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# taz.de -- Erzählungen des Autors Dénes Krusovszky: Als Vater zersägt wurde
> Schrecken und Verletzlichkeit: Terézia Mora hat die aufregenden
> Geschichten des ungarischen Schriftstellers Dénes Krusovszky übersetzt.
Bild: Dénes Krusovszky schreibt über die Zerbrechlichkeit der männlichen See…
„Wann ist ein Mann ein Mann?“, fragte Herbert Grönemeyer schon Mitte der
achtziger Jahre. Seither ist die Frage weder beantwortet, noch hat die
Diskussion darum abgenommen, auch weil die Kriege an den Rändern Europas
längst überkommen geglaubte Männlichkeitsmuster wiederbelebt haben.
Zugleich werden männlich gelesene Promis wie Harry Styles oder Tom Holland
in ihrer ambivalenten Inszenierung von Gender-Fluidität und sexueller
Identität als Vorreiter einer neuen Männlichkeit gefeiert.
Die neun verblüffenden Geschichten des Ungarn Dénes Krusovszky beweisen,
dass man die Frage der Fragilität des Männlichen auch abseits
identitätspolitischer Debatten augenöffnend diskutieren kann. Selten hat
man in einer so klaren wie nüchternen Sprache von der Scham des Versagens,
der Sehnsucht nach Zärtlichkeit und der Angst vor Einsamkeit von Männern
lesen können.
„Bevor mein Vater zersägt wurde“ ist eine der funkelnden Geschichten in
dieser umwerfenden Sammlung. Der kindliche Erzähler blickt darin auf den
Sommer zurück, in dem sein Vater den Job verlor, zu trinken begann und die
Streitereien seiner Eltern kein Ende nahmen. Er erinnert sich, wie der
Vater eines Morgens nicht mehr auf dem Sofa und seine Mutter in den Armen
eines anderen Mannes lag.
Der Vater will nicht aufgeben, weder den Alkohol noch seine Ehe und schon
gar nicht seine Kinder. Er besucht mit ihnen einen Zirkus, wo er sich
angetrunken als Freiwilliger für den Trick der zersägten Jungfrau zur
Verfügung stellt. Als er auf die Bühne steigt, werden die Kinder von ihrem
Großvater abgeholt. Der Erzähler aber wendet seinen Blick noch dem
betrunkenen Vater zu.
## Zersägte Jungfrau
„Der Kerl in Schwarz fing da gerade an, meinen Vater zu zersägen, der,
eingeschlossen in die Kiste, tobend seinen Kopf schüttelte und schäumend,
tierische Laute von sich gebend brüllte, und die Zuschauer johlten und
kreischten immer mehr, weil sie dachten, er spielte einfach nur so gut,
dass es ihm wehtat.“
Schrecken und Verletzlichkeit, Verbitterung und Sehnsucht, Staunen und
Melancholie – das sind die Themen, um die sich Krusovszkys Erzählungen
drehen. Das klingt nach Weltflucht, ist jedoch das komplette Gegenteil. Der
1982 geborene und vielfach ausgezeichnete Autor geht in alltäglichen Szenen
den Erschütterungen der Männlichkeit nach, die Landeier in der ungarischen
Pampa ebenso trifft wie Hipster in Manhattan.
Da ist der junge Mann, der in einer Hundestation arbeitet und plötzlich
einen Wurf Kätzchen loswerden muss. Die Skrupellosigkeit, die das verlangt,
kann er nicht aufbringen, lieber will er den flauschigen Jungkatzen
„einzeln über den Rücken streicheln, den Bauch kraulen, etwas sagen“.
Mit dem Unterschied zwischen Streicheln und Schlagen hätte sich auch der
Ich-Erzähler in „Tiefere Schichten“ auseinandersetzen sollen. Stattdessen
muss er sich mit der eigenen Schuld am Missbrauch einer jungen Frau durch
seinen Mitbewohner auseinandersetzen.
Eine andere Geschichte folgt zwei halbstarken Jungs, die nach einem
Fußballspiel zwischen die Fronten von Hooligans und Polizei geraten. „Die
Knie fingen zu zittern an, sie sahen sich an, hier sollten sie nicht sein,
das wussten sie.“ Der Ausweg, den der Ungar zumindest einem der beiden
Jungs offeriert, ist so magisch wie realistisch und erinnert an Großmeister
des Genres wie Jorge Luis Borges oder César Aira.
## Übersetzerin Terézia Mora
Es ist Terézia Mora zu verdanken, dass wir diese aufregenden Erzählungen in
der Hand halten. Die vielfach ausgezeichnete Autorin hat die klingende
Übersetzung dieser geschliffenen Prosa beigetragen. Ihr sicheres Gespür für
Sprache und Atmosphäre lässt Krusovszkys Erzählungen wie Bernsteine
leuchten, in denen so manche männliche Gewissheit eingeschlossen ist.
Lesend halten wir sie gegen das Licht, drehen und wenden sie.
In der Titelgeschichte „Das Land der Jungen“ sieht der Ich-Erzähler die
Sachen aus seinem alten Kinderzimmer noch einmal durch, bevor sie in die
Kleiderspende wandern. Eine blaue Hose lässt ihn an einen Tag denken, an
dem er seine damalige Freundin ins Krankenhaus begleitete, wo sie einen
Schwangerschaftsabbruch vornehmen ließ. Als er seine kraftlose Freundin
abholte, wurde ihm die Härte des Lebens klar.
„Ich bin ein Mann, jetzt bin ich zu einem geworden und nicht früher, als
wir Liebe miteinander machten, sondern jetzt, da ich einsam und dumm auf
dem zugigen Flur der Abteilung für Frauenheilkunde stehe.“ Dénes
Krusovszkys Land der Jungen und Männer ist eines, in dem Ambivalenz die
Eindeutigkeit schlägt und Verletzlichkeit die Gewalt nicht ablöst, sondern
neben sie tritt. Die Wirklichkeit erhält eine Doppelbödigkeit, die
Überzeugungen infrage stellt und Männlichkeit neu denken lässt. Über die
Konfrontation mit den Gegebenheiten führt der Ungar seine Figuren und uns
Leser:innen auf unbekanntes Terrain.
14 May 2024
## AUTOREN
Thomas Hummitzsch
## TAGS
wochentaz
Literatur
Mannsein
Identitätspolitik
Einsamkeit
Melancholie
Selbstoptimierung
Schwerpunkt Internationaler Tag der Roma
taz.gazete
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