| # taz.de -- Happy Midlife-Crisis – 45 Jahre taz: Was ist nur aus der taz gewo… | |
| > Die taz wollte immer anders sein als andere Zeitungen. Was ist 45 Jahre | |
| > nach der Gründung aus dem Schwung der Anfangsjahre geworden? | |
| taz: Liebe Kolleg*innen, im April 1979 gründeten ein paar Idealisten eine | |
| Zeitung, die anders sein wollte als die anderen. Auf diese Gründung | |
| beziehen wir uns noch heute, wenn wir in der Redaktion manchmal kritisch | |
| behaupten: „Dafür ist die taz nicht gegründet worden!“ Wofür ist die taz | |
| denn gegründet worden? | |
| Lukas Wallraff: Die taz soll ein Stachel im Fleisch der Gesellschaft sein, | |
| sie sollte fantasievoll sein – und wenn sie überzeugt von etwas ist, dann | |
| sollte sie das auch radikaler als andere vertreten. | |
| Barbara Dribbusch: Die taz wollte damals der Subkultur eine Stimme geben, | |
| stilistisch wie inhaltlich. Und es war eine Reaktion auf die damals sehr | |
| dominante Springer-Presse. Die Überschriften und Kommentare der taz waren | |
| damals berühmt, noch mehr als heute. | |
| Erik Peter: Die taz will der Gegenöffentlichkeit eine Stimme geben. Mit | |
| anarchistischem Impetus. | |
| Adefunmi Olanigan: Ich bin ja am kürzesten von euch allen dabei, erst 18 | |
| Monate. Ich habe nicht den Vergleich mit der Gründungszeit. Ich glaube | |
| aber, die alten Fronten – zum Beispiel gegen den Springer-Konzern – die | |
| sind nicht mehr so relevant. Für mich bekommen hier Menschen eine Stimme, | |
| die anderswo vielleicht nicht sichtbar sind. Feministische Stimmen, zum | |
| Beispiel. | |
| Seit damals hat sich politisch viel bewegt: Deutschland ist aus der | |
| Atomenergie ausgestiegen, das Springer-Hochhaus steht, auch dank der taz, | |
| heute in der Rudi-Dutschke-Straße, Cannabis wurde legalisiert: Wofür | |
| braucht es uns eigentlich noch? | |
| Lukas: Also, der taz Panter FC müsste schon noch in die erste Liga der | |
| Medienmannschaften aufsteigen. (allgemeine Heiterkeit) Im Ernst, die | |
| Erfolgsliste ist ja trügerisch. In punkto sozialer Gerechtigkeit etwa sind | |
| wir nicht so furchtbar weit gekommen. Die berühmte Schere zwischen Arm und | |
| Reich ist ja, im Gegenteil, eher noch weiter auseinander gegangen. Da geht | |
| der taz die Arbeit also wohl erstmal nicht aus. | |
| Barbara: Wir haben den Klimawandel, der ist virulent. Wir haben die | |
| Globalisierung, die Migration und sehen die weltweit unglaublich ungerechte | |
| Verteilung von Lebenschancen und Menschenrechten. Das ist ein Thema, das | |
| kann einen antreiben bis ans Lebensende. Es hat sich auch durch die | |
| sozialen Medien etwas geändert, weil Menschen, die vorher keine Stimme | |
| hatten, sich äußern können. Da sieht man: es ist nichts bewältigt. | |
| Erik: Es ist eine Imagination, dass wir in einer befriedeten Gesellschaft | |
| leben würden. Die Verteilungskämpfe werden rauer. Der Faschismus steht vor | |
| der Tür, die Klimakrise ist existenziell, die Frage von Krieg und Frieden | |
| ist sehr brennend. | |
| Funmi: Rechte Positionen werden in den Medien gerade sehr viel stärker. Das | |
| sind breite talking points geworden. Es braucht starke, harte, radikale | |
| linke Positionen, mehr denn je. Wir müssen wieder mehr draufhauen. | |
| Machen wir das? | |
| Funmi: Teilweise zu wenig. | |
| Lukas: Es ist schwieriger geworden durchzudringen. Das hängt sicher auch | |
| mit social media zusammen und der Reichweite, die man da erzielen kann, da | |
| ist die taz ja teilweise nur ein kleiner Player im Vergleich zu anderen | |
| Akteuren. Und in der Redaktion werden natürlich auch viele Themen sehr | |
| differenziert diskutiert. Das ist gut. Aber die eine laute Meinung gibt es | |
| dann nicht. | |
| Waren die Feinde damals, in den Anfangsjahren der taz, klarer – war die | |
| Frage der eigenen Positionierung einfacher? | |
| Erik: Ich glaube die Feinde sind so klar wie früher. Die Antifeministen, | |
| die Faschisten, die Firmenbosse. Ob man sie erkennt, ist eine Frage des | |
| eigenen Standpunkts, der eigenen Haltung. Und wenn man die Frontlinien als | |
| nicht mehr so klar empfindet, dann muss man sich vielleicht kritisch selbst | |
| fragen, warum man das so empfindet. | |
| Du meinst, uns ist der Kompass ein bisschen abhandengekommen? | |
| Erik: Ja, ich glaube schon, dass nicht mehr alle in der taz ein klares | |
| linkes Selbstverständnis haben und eher im Bürgerlichen angekommen sind. | |
| Barbara (lacht): Dieses Narrativ kenne ich, seit ich bei der taz angefangen | |
| habe, und das vor 30 Jahren. Da hat mir schon ein älterer Kollege gesagt: | |
| Also, die jungen Leute, die schreiben ja eigentlich nur noch hier, weil sie | |
| mal zu einem Mainstream-Medium wollen. Jeder Artikel eine Bewerbung! Da ist | |
| doch gar keine linke Position mehr erkennbar! Und auch in Leserzuschriften | |
| hieß und heißt es häufig: Wenn die taz jetzt Mainstream wird, kündige ich | |
| aber wirklich mein Abo! | |
| Lukas: Manchen sind wir zu rechts, manchen zu links, das war doch schon | |
| immer so. Manchen sind wir zu sehr für die Ukraine, manchen zu wenig. Es | |
| kommt darauf an, dass wir authentisch Positionen vertreten, von denen wir | |
| überzeugt sind. Die dürfen dem eigenen Milieu auch weh tun. | |
| Barbara: Ich finde, es ist gerade die Stärke der taz, dass wir hier eine | |
| Vielfalt von Meinungen haben. Ich glaube nicht, dass wir dadurch an | |
| Bedeutsamkeit einbüßen. Was ich viel problematischer finde, sind Texte, die | |
| offensichtlich populistisch-linke Geisteshaltungen bedienen. Die werden | |
| natürlich viel geklickt auf taz.de und man will als Autorin auch viele | |
| Klicks haben, klar. Aber trotzdem muss man differenzieren, das ist | |
| schwieriger. | |
| Schwieriger, und sicher verdienstvoll – aber auch weniger erfolgreich bei | |
| dem Versuch, mit einer eigenen Stimme durchzudringen? | |
| Barbara: Nicht unbedingt. Wir dürfen nicht erwartbar werden, sonst sind wir | |
| erledigt. | |
| Lukas: Wo ich schon ein Problem sehe: Wir sind zu sehr beschäftigt damit, | |
| zu protokollieren,wie sich die Krisen unserer Gegenwart – Kriege, | |
| Klimawandel – weiterentwickeln. Und darüber kommt uns die Fantasie abhanden | |
| und die Kraft und auch der Platz, eigene Ideen zu pushen. | |
| Also weniger Bericht und dafür mehr Recherche, mehr Meinung? | |
| Erik: Ja, all das. Anstatt nur die aktuellen Krisenverläufe abzubilden, | |
| müssten wir uns mehr grundsätzliche Gedanken um Alternativen machen. Wir | |
| müssten mehr mit Leuten sprechen, die sich um genau so etwas auch Gedanken | |
| machen, statt dieselben Interviewpartner zu haben, die auch die Bild oder | |
| der Spiegel haben. | |
| In der Redaktion diskutieren wir auch immer mal wieder über die Frage, ob | |
| wir inzwischen zu oft im Regierungsflieger sitzen. Ist uns der Abstand | |
| verloren gegangen, gerade weil mit den Grünen eine Partei an der Regierung | |
| beteiligt ist, der wir in alter Verbundenheit zugetan sind? | |
| Erik: Ich glaube, es bringt der taz nichts, mit Annalena Baerbock (die | |
| grüne Außenministerin, d. Red.) im Regierungsflieger zu sitzen und ich muss | |
| auch nicht die 20. Zeitung sein, die Agnes Strack-Zimmermann | |
| (FDP-Verteidigungspolitikerin, d. Red.) Platz bietet. Ich will lieber | |
| prominent auf einer Seite 3 eine prekär beschäftigte Krankenpflegerin oder | |
| eine Hackerin zu Wort kommen lassen. | |
| Barbara: Machen wir doch auch. Geht doch beides. | |
| Lukas: Einspruch zu Erik. Die taz muss schon auch dabei sein, wo | |
| Regierungspolitik passiert. Die zahlenden Leser*innen erwarten ja auch | |
| Kompetenz bei deren Berurteilung von uns. Und dazu gehört, dass man das | |
| nicht nur am Fernsehen verfolgt, und dass man Informationen bestenfalls | |
| auch vor anderen Medien bekommt. | |
| Erik: Aus meiner Sicht ist die Regierungsberichterstattung | |
| überrepräsentiert und es gibt seit Jahren keinen einzigen festen Kollegen | |
| mehr, der überregional für soziale Bewegungen zuständig ist. Da kommt die | |
| taz her. Aber wir leisten es uns, das links liegen zu lassen. | |
| Funmi: Ich stimme Erik durchaus zu. Ich habe das Gefühl, wir arbeiten in | |
| einem konstanten Sparhaushalt. Die Frage, wo wollen wir hin, können wir nur | |
| in sehr engen finanziellen und damit personellen Spielräumen beantworten. | |
| Und deshalb ist ja gerade die Frage: Wofür nehmen wir das Geld, das wir zur | |
| Verfügung haben? Begleiten wir Politiker*innen – was auch wichtig sein | |
| kann – oder wollen wir andere Stellen stärken? | |
| Setzen wir falsche Prioritäten? | |
| Lukas: Es muss ja darum gehen, die machtpolitisch relevanten Entscheidungen | |
| kritisch zu verfolgen. Das geht nicht, wenn man ab und zu mal vorbeischaut. | |
| Die Leute müssen lang und regelmäßig dort sein, ein Vertrauensverhältnis | |
| entwickeln, um auch Information zu bekommen. Das braucht Zeit und Personal. | |
| Aber offenbar haben sich unsere Prioritäten da verschoben und wir haben | |
| uns, vielleicht im Zuge einer Professionalisierung, von sozialen Bewegungen | |
| entfernt? | |
| Barbara: Das finde ich nicht. Ich finde auch nicht, dass sich in der taz so | |
| wenig Leute mit sozialen Themen beschäftigen. Ich höre seit 30 Jahren, dass | |
| wir mehr Leute brauchen. | |
| Womit wir beim Geld wären. Seit jeher sind die taz-Löhne niedrig, es gibt | |
| Mitarbeiter, die direkt auf die Altersarmut zusteuern. Gleichzeitig | |
| prangern wir Dumping-Löhne bei Unternehmen an. Wie gehen wir mit dieser | |
| Doppelmoral um? | |
| Lukas: Damit ist die taz gegründet worden (alle lachen). Alle, die bei der | |
| taz anfangen, wissen das. Es ist nicht vergleichbar mit großen Firmen und | |
| DAX-Unternehmen, die große Gewinne machen und wo Manager Millionen | |
| bekommen. Hier macht ja niemand großen Profit. | |
| Erik: Nur weil wir hier nicht mehr Geld zur Verfügung haben, können wir | |
| nicht aufhören, die Ausbeutungsverhältnisse anderer anzuprangern. Es bleibt | |
| ein Widerspruch, aber der ist nicht aufzulösen. | |
| Barbara: Wir sind Akademiker mit dem Gehalt einer examinierten | |
| Altenpflegerin ohne Führungsverantwortung. Aber das Problem sind die | |
| Kosten. Wohnen in Berlin ist ja viel teurer als früher. | |
| Aber hat die taz nicht auch eine Verantwortung für ihre Leute? Es gibt hier | |
| Kollegen jenseits der 70, die es sich nicht leisten können, in Rente zu | |
| gehen. | |
| Lukas: Aber das Problem ist doch, wenn du Leuten mehr Geld zahlen willst, | |
| musst du Stellen abbauen. Oder bei anderen Projekten kürzen. | |
| Wenig Geld, dafür flache Hierarchien, Autonomie und im Vergleich zu anderen | |
| Medienhäusern ein angenehmeres Umfeld auch für Frauen. Ist das der Deal? | |
| Barbara: Ich hab’ immer ein Problem, mit Chefs zu arbeiten. Das ist neben | |
| der politischen Ausrichtung auch der Hauptgrund dafür, dass ich schon so | |
| lange hier bin. Ich finde immer noch großartig, dass ich so selbstbestimmt | |
| arbeiten kann. Es gab hier auch mal Kollegen in Führungsverantwortung, die | |
| dachten, sie müssten das anders machen. Aber die sind nicht mehr hier. | |
| (Alle lachen) | |
| Erik: Die taz kommt ja aus einer basisdemokratischen Tradition und | |
| entwickelt sich immer mehr zu einem normalen Unternehmen. Der Unterschied | |
| ist, wir können hier ganz gut unsere Chefs ignorieren. Ich habe eine sehr | |
| große Autonomie und es ist mir egal, wer unter mir Chef ist. Da lebt der | |
| anarchistische Geist der taz fort und das finde ich schon sehr angenehm. | |
| Nimmst Du das als Volontärin auch so wahr, Funmi? | |
| Funmi: Ich hatte hier von Anfang an auch fast immer das Gefühl von großer | |
| Autonomie, obwohl ich eigentlich das niedrigste Glied in der Kette bin. Das | |
| fand ich schon immer gut hier. Dieses „Mach das, worauf Du Lust hast und | |
| dann kriegen wir das auch zusammen hin“. | |
| Erik: Ich habe auch von Praktikantinnen gehört, dass sie bei anderen | |
| Zeitungen zum Beispiel keine Kommentare schreiben durften, erst wenn sie | |
| ausgelernt haben. Hier darf ein Praktikant den Seite-1-Kommentar schreiben. | |
| Lukas: Ich finde trotzdem, dass wir aus den ganzen Möglichkeiten der | |
| Mitbestimmung derzeit zu wenig machen, insofern als wir zu wenig offen | |
| streiten und diskutieren auf den Konferenzen. Das war früher wirklich | |
| weitaus mehr der Fall (allseits zustimmendes Nicken). Wir sind zu sehr | |
| beschäftigt mit dem Protokollieren der Nachrichtenwelt und dem Abhaken von | |
| Themen, die gerade anstehen. Das hat diverse Gründe. Es hängt mit Leuten | |
| zusammen, die früher da waren und jetzt weg sind. Dann die Überlastung | |
| durch die verschiedenen Kanäle, die wir bedienen müssen: Print, online, | |
| social media und wochentaz – die Leute haben schlicht weniger Zeit für | |
| Diskussionen. | |
| Barbara: Nicht unterschätzen sollten wir, dass die Konferenzen jetzt hybrid | |
| stattfinden. Viele sind im Homeoffice und das hat die Diskussionskultur | |
| entscheidend verändert. Früher konnte man mal etwas rausblaffen. Jetzt muss | |
| man immer die Hand heben und wenn man drankommt ist das Thema leider schon | |
| wieder durch. Man ist jetzt sehr zivilisiert und mit Kritik vorsichtiger. | |
| Ist das nicht auch ein Vorteil, dass nicht mehr so rumgemackert wird? | |
| Lukas: Es ist angenehm, dass es jetzt ein besseres Zuhören gibt und auch | |
| für stillere KollegInnen die Möglichkeit, zu Wort zu kommen. Aber auch in | |
| diesem zivilisierten Stil kann man noch über inhaltliche Fragen | |
| diskutieren. Der Raum dafür müsste ausdrücklich geboten werden. | |
| Barbara: Aber wie soll das denn passieren? | |
| Lukas: Man müsste dazu animieren, wenn Streitpunkte offenkundig sind. | |
| Ausdrücklich sagen „Lasst uns doch mal zehn Minuten streiten und Argumente | |
| austauschen“. Früher sind daraus oft Streitgespräche entstanden, die wir | |
| fürs Blatt inszenieren konnten. | |
| Funmi: In kleineren Gesprächsrunden finden Diskussionen ja auch noch statt. | |
| Das finde ich auch total wertvoll. Ein ausgeprägtes Mackertum hab’ ich so | |
| nicht mitbekommen, ich bin aber auch während Corona hier reingekommen. | |
| Erik: Die höchste Kunst ist vielleicht produktiver Streit ohne Mackertum. | |
| Wir hadern hier in der Redaktion ja gerne mal mit uns, aber die | |
| Abonenntinnen sind recht zufrieden, jedenfalls hat das eine | |
| Leser*innenbefragung kürzlich gezeigt. Die Abonnent*innen sind im | |
| Durchschnitt übrigens etwa 64 Jahre alt, eher männlich, eher westdeutsch. | |
| Lukas: Das ist angenehm zu hören, aber auch nicht erstaunlich, das sind die | |
| noch zahlenden Leser. Spannender ist ja die Umfrage bei denen, die die taz | |
| nicht weiter abonniert haben. | |
| Erik: Die Frage ist, sind wir zufrieden damit, nur noch eine Auflage von | |
| 20.000 zu haben (gemeint ist hier nur die werktägliche Print-Auflage, hinzu | |
| kommen wochentaz- und digitale Abos sowie rund 40.000 zahlende | |
| Online-Leser*innen, d. Red.) und nächstes Jahr die gedruckte Zeitung | |
| einstellen zu müssen, weil es sich nicht mehr lohnt, oder wollen wir ein | |
| anderes Potential erschließen. | |
| Lukas: Die Renter würden uns schon reichen, da haben wir auch noch längst | |
| nicht alles ausgeschöpft. | |
| Funmi: Ich frage mich, ob wir manchmal zu oft an unsere | |
| Printleser*innen denken. Wir sind auf so vielen Kanälen unterwegs und | |
| online haben wir ja viel, viel mehr Leser*innen. Die sind nochmal eine ganz | |
| andere Gruppe. | |
| Die zahlen aber nicht. | |
| Erik: Es gibt mehr Leute, die uns online freiwillig Geld zahlen, wenn auch | |
| kleinere Beträge, als Printabonent*innen. | |
| Die Aktionen der Klimaaktivist*innen der Letzten Generation, um nur | |
| ein Beispiel zu nennen, haben wir sehr zurückhaltend kommentiert. Sind wir | |
| mit unseren Leser*innen alt geworden, haben wir an Radikalität | |
| eingebüßt? | |
| Lukas: Das hat doch nichts mit dem Lebensalter zu tun. Viele | |
| Senior*innen fanden die Letzte Generation gut und haben sich sogar mit | |
| auf die Straße gesetzt. Aber die Frage war vor allem, ob man die | |
| Vorgehensweise richtig und der Sache dienlich findet. Und da gab es hier | |
| unterschiedliche Meinungen und beide wurden artikuliert. Und zwar weil die | |
| Leute bei uns radikal frei denken und schreiben dürfen. In den 80er Jahren | |
| gab es Farbbeutel auf die taz, weil wir angeblich zu wenig solidarisch mit | |
| den Hausbesetzern waren. | |
| Barbara: „taz lügt“, stand da auf Häuserwänden. | |
| Lukas: Da gab es hier Hausbesetzer-Ultras in der Redaktion und auch Leute, | |
| die nicht so solidarisch mit der Szene waren. Dieser Mythos „früher war die | |
| taz radikaler“, das ist wirklich ein Mythos. | |
| Erik: Das glaube ich nicht. Ja, auch früher wurde hart gestritten, aber | |
| eher unter einem geteilten linken Anspruch. Das war nicht der Streit | |
| zwischen Hausbesetzern und Hausbesitzern, sondern eher die Frage nach | |
| Strategien. | |
| Lukas: Das ist doch immer noch so. | |
| Erik: Heute hat die taz hin und wieder einen verkrampften Umgang mit | |
| sozialen Bewegungen und ein Abgrenzungsbedürfnis, um zu zeigen, man ist | |
| erwachsen geworden und man schämt sich ein bisschen für die eigene | |
| Vergangenheit. Wenn heute ernsthaft Texte gegen die Letzte Generation | |
| erscheinen, weil deren Protestform angeblich eine Form von Gewalt ist, ich | |
| meine – wo kommt denn die taz her, was gab es denn früher für | |
| Straßenschlachten!? | |
| Barbara: Deshalb kannst Du ja deine Kommentare schreiben. Das muss ja nicht | |
| jeder teilen. | |
| Erik: Heute gelten Dinge hier in der taz als radikal, bei denen früher | |
| selbst der rechteste tazzler nicht einmal mit der Wimper gezuckt hätte. | |
| Also stemmen wir uns rechten Narrativen doch zu wenig entgegen? | |
| Lukas: Wir können doch nicht jede Aktionsform uneingeschränkt unterstützen. | |
| Wenn die Zustimmung für eine Klimapolitik sogar eher gesunken ist und es | |
| der Sache eher geschadet hat, muss man das natürlich auch schreiben können. | |
| Erik: Ja, Debatten über linke Strategien müssen wir führen. | |
| Was ist denn unsere Strategie, wozu braucht es uns noch? | |
| Lukas: Jeden Tag Denkanstöße liefern, die über andere Medien hinausgehen. | |
| Jeden Tag einen Gedanken liefern, der die Leute zum Nachdenken bringt und | |
| die Fantasie anregt. | |
| Funmi: Es braucht einen Raum für linke Utopien und um Ungerechtigkeiten | |
| aufzuzeigen. | |
| Barbara: Ja, auch um Perspektiven aufzuzeigen, auf die man sonst gar nicht | |
| kommen würde, aus einer linken Sichtweise heraus, die es meiner Meinung | |
| nach immer noch gibt. | |
| Lukas: Es wäre auch gut, Rechte zum Nachdenken zu bringen. Durchzudringen | |
| mit Themen, die auch ein nicht-linkes Publikum erreichen können, wo man was | |
| bewegen kann. Aber auch Linke zum Nachdenken bringen, ob ihre Positionen | |
| wirklich in jeder Hinsicht richtig sind. | |
| Tatsächlich erreicht die AfD in einigen Landstrichen im Osten | |
| Zustimmungswerte von 30 Prozent. Welcher Auftrag erwächst daraus an unsere | |
| Berichterstattung? | |
| Barbara: Ich bin der Meinung, wir müssen mehr mit AfD-Wähler*innen reden. | |
| Wir können die Rechten nicht ignorieren. Früher ging das vielleicht, jetzt | |
| nicht mehr. Ich habe auch einige AfD-Sympathisant*innen im Bekanntenkreis. | |
| Ich versuche, ihre Motive zu verstehen, statt ihnen oberlehrerinnenhaft zu | |
| begegnen. Aber ich verstehe auch, wenn das nicht jeder Kollege tun will. | |
| Ich kann die Position „Ich rede nicht mit Rechten“ durchaus akzeptieren. | |
| Funmi: Die Frage ist ja auch, wer mit Rechten reden kann. Wenn ich über die | |
| AfD berichte, merke ich, die Kommentare gegen mich als junge, schwarze Frau | |
| sind nochmal doppelt so hart. Das ist auch schlicht eine Sicherheitsfrage, | |
| zumal wenn man Demoberichterstattung macht. | |
| Jetzt haben wir uns gut 90 Minuten lang die Sinnfrage gestellt – also, wie | |
| viel Krisenempfinden ist da bei euch? | |
| Erik: Ich glaube schon, dass das Selbstverständnis nicht mehr so klar ist, | |
| wer wir sind und welche Stimme wir einnehmen wollen. Das heißt aber nicht, | |
| dass es die taz nicht mehr braucht. Wir müssen sie nur besser machen. | |
| Barbara: Ich finde nicht, dass wir in einer Identitätskrise sind. Die | |
| eigene Identität ist ja immer dynamisch. | |
| Lukas: Es gibt viel zu tun. Der Bedarf ist da, der Wille auch, die Mittel | |
| sind endlich und ob es eine Krise gibt, entscheidet sich erst, wenn die | |
| Printausgabe eingestellt wird. | |
| Funmi: Ich glaube auch, dass wir uns mehr fragen müssen, wen wollen wir | |
| ansprechen, welchen Raum wollen wir einnehmen. Wir sind nicht das | |
| klassische Nachrichtenmedium, dafür haben wir auch gar nicht die | |
| Ressourcen. Wie wollen wir den Online-Raum bespielen, mit welchen | |
| Positionen und mit welchen Formaten. Und da steht die taz schon noch vor | |
| großen Fragen. | |
| 17 Apr 2024 | |
| ## AUTOREN | |
| Anna Klöpper | |
| Sunny Riedel | |
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