe], der 2018 infolge von MeToo-Vorwürfen entlassen wurde?
Genau. Fälle wie dieser haben gnadenlos offengelegt, dass es hier keine
strukturelle Basis gab, mit solchen Vorgängen umzugehen. Jetzt haben wir
Abläufe und Routinen, die uns als Verwaltung einen standardisierten Umgang
mit neuen Fällen ermöglichen.
Warum gab es diese Struktur nicht? War die Problematik nicht vielen
bekannt, die Einblicke in die Kulturbetriebe hatten?
In dieser Tragweite und Tiefe? Das würde ich bestreiten. Natürlich gab es
Hierarchien und Machtstrukturen und damit die Anfälligkeit für
Machtmissbrauch. Auf der anderen Seite gab es auch gesetzliche Regelungen.
Ich bin bei meinem Amtsantritt davon ausgegangen, dass es in den
Einrichtungen überall Vertrauensstellen gibt. Dann wurde uns schnell klar,
dass wir das erst noch sicherstellen müssen.
Reichen da Vertrauensstellen aus? Müsste man nicht viel tiefer an die
Strukturen ran?
Klar. Deswegen sind ja neue Leitungsmodelle, Fair Stage und das
Diversitätsbüro überhaupt erst etabliert worden. Das alles gab es 2016
nicht.
Allerdings gibt es auch in der Kultur noch lange nicht so viele Frauen wie
Männer in Führungspositionen.
Wir haben einiges dafür getan, dass sich das ändert. [3][Joana Mallwitz]
wird in diesem Jahr Chefdirigentin im Konzerthaus-Orchester. Neben [4][Iris
Laufenberg] am Deutschen Theater habe ich [5][Elisabeth Sobotka] als neue
Intendantin der Staatsoper Unter den Linden gewonnen. Im Sommer 2022
übernahmen Susanne Moser und Philip Bröking die Intendanz der Komischen
Oper. Und andere bereits erfolgte Personalentscheidungen werden sich in den
nächsten Jahren zeigen.
Der Kulturetat hat sich in Ihrer Amtszeit stattlich erhöht, von 492 auf 803
Millionen Euro jährlich. Aber ist in einer schnell sich verändernden Stadt
wie Berlin Geld wirklich alles?
Geld ist natürlich nicht alles, aber ohne Geld geht vieles nicht. Man darf
es nicht mit der Gießkanne verteilen, sondern muss es nutzen, um
kulturpolitische Strategien umzusetzen.
Was heißt das konkret?
Eine grundlegende Strategie von uns war, Kulturpolitik als
Infrastrukturpolitik zu begreifen. Wir wollten, beispielsweise, Räume
dauerhaft erschließen und sichern. Das kostet Geld, aber wir konnten so den
Raumbestand für die Kultur erheblich erhöhen. An die neue Koalition kann
ich nur appellieren: Seid bloß nicht so wahnsinnig und streicht jetzt an
dieser Stelle die Mittel wieder zusammen. Bei einer anderen, extrem
wichtigen Stelle konnten wir allerdings nicht genug tun: Investitionen.
Sie meinen die Sanierung von Bühnen und anderen Kulturhäusern?
Genau. Und jetzt sind einige Vorhaben, die wir in der jüngsten
Investitionsplanung festschreiben konnten, [6][im Koalitionsvertrag
zwischen SPD und CDU] wieder zur Disposition gestellt worden. Das finde ich
verheerend, weil ohne Räume keine Kultur stattfinden kann.
Welche Häuser haben Sie konkret im Blick?
Die Berlinische Galerie braucht dringend eine Sanierung. Das
[7][Bröhan-Museum] und das [8][Brücke-Museum] werden sich nicht
weiterentwickeln können, wenn nicht alsbald Sanierungen stattfinden, und
auch Projekte für die Freie Szene, etwa der Umbau des einstigen Tramdepots
in der Belziger Straße, liegen bestenfalls auf Eis.
Was fordern Sie noch von der neuen Regierung?
Dass Tariferhöhungen und Sozialstandards weiter abgesichert werden, im
freien Kulturbereich genauso wie in den Kulturinstitutionen. Wir haben in
den sechseinhalb Jahren sichergestellt, dass die Institutionen mit dem
eigentlichen kulturellen Etat auch in unsicheren Zeiten planen konnten,
Tarifsteigerungen separat ausgeglichen werden.
Kommen wir noch mal zu Ihrem Kulturetat. Ist der Spirit dieser Stadt mit
Geld zu retten?
Der Spirit dieser Stadt ist nur zu retten, wenn man Impulse aufnimmt, wie
sie beispielsweise von der [9][Initiative Deutsche Wohnen und Co].
enteignen aufgeworfen wurden. Man muss die Frage stellen: Wem gehört diese
Stadt? Welche Steuerungsmöglichkeiten bietet der demokratische Rechtsstaat,
um einzugreifen in die Profitmaximierung bei Immobilien in privatrechtlich
geschützte Eigentumspositionen?
Übersetzt heißt das was?
Die über 2.000 Arbeitsräume, die wir gesichert haben, retten unser
Kulturleben nicht. Die andere Seite der Medaille ist, dass sich die
Stadtentwicklungs- und Bauverwaltung immer wieder immun erwiesen hat für
die fachspezifischen Bedürfnisse einzelner Ressorts. Ich hätte mir
gewünscht, dass wir mit Wohnungsbaugesellschaften zu einer Übereinkunft
kommen, dass bei Neubauten auch Atelierwohnungen, Räume für Kultur,
entstehen.
Also nicht nur Kitas, sondern auch Einrichtungen für die Kunst?
Künstlerinnen und Künstler sind Berlinerinnen und Berliner, und die
Wohnungsbaugesellschaften haben Wohnraum bereitzustellen für breite
Bevölkerungsschichten, also auch für die Künstlerinnen und Künstler. Wenn
man ohnehin neue Stadtquartiere plant und in bestehenden Kiezen behutsam
nachverdichtet: Da hätte man doch Atelierwohnungen mitdenken müssen! Das
haben wir so nicht geschafft, das muss ich ganz klar sagen.
Global betrachtet haben alle Städte in den letzten Jahrzehnten einen
Verdrängungsprozess durchgemacht. Manchmal hat man den Eindruck, dass
einige von ihnen mehr von ihrer Individualität bewahrt haben als Berlin.
Das sehe ich ganz anders. In den großen europäischen Metropolen hat dieser
Prozess viel früher begonnen und fegt mit viel mehr Rasanz durch die
Innenstädte, als es in Berlin der Fall ist. Berlin kann sich glücklich
schätzen, eine der fantastischsten Kulturszenen Europas zu haben, und zwar
über die ganze Stadt verteilt – da stellen wir unser Licht nicht unter den
Scheffel. Aber das muss wirklich weiterhin ernsthaft gehegt und gepflegt
werden.
Es war immer Ihr Anspruch, Kultur niedrigschwelliger erreichbar zu machen.
Wir haben als erstes Bundesland ein Institut für kulturelle
Teilhabeforschung gegründet. Dessen Daten zeigen, dass das Publikum
diverser und jünger wird; dass sich Menschen an Kultur rantrauen, die das
ohne unsere Maßnahmen nicht gemacht hätten. Und ich freue mich, dass
zumindest der eintrittsfreie Museumssonntag auch unter Schwarz-Rot
verstetigt werden soll. Ich hoffe, das gilt auch für den Kultursommer, der
2022 ein großartiger Erfolg war. Wir haben damit Menschen erreicht, die
sonst nie in ein Konzert gehen oder in eine Lesung. Manche haben sogar
erstmals wahrgenommen, was Berlin an Kultur alles anzubieten hat.
Für junge Menschen zwischen 18 und 23 gab es im Frühjahr die
[10][Jugend-Kulturkarte, die 50 Euro Guthaben] für kulturelle
Veranstaltungen enthielt. Wie wurde die genutzt?
Ein Drittel aller Jugendlichen hat auf das Angebot zurückgegriffen. Das ist
bemerkenswert. In ein paar Tagen – das Angebot läuft ja noch bis Ende April
– werden wir dann wissen, wie sie die Karte genutzt haben.
Kommen wir zurück zu Ihnen. Was machen Sie nach dem 27. April, wenn – wie
derzeit geplant – die neue Regierung steht?
Ich brauche erst mal ein bisschen Abstand und Zeit, die Erfahrungen zu
verarbeiten – in den sechseinhalb Jahren als Senator bin ich bestimmt zehn
Jahre älter geworden, weil die Coronajahre ja doppelt zählen. Da muss man
ein paar Sachen sortieren in seinem Leben – und auch ganz praktisch in der
eigenen Wohnung.
Aufräumarbeiten?
Ja. Aber ich bleibe Mitglied im Abgeordnetenhaus und werde meine Fraktion
fragen, ob sie mich gerne als queerpolitischen Sprecher hätte.
Keine Kultur mehr?
Es ist nicht üblich, dass ein ehemaliger Senator das gleiche Themengebiet
wieder übernimmt. Ich würde das auch nur ungern tun. Ich kann jetzt auch
einfach mal so ins Theater gehen.
Wird man anders beäugt, wenn man als Senator in einer Vorstellung
auftaucht?
Du stehst permanent unter Beobachtung. Die Verantwortlichen dort haben
Erwartungen an dich. Und natürlich gehst du selbst anders ins Theater.
Jetzt kann ich bei der Auswahl ausschließlich meinen ganz persönlichen
Präferenzen folgen.
Und auch mal nicht klatschen?
Ich gehöre zu den Menschen, die immer klatschen, aus Respekt für die
Künstlerinnen und Künstler. Und wenn ich frenetisch klatsche, dann heißt
das auch was.
Die Berliner Linkspartei will im Mai [11][ihre Führung mit einer
Doppelspitze neu besetzen] und sucht noch Kandidat*innen. Interesse?
Ich habe elf Jahre die große Freude gehabt, Landesvorsitzender der
Linkspartei zu sein. Die Partei hat sich seitdem nochmal rasant verändert:
Sie ist jetzt ein Vielfaches jünger. Andere Generationen gehen mit einem
anderen Grundverständnis von politischen Methoden, von politischen
Strategien da ran. Und ich, der ich bald 50 werde, wäre nicht unbedingt das
Signal des Aufbruchs, das die Partei braucht, und das auch ich wünsche. Da
müssen jetzt andere, Jüngere ran.
Aber ein Abschied aus der Politik kommt für Sie nicht in Frage?
Nein, erst mal nicht. Ich werde als Abgeordneter in der letzten Reihe links
außen sitzen. Und vielleicht ergibt sich das eine oder andere Projekt.
Ansonsten habe ich immer gesagt, ich will nicht mein ganzes Leben
Berufspolitik machen.
In diesen dreieinhalb Jahren bis zur nächsten Wahl wird sich zeigen, wie es
mit der Linkspartei im Bund weitergeht – und damit auch mit der „Berliner“
Linken, wie sich Ihre Partei im Wahlkampf explizit genannt hat.
Wir werden nicht erst in dreieinhalb Jahren wissen, ob die Linke im Bund
noch eine Chance hat. Im Augenblick sehe ich leider nicht viel, was mich
hoffnungsvoll stimmt. Das aktuelle business as usual – sprich folgenlose
Appelle von zeitloser Schönheit, die nicht klar benennen, wo das
eigentliche Problem liegt – ist nur Ausdruck des Zerfalls.
Wäre es nicht an der Zeit, sich als erfahrener Linkspolitiker*innen
noch mal in der Bundespartei zu engagieren?
Ich weiß sicher, dass es für mich schon seit einigen Jahren nicht mal mehr
im Ansatz die Chance gibt, bei einer Bewerbung für eine solche Position
eine ausreichende Mehrheit zu bekommen.
Wie hat sich der Politiker Klaus Lederer in den letzten sechseinhalb Jahren
verändert?
Er ist älter geworden, und es ist ein ganz großer Schatz an Erfahrungen
dazugekommen. Deshalb kann ich auch sagen, dass ich ohne jeden Groll gehe;
ein bisschen Schwermut gehört dazu. Natürlich wäre es frustrierend, wenn
ich erleben müsste, dass im Kulturbereich ein massiver Rückbau passiert.
Trotzdem würde auch das meine sechseinhalb Jahre im Amt nicht entwerten.
Wie meinen Sie das?
Es sind in dieser Zeit viele Möglichkeiten aufgezeigt worden, wie es gehen
könnte – und wenn es jetzt nicht so weitergeht, könnte es nach der nächsten
Wahl 2026 so weitergehen.
25 Apr 2023
## LINKS
[1] /Berlins-Kultursenator-Lederer-zu-Corona/!5746456
[2] /Causa-Knabe/!5582882
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Joana_Mallwitz
[4] https://de.wikipedia.org/wiki/Iris_Laufenberg
[5] https://de.wikipedia.org/wiki/Elisabeth_Sobotka
[6] /Koalitionsvertrag-von-CDU-und-SPD/!5923460
[7] https://www.broehan-museum.de/
[8] https://www.bruecke-museum.de/en/
[9] /Volksentscheid-DW-Enteignen/!5926412
[10] /Kulturwinter-in-Berlin/!5898957
[11] /Parteitag-der-Berliner-Linken/!5879771
## AUTOREN
Susanne Messmer
Bert Schulz
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