# taz.de -- Darstellung der Midlife-Crisis in Filmen: Alte Klischees mit neuer … | |
> Das Kino hat schon von der Midlife-Crisis erzählt, bevor es den Begriff | |
> gab. Auf Veränderung kommt es an, das zeigen viele der Filme. | |
Bild: Marcello Mastroianni in Fellinis „8 1/2“ von 1963, ein Klassiker für… | |
Die Midlife-Crisis im Kino ist auch nicht mehr das, was sie mal war. Und | |
wie um die meisten Dinge, die rituell mit dieser Phrase betrauert werden, | |
ist es bei genauerer Betrachtung nicht so sehr schade drum. Was die Filme | |
zum Thema umso interessanter macht: Aussagekräftiger als die Krise selbst | |
ist das, was sich an ihr über die Jahrzehnte hinweg verändert. | |
Da wären zum Beispiel die [1][Filme von Federico Fellini], die oft als | |
Erstes in den Sinn kommen: „La dolce vita“ von 1960 und „8 1/2“ von 196… | |
beide sind entstanden, noch bevor der kanadische Psychoanalytiker Elliott | |
Jaques mit seinem Aufsatz „Death and the Midlife Crisis“ 1965 den Begriff | |
prägte. Dinge wie das Infragestellen der eigenen Existenz, das einsetzende | |
Bedauern angesichts des Erreichten, Rastlosigkeit und die Melancholie über | |
den Verlust der eigenen Jugend finden sich noch ohne Etikett bei Fellini in | |
Szene gesetzt, und zwar mit einer modernen Präzision, die bei jedem | |
Wiedersehen erstaunt. | |
Kein Wunder, dass das Vorbild dieser Filme als Echo heute noch nachhallt, | |
nicht nur in italienischen Filmen, wie [2][Paolo Sorrentinos „La grande | |
bellezza“ (2013)], der sich auf „La dolce vita“ bezog, sondern auch zum | |
Beispiel im [3][Oscar-Gewinner von 2015, Alejandro G. Iñárritus „Birdman“… | |
dessen phantasmagorische Besichtigung einer Schaffens- und Lebenskrise | |
seine innere Verwandtschaft mit „8 1/2“ vor allem im Strukturellen belegt. | |
## Jeans und Turnschuhe | |
Der offensichtlichste Unterschied bei den genannten Filmen von damals und | |
heute ist das Alter der Protagonisten: die Mitte des Lebens, vom | |
Midlife-Crisis-Erfinder Elliott Jaques noch arglos mit Mitte bis Ende 30 | |
konzipiert, hat sich inzwischen in ein schwammiges „45+“ verschoben, das | |
Anfang 60-Jährige mit einschließt, zumindest solange sie Jeans und | |
Turnschuhe tragen. Das Bild der „Mitte“ hat sich in eines der Grenze | |
verwandelt: die zwischen dem Alter, in dem man sich noch jung fühlt, und | |
dem, in dem das endgültig aufhört. | |
Was die bisherige Titelauswahl ebenso verrät, ist die vorwiegend männliche | |
(und weiße) Prägung des Konzepts. Selbst in Ensemble-Filmen wie Alan Aldas | |
„The Four Seasons“ (1981) oder Lawrence Kasdans „The Big Chill“ (1983),… | |
dem die Existenzkrisen ganzer Freundeskreise beschrieben werden, sind es | |
trotz alledem die männlichen Egos, die als beispielhaft herausgestellt | |
werden. Er sei nicht auf der Welt, um glücklich zu sein, bekam Marcello | |
Mastroianni an einer Stelle in „La dolce vita“ noch gesagt. | |
## Das Leben optimieren | |
Den Männern der 80er, eine große Zeit der filmischen Midlife-Crisis, könnte | |
ein solches Konzept des Sich-Abfindens kaum fremder sein. Ihnen geht es am | |
Ende stets darum, das Leben zu optimieren, wie man heute sagt. Also mit der | |
Bewältigung der Krise einen neuen Job, eine neue Frau oder zumindest einen | |
neuen Sinn im Leben zu entdecken. | |
Für den wenig angekratzten Glauben an die erfolgreiche Bewältigung der | |
Krise steht etwa die Westernkomödie „City Slickers – Die Großstadthelden�… | |
von 1991. Heute scheint so ziemlich alles an Ron Underwoods Film mit Billy | |
Crystal in der Hauptrolle weit altmodischer und angestaubter als noch die | |
katholische Existenzialisten-Künstlichkeit von Fellini. Angefangen von der | |
duldsamen Ehefrau, die freiwillig die eigenen Interessen zurückstellt, | |
damit der Mann in den Western-Urlaub ziehen kann, über die Vorstellung, | |
beim Viehtreiben zu männlichen Tugenden zurückzufinden, bis hin zu den | |
Lebensratschlägen eines sonnengegerbten, ledigen, dem Kino und eben nicht | |
der Realität entlehnten Cowboy-Vorbilds (Jack Palance). | |
Der damalige Erfolg des Films lässt sich mit dem Hinweis entschuldigen, | |
dass es sich um eine Komödie handelt, die die Unzulänglichkeit und das | |
Veraltete seiner Konzepte der Lächerlichkeit preisgibt – und damit auch ein | |
bisschen zerstört. | |
## Klischee vom mittelalten Mann | |
„City Slickers“ genießt zumindest in den USA noch den Ruf eines populären | |
Oldtimers. Anders als [4][„American Beauty“ (1999), seinerzeit ein auch von | |
der Kritik gefeierter Film über die Midlife-Crisis]. Und das nicht nur | |
wegen seines „gecancelten“ Hauptdarstellers Kevin Spacey. Zwar versteht | |
sich auch hier die Darstellung der Klischees vom mittelalten Mann, der ein | |
Angeberauto und Sex mit einer Jüngeren begehrt, als Satire. | |
Trotzdem hinterlässt die Inszenierung der Schulfreundin der Tochter des | |
Helden als Lolita-Variante heute einen schlechten Geschmack, genauso wie | |
die undankbare Rolle, in die Annette Bening hier als ehrgeizige und für den | |
Mann frustrierende Ehefrau schlüpfen muss. Mehr als Beschreibung einer | |
Midlife-Crisis taugt „American Beauty“ als Porträt von „American | |
creepiness“. | |
Zugleich markiert der Film von Sam Mendes einen Schlusspunkt. Kaum drei | |
Jahre später schlug Sofia Coppola in ihrem [5][„Lost in Translation“ | |
(2003)] einen anderen Ton an. Zwar kann auch Coppolas Film vor dem in Bezug | |
auf die Darstellung von Geschlechtern und anderen Kulturen sensibilisierten | |
Blick von heute nicht ganz bestehen. Aber er bietet die willkommene | |
Verabschiedung einer bestimmten Sorte von Krisenbewältigung: Bill Murray | |
muss hier nicht zu einer verlorenen Männlichkeit zurückzufinden, sondern er | |
darf resignieren. | |
In der melancholischen Resignation aber lässt sich ein anderer Weg raus aus | |
der Krise entdecken: Einsicht in die eigene Verletzlichkeit und damit eine | |
größere Offenheit für das Außen, für das Fremde, für die anderen. | |
## Befreiung vom Narzissmus | |
Von der Midlife-Crisis als Befreiung aus dem Narzissmus, aus der | |
Selbstbezogenheit erzählt auch Alexander Paynes „Sideways“ (2004), in dem | |
für Paul Giamatti als Möchtegern-Schriftsteller erst alles schiefgehen | |
muss, bevor etwas anderes gut gehen kann. Die Krise hat ihren Höhe- | |
beziehungsweise Tiefpunkt erreicht, wenn Giamatti als vom Leben und der | |
Männerfreundschaft tief enttäuschter Weinliebhaber seinen lang | |
aufgesparten, hochpreisigen Lieblingswein schließlich versteckt aus einem | |
Plastikbecher in einem Fastfood-Restaurant in sich hineinschüttet. Nicht | |
nur, dass die besten Pläne sämtlich gescheitert sind, auch die eigene Würde | |
scheint verloren. | |
Noch einmal eine neue Sicht machte der Däne [6][Thomas Vinterberg in seinem | |
Midlife-Krisen-Film „Der Rausch“ (2020)]. Mads Mikkelsen experimentiert | |
darin in einem Kreis von Freunden mit Alkohol, der hier als offene Frage | |
nach Sinn und Unsinn von Exzess abgehandelt wird. Lässt sich Schmerz damit | |
bewältigen? Einsamkeit? Ehrgeiz? Depression? Eine Antwort bleibt der Film | |
schuldig, aber der stolpernden Suche seines Helden verleiht er eine neue, | |
sehr menschliche Würde. | |
## Die Frau, die sich selbst neu erfinden muss | |
Und was ist mit den Frauen? Einen der schönsten und bis heute kaum | |
übertroffenen Filme über eine Frau in der Midlife-Krise stammt aus dem Jahr | |
1978 und von einem Mann: Paul Mazurskys „Eine entheiratete Frau“. Jill | |
Clayburgh spielt die Frau, die von ihrem Mann für eine Jüngere verlassen | |
wird und sich selbst neu finden muss. Nicht nur der 70er-Jahre-Realismus | |
macht den Film besonders, sondern auch die Tatsache, dass es am Ende doch | |
nicht einfach ein neuer Mann (Alan Bates) ist, der ihr neues Glück | |
beschert, sondern im Gegenteil, ihr Bestehen auf Selbstständigkeit. | |
Jüngere Filme wie „Unter der Sonne der Toskana“ (2003) oder [7][„Eat Pray | |
Love“ (2010)] folgen da immer noch dem alten Klischee, dass das Glück nur | |
mit neuer Liebe für komplett erklärt. | |
Ein charmantes Beispiel für den Wert der Offenheit, sowohl was die neue | |
Lebensform als auch das Filmende angeht, lieferte der italienische | |
Regisseur Silvio Soldini mit „Brot und Tulpen“ (2000). In den deutschen | |
Kinos wurde der „kleine“ Film zum Sleeper-Hit. | |
Die Heldin, eine brave Familienmama aus Pescara, findet sich bei einem | |
Ausflug von der eigenen Familie an einer Raststätte stehen gelassen. Statt | |
zu warten, macht sie sich in ihre Traumstadt Venedig auf und versucht dort | |
in bescheidenem, aber selbstgewähltem Rahmen neue Dinge. Es ist eine völlig | |
unspektakuläre Midlife-Crisis, deren Durchleben von einer letztlich | |
zuversichtlichen Heiterkeit geprägt ist, die ungeheuer ansteckend wirkt. | |
16 Apr 2024 | |
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## AUTOREN | |
Barbara Schweizerhof | |
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