# taz.de -- Klaus Lederer übers Älterwerden: „Eine Zeit großen Raubbaus“ | |
> Ex-Kultursenator Klaus Lederer (Linke) ist gerade 50 geworden. Ein | |
> Gespräch darüber, was 30 Jahre im Hamsterrad Politik mit Körper und | |
> Psyche machen. | |
Bild: Klaus Lederer ist Theaterfan, fürs Foto stellte er sich in der „blauen… | |
taz: Herr Lederer, Sie machen seit drei Jahrzehnten durchgängig Politik, | |
mit 21 in die BVV, mit 29 ins Abgeordnetenhaus, mit 31 Parteichef, mit 43 | |
Senator … Gerade sind Sie 50 geworden. All die Jahre im Dienst der Linken, | |
davor der PDS. Rückblickend: Haben Sie Ihre Jugend und die Zeit danach der | |
Partei geopfert? | |
Klaus Lederer: (längere Pause, dann Lachen) Auf gar keinen Fall. Dann würde | |
ich ja jetzt nur auf ein Parteileben zurückblicken. Das tue ich aber nicht. | |
Ja, die letzten 20 Jahre waren Jahre auf der Überholspur, auch | |
tretmühlenartig, mit zuletzt 80-Stunden-Wochen. Aber ich war nie nur | |
Parteifunktionär, auch nicht nur Landespolitiker. Das wäre ein echt | |
armseliges Leben. Es gab immer Dinge neben dem Politbetrieb, die mich | |
motiviert haben, Musik, Theater, Freundschaften, Texte schreiben. | |
Gab es für Sie als junger Heranwachsender eigentlich nie Alternativen zur | |
Politik? | |
Tatsächlich wollte ich vorher Astrophysiker werden. Aber dann – 1989, 1990 | |
– wurden die irdischen Dinge deutlich wichtiger. Eine entfernte Freundin | |
von mir ist jetzt Astrophysikerin und manchmal denke ich mir, das wäre auch | |
interessant. | |
Sind Sie da ein bisschen neidisch? | |
Sagen wir so: Ich bereue die Jahre nicht. Deshalb bin ich auch nicht | |
neidisch. Aber es ist ja ein interessantes Gedankenspiel. Was wäre gewesen, | |
wenn? Vielleicht hätte ich Dinge herausgefunden über die Beschaffenheit des | |
Universums. Keine Ahnung. | |
Stattdessen haben Sie die Beschaffenheit einer Partei ergründen dürfen. | |
Auch ein Universum … | |
Harte Konflikte mit Ihrer Partei ziehen sich dabei wie ein roter Faden | |
durch Ihre Karriere, zuletzt vor allem mit den prorussischen | |
Friedenstauben. Hatten Sie nie Lust, den ganzen Krempel hinzuschmeißen? | |
Politik ist Auseinandersetzung. Wer das nicht will und kann, wem das zu | |
viel ist, der ist da nicht richtig. Politik ohne Streit ist für mich nicht | |
denkbar. Ich glaube sogar, dass das Leiden an den Zuständen ein großer | |
Antrieb ist, sich politisch einzubringen und Dinge verändern zu wollen. Und | |
da gerätst du immer in Auseinandersetzungen mit den Wirren und den | |
Verrücktheiten dieser Welt. Ich habe die Partei dabei auch nie als eine | |
Glaubensgemeinschaft betrachtet, in der man sich gegenseitig jeden Tag | |
bestätigt, dass man auf der richtigen Seite steht. | |
Okay, dann stellen wir die Frage anders: Gab es je einen Moment, wo Sie das | |
Gefühl hatten, mir wächst alles über den Kopf? | |
Es gab zwei akute Burnout-Erlebnisse, und das ist nicht lustig. Das sind | |
Situationen, in denen denkt man natürlich über die Frage nach: Geht das so | |
weiter? | |
Und es ging weiter. | |
Ich habe mich immer bemüht, mich mit vertrauenswürdigen, maximal offenen | |
Menschen zu umgeben. Keine Jasager, sondern Menschen, die mir sehr direkt | |
und unverblümt spiegeln, wenn sie ein Problem haben, wenn sie etwas | |
inhaltlich anders sehen, aber auch, wenn sie sich um mich Sorgen machen. | |
Das waren Freundinnen und Freunde, die immer für mich da waren. Ohne die | |
hätte das nicht funktioniert. | |
Als sich vor einem Jahr die damals noch Regierende Bürgermeisterin | |
Franziska Giffey (SPD) [1][gegen eine Fortsetzung] von Rot-Grün-Rot und für | |
die CDU entschieden hat, haben Sie da gedacht: Vielleicht ist es auch gut | |
so, nun muss ich es nicht selbst entscheiden? | |
Wir haben das ja über die Presse mitgeteilt bekommen und nicht direkt | |
miteinander gesprochen, was auch ein bisschen der Modus der SPD ist und ihr | |
Selbstverständnis, die Stadt und die Regelung ihrer Angelegenheiten | |
betreffend. | |
Gut, und dann? | |
Der Terminkalender war ja für Sondierungsgespräche freigeräumt, also leer. | |
Ich lag dann zu Hause auf dem Sofa und habe ungefähr 48 Stunden Musik | |
gehört, mal gelesen, zwischendurch Löcher in die Decke gestarrt und über | |
die Welt und alles andere nachgedacht. | |
Kam da nun Erleichterung oder eher Wut und Trauer? | |
Da war vielleicht Trauer, das schon, aber Bitterkeit oder Wut überhaupt | |
nicht. Nach 48 Stunden war ich in der Grundstimmung: Schade, ich hatte als | |
Kultursenator durchaus noch einiges vor und manches Projekt abzuschließen. | |
Aber ich habe mir dann gesagt: Es ist jetzt eine neue Situation und die hat | |
persönlich auch massive Vorzüge, nämlich die Abwesenheit der | |
80-Stunden-Woche. Das war klasse. Es war Frühling, ich konnte viel draußen | |
rumlaufen, und ich bin viel gelaufen in den Tagen. Ich habe das sehr | |
genossen, dass die Bewegung in der Stadt zwischen A und B nicht nur ein | |
Ortswechsel ist hin zur nächsten Verpflichtung. | |
Wenn Sie sagen, Sie sind gelaufen, also nicht mehr mit dem Dienstwagen | |
gefahren worden: Hat ein Politiker [2][nach der Entlassung aus dem | |
Hamsterrad] ein anderes Gefühl zu seinem Körper als davor? | |
Ich kann nur für mich sprechen. Aber ich glaube schon, dass es eine Zeit | |
des großen Raubbaus ist, wenn du nicht mehr Herr deines Kalenders bist, | |
sondern von anderen Menschen organisiert wirst und nicht wirklich Einfluss | |
auf die Frage hast, welche Probleme du jeden Tag zu lösen und zu bewältigen | |
und zu klären hast. Ich habe das erst gemerkt, als ich dann raus war, was | |
man sich selbst antut und zumutet in einer solchen Funktion. | |
Körperlicher Raubbau klingt brutal. | |
Ja, natürlich. Ich merke jetzt mit 50 auch, dass ich langsam ein bisschen | |
mehr dafür tun muss, mir die Vitalität noch möglichst lange zu erhalten. | |
Ich habe zwar immer mal zwischenzeitlich Sport gemacht, aber je nachdem, | |
wie der Stress dann zunahm, es dann wieder nicht getan. Auch jetzt während | |
der Buchschreiberei habe ich es nicht gemacht. | |
Womit wir wieder bei der Partei sind. Ist Ihr jüngst erschienenes [3][Buch | |
„Mit links die Welt retten“], das Sie gerade erwähnen, eine Abrechnung mit | |
und ein Abschied von der eigenen Partei – oder eher die Vorbereitung eines | |
Comebacks? | |
Weder noch. Die Taktung war in den letzten 20 Jahren sehr hoch, die | |
genannten Auseinandersetzungen inklusive, zuletzt vor allem im | |
stadtpolitischen Raum und nicht mehr permanent mit der eigenen Partei. | |
Nachdem jetzt Schluss war, war Zeit, zurückzuschauen und zu fragen: Wo | |
komme ich politisch eigentlich her, was ist all die Jahre passiert und wie | |
bekomme ich die wahrgenommenen Veränderungen zu greifen? Mit den Krisen der | |
vergangenen Jahre hat sich die Welt ja fundamental geändert, wurden auch | |
linke Stehsätze massiv infrage gestellt. Letztlich ist es ein Buch, das ich | |
auch für mich selbst geschrieben habe. | |
Es geht nicht darum, Ihrer Partei noch eine mitzugeben? | |
Nein. So etwas ist doch kleinkariert. Das Buch ist zweierlei, einerseits | |
meine eigene Standortbestimmung und andererseits der Versuch, der Partei | |
ein Angebot zu machen, was aus meiner Sicht heute angesagt wäre. Da bleiben | |
auch viele Fragen offen. Ich bin ja auch nicht Zwerg Allwissend. | |
Wenn Sie sagen, viele Fragen sind offen, gilt das auch für Ihre Zukunft in | |
der Politik? | |
Ich habe bis 2026 das Mandat im Abgeordnetenhaus und [4][mache jetzt | |
Queerpolitik], mit voller Energie. Das hat mit mir zu tun, hat mich schon | |
vor meiner Senatorenzeit beschäftigt, und das ist jetzt mein Horizont. An | |
die Zeit danach denke ich nicht so. | |
Auch nicht daran, ob Sie bei der Abgeordnetenhauswahl 2026 noch einmal als | |
Spitzenkandidat für die Linke ins Rennen gehen? | |
Dreimal war doch genug. Ich glaube aber auch nicht, dass die Bewältigung | |
von 20 Jahren auf der Überholspur eine Angelegenheit ist, die man in 48 | |
Stunden auf dem Sofa geregelt bekommt, nachdem man erfahren hat, dass es | |
nicht weitergeht mit dem Senat. | |
Das ist aber auch schon ein Jahr her. | |
Aber das ist ein Prozess, der sehr, sehr lange dauert. Ich merke das an mir | |
selbst. Ich muss gerade noch lernen, Zeit zu haben, ohne permanent wie mit | |
Hummeln im Hintern danach zu suchen, was ich als Nächstes machen kann. Ich | |
bin noch nicht an dem Punkt, an dem ich mich in dieser Hinsicht selbst | |
gefunden habe. | |
Gilt Ihr Satz gegenüber der taz von 2005 noch: Ein Politrentner will ich | |
nicht werden? | |
Der gilt hundertprozentig, und es gibt viele Möglichkeiten, vielleicht auch | |
solche, auf die ich noch gar nicht gekommen bin, was ich mit den | |
verbleibenden 25, 30 oder auch nur fünf Jahren anfange. | |
Ist man da im Austausch mit anderen? Sprechen Sie etwa mit dem ehemaligen | |
Regierenden Klaus Wowereit (SPD) darüber, wie man das organisiert? | |
Das mache ich so gezielt nicht. Klaus Wowereit und ich haben gelegentlich | |
Kontakt, und wir wollten eigentlich auch mal wieder einen Kaffee trinken | |
gehen. Da reden wir vielleicht auch über so was. Aber ich glaube nicht, | |
dass es einen Königsweg für das Nach-Politiker-Dasein gibt. Natürlich kommt | |
man auf die eine oder andere Idee, wenn man sechseinhalb Jahre so nah war | |
an tollen Menschen, die in der Berliner Kultur unterwegs sind. Aber | |
vielleicht studiere ich auch noch mal. | |
Vielleicht jetzt Astrophysik? | |
Vermutlich eher nicht. Aber das Interesse ist nie ganz erkaltet, Astronomie | |
war ja einige Jahre mein Hobby. Und mit einem kleinen Fernrohr lassen sich | |
schon ganz bezaubernde Dinge am Nachthimmel entdecken. | |
Die kommenden Jahre sollen jedenfalls jetzt mal selbstbestimmt angegangen | |
werden? | |
Unbedingt. Die Jahre davor waren ja auch selbstbestimmt. Aber unter anderen | |
Konditionen. Und da ist sie wieder, die Zahl 50 … | |
… und die Frage, ob einem noch 25, 30 oder nur fünf Jahre bleiben. | |
Ja. Es ist doch so, wenn du wieder zehn Jahre weitergekommen bist, denkst | |
du jedes Mal auch ganz anders über das, was du hinter dir hast und was dir | |
noch bleibt. Dazu gehört, dass du dich nicht belügen kannst, dass der Zahn | |
der Zeit unaufhörlich nagt. Die Endlichkeit der eigenen Existenz spielt | |
eine größere Rolle. Mein Jahr habe ich jetzt damit begonnen, dass ich einen | |
Nachruf auf meinen Freund Torsun (Sänger der [5][Band Egotronic] – Anm. d. | |
Red.) geschrieben habe, der kurz vor Silvester den Kampf gegen den Krebs | |
verloren hat. Dann [6][René Pollesch] (war Intendant der Volksbühne – Anm. | |
d. Red.), der im Februar von heute auf morgen nicht mehr da war. Es wird | |
mir gerade entschieden zu viel gestorben in meinem persönlichen Umfeld. Das | |
lässt einen nicht kalt. | |
Was wünscht der jetzt 50-Jährige der taz zum 45-Jährigen? | |
Dass ihr auch die 100 Jahre schafft und dabei stabil bleibt. | |
17 Apr 2024 | |
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