| # taz.de -- Klaus Lederer über Linkenparteitag: Gretchenfrage Russland | |
| > Die Haltung der Linken im Ukraine-Konflikt wird entscheidend sein, so der | |
| > Senator. Doch auch in anderen Fragen herrscht Uneinigkeit in seiner | |
| > Partei. | |
| Bild: Gegen Aufrüstung, für Waffenlieferungen an die Ukraine: Klaus Lederer i… | |
| taz: Herr Lederer, warum tut sich Ihre Partei so schwer, ihr Verhältnis zu | |
| Russland zu klären? | |
| Klaus Lederer: Der Grundfehler ist, dass wir in großen Teilen unserer | |
| Partei zu lange den fortschreitenden Umbau der russischen Gesellschaft zu | |
| einer repressiven Autokratie und die nachhaltige Kooperation des | |
| Putin-Regimes mit dem globalen Rechtsextremismus ignoriert haben. Und wir | |
| haben das russische Streben nach Destabilisierung liberaldemokratischer | |
| Verhältnisse in anderen Ländern nicht ausreichend zur Kenntnis genommen. | |
| Nicht einmal die Liquidierung von Regimekritikern im Ausland hat bei uns zu | |
| einem Aufschrei geführt. | |
| Die SPD will sich selbstkritisch mit ihrer Russland-Politik befassen. Muss | |
| die Linkspartei das nicht auch tun? | |
| Da bleibt uns gar nichts anderes übrig. Die russische Politik der | |
| vergangenen 15 Jahre hat keinen Zweifel daran gelassen, dass sie frühere | |
| sowjetische Republiken und Regionen, die versuchen, eigene Wege zu gehen, | |
| auch militärisch zurück auf den Moskauer Pfad der Tugend bringt. Wir haben | |
| das nicht wahrnehmen wollen. Damit waren wir nicht alleine, aber das macht | |
| es nicht besser. | |
| Eine Gruppe um Sahra Wagenknecht und Sevim Dagdelen will verhindern, dass | |
| der [1][Linken-Parteitag am Wochenende] beschließt, Russland verfolge eine | |
| „autokratische Großmachtideologie“ und eine „imperialistische Politik“… | |
| sieht den Angriff auf die Ukraine als zwar zu verurteilende, aber doch | |
| nachvollziehbare Aktion von Putin, der sich von der Nato eingekreist sehe. | |
| Verstehen Sie diese Logik? | |
| Diese Sichtweise kommt einer Bankrotterklärung gleich. Letztlich bleibt in | |
| dieser Sicht nur die Feststellung übrig, dass Russland zwar einen | |
| völkerrechtswidrigen Angriffskrieg begonnen habe, aber die USA und ihre | |
| Verbündeten hätten das ja auch schon etliche Male getan. Wir haben diese | |
| anderen Kriege stets zu Recht heftig kritisiert. Sie an dieser Stelle | |
| aufzuführen, dient aber nur der Relativierung des russischen Überfalls auf | |
| die Ukraine. Auffällig ist, dass keine Forderungen an Russland gestellt | |
| werden. Am Ende bleibt der Eindruck des Victim Blaming. Wenn der Parteitag | |
| diesen Änderungsantrag annimmt, hat sich aus meiner Sicht jeder | |
| demokratisch-sozialistische Anspruch der Partei erledigt. Dahinter verbirgt | |
| sich eine linksreaktionäre „Friedensliebe“, die letztlich in der | |
| Kapitulation vor der russischen Expansionspolitik mündet. | |
| Wagenknecht wirbt für verstärkte diplomatische Bemühungen. | |
| Der Ruf nach Diplomatie ist völlig richtig, aber er muss auch eine Chance | |
| haben, erhört zu werden. Russland ist derzeit nicht bereit, den Krieg auf | |
| dem Verhandlungsweg zu beenden. Das zur Kenntnis zu nehmen, ist eine | |
| Grundlage dafür, sein antimilitaristisches Profil auf die Höhe der Zeit zu | |
| bringen. | |
| Ist ein Nein zu Waffenlieferungen an die Ukraine für Linke eine vertretbare | |
| Position? | |
| Wer die demokratische Entscheidung der ukrainischen Bevölkerung gegen eine | |
| Unterwerfung unter die russische Vormundschaft nicht respektieren will, | |
| betrachtet Menschen nicht als Subjekte, sondern als Insassen imperialer | |
| Interessensphären und als eine Art Verschiebemasse großer Mächte. Für | |
| demokratische Sozialisten ist das inakzeptabel. Wir als Linke müssen mehr | |
| tun, als abstrakte geopolitische Erwägungen anzustellen, in denen die | |
| konkreten Menschen mit ihren Bedürfnissen, Befindlichkeiten, Wünschen und | |
| Ängsten nicht mehr vorkommen. | |
| In einem Diskussionsbeitrag, den Sie mit Bodo Ramelow sowie der Spitze der | |
| Bremer Linken verfasst haben, heißt es, dass die Linkspartei | |
| friedenspolitisch scheitern wird, wenn sie Waffenlieferungen an die Ukraine | |
| ablehnt. Warum? | |
| Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass unsere gut begründete Grundregel, | |
| Waffenlieferungen in Krisengebiete abzulehnen, auf die aktuelle Situation | |
| des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine ganz offensichtlich nicht | |
| recht passen will. Die Antwort auf den russischen Überfall kann nicht sein, | |
| den Ukrainerinnen und Ukrainern nahezulegen, sich zu ergeben und sich in | |
| die russische Interessensphäre einordnen zu lassen, damit „Frieden“ | |
| herrscht. In der akuten Situation ist Hilfe zwingend, und eine | |
| funktionierende Verteidigungsarmee auch. Und trotz alledem müssen wir daran | |
| festhalten, dass wir letztlich eine Welt ohne Waffen, eine Welt ohne | |
| Atombomben, ein zivilisiertes Miteinander im Rahmen globaler Regeln | |
| brauchen, die durch den russischen Angriff leider fundamental infrage | |
| gestellt worden sind. Aber ja, es ist verheerend, dass derzeit überall auf | |
| der Welt die Alternative zu Abrüstung und zu globaler Verständigung darin | |
| gesucht wird, die Waffenarsenale massiv aufzustocken. Daher halte ich das | |
| [2][100-Milliarden- Aufrüstungsprogramm für die Bundeswehr] so für falsch. | |
| Bei Flucht und Migration, Klimapolitik, Corona und nun dem Ukrainekrieg hat | |
| die Linkspartei keine einheitlich wahrnehmbare Position. Was bleibt da | |
| noch? | |
| Nach dem Zusammenbruch des poststalinistischen Parteibürokratismus ist die | |
| PDS 1989/90 mit dem Anspruch gestartet, die Vorstellung eines | |
| demokratischen Sozialismus für sich neu zu entwickeln. Im Zentrum stand | |
| dabei, sich für eine bessere Zukunft für die Menschen, ein besseres Leben | |
| für Alle einzusetzen. Das war der zentrale programmatische Ankerpunkt bei | |
| der Fusion mit der WASG vor 15 Jahren, aus der die Linke entstanden ist. | |
| Heute müssen wir diskutieren, ob dieses Ziel demokratischer Sozialismus | |
| weiterhin die Basis des gemeinsamen Handelns sein soll. Denn in der Praxis | |
| ist das nicht mehr klar erkennbar. Die Linke kreist um sich selbst und | |
| stagniert innerhalb ihrer eigenen Widersprüche, statt sie als | |
| Widerspiegelung gesellschaftlicher Zustände und Interessen zu begreifen. | |
| Ja, sie fürchtet gesellschaftliche Widersprüche, statt sie produktiv zu | |
| machen. Abstrakte Prinzipien scheinen wichtiger als konkrete Politik, in | |
| der auch Fehler passieren können. Aber nur so lernen wir, verändern wir | |
| Kräfteverhältnisse, haben eine praktische Relevanz im politischen | |
| Koordinatensystem. | |
| Bisher wurde die verschiedenen Haltungen mit Formelkompromissen und | |
| taktischen Bündnissen unter einen Hut gebracht. Hat die Linkspartei eine | |
| Zukunft, wenn sie weiterhin der Devise folgt: Bloß keine Spaltung? | |
| Der Versuch, unvereinbare Positionen zusammenzubringen, ist zulasten der | |
| politischen Klarheit und Handlungsfähigkeit gegangen. Emanzipation ist aus | |
| demokratisch-sozialistischer Perspektive unteilbar, zumal sich ja die | |
| unterschiedlichen Formen der Ungleichheit und Benachteiligung in der | |
| modernen Gesellschaft oftmals überschneiden und verstärken. Freiheit und | |
| Soziales müssen zusammengedacht, dürfen nicht gegeneinander ausgespielt | |
| werden. Es mag sein, dass sich mit einem linksreaktionären Programm, das im | |
| Kern aus der einfachen Botschaft „Brot für alle und Frieden mit Russland“ | |
| besteht, in Zeiten massiver Krisen und sozialer Verwerfungen eine gewisse | |
| Mobilisierung erzeugen lässt. Aber wer mit Autokraten liebäugelt und | |
| versucht, reaktionäre und rückwärtsgewandte Gesellschaftsvorstellungen in | |
| der Bevölkerung populistisch auszubeuten, hat mit | |
| demokratisch-sozialistischer Politik nichts mehr zu tun. Da wird sich die | |
| Partei entscheiden müssen. | |
| Hat die Linkspartei die Kraft, sich zu entscheiden? | |
| Das weiß ich nicht. Ich werde alles dafür tun, dass dieser Klärungsprozess | |
| erfolgt. Es kann sein, viele glauben, allein mit Appellen an | |
| Geschlossenheit und der Konzentration auf den „Markenkern soziale | |
| Gerechtigkeit“ könne man die Partei wieder aufrichten. Das kann nicht | |
| funktionieren. Dann würde sich das Zerfasern und Abbröckeln in alle | |
| Richtungen fortsetzen. Die Linke würde sukzessive zerfallen. Ein solches | |
| „Weiter so“ werden und sollten wir nicht mehr jahrelang durchstehen. | |
| Was haben Sie dagegen, wenn flügelübergreifend verkündet wird, die Linke | |
| müsse ihr Profil als „sozialistische Gerechtigkeitspartei“ schärfen? | |
| Der Begriff „Gerechtigkeit“ greift zu kurz, denn er markiert nicht den | |
| wesentlichen Unterschied zwischen linker und rechter Politik, aus dem sich | |
| alles andere ergibt. Was gerecht ist, ist gesellschaftlich umkämpft. Rechte | |
| halten auch „Arbeit zuerst für Deutsche“ für gerecht. Die zentrale | |
| Scheidelinie zwischen links und rechts ist der Kampf um Gleichheit- – und | |
| zwar unabhängig von Stand, von Herkunft, von Geschlecht, von Hautfarbe, von | |
| Einkommen. Linke Politik folgt einer horizontalen, egalitären Vision von | |
| Gesellschaft, rechte Politik dagegen einer vertikalen, hierarchischen. | |
| Was erwarten Sie von dem Parteitag am Wochenende? | |
| Der Parteitag kann nicht die Antworten auf all die grundsätzlichen Fragen | |
| finden, die sich in den vergangenen Jahren aufgetürmt haben. Diese | |
| Erwartung wäre eine völlige Überladung. Wenn es gut läuft, was keineswegs | |
| sicher ist, werden wir uns auf Verfahren verständigen, wie Lösungen für die | |
| inhaltlichen, strukturellen und strategischen Probleme gefunden werden | |
| können. Wir haben vielleicht noch eineinhalb Jahre Zeit, um das zu | |
| bewerkstelligen. Die Europawahl 2024 könnte ein entscheidendes Datum sein, | |
| bis zu dem uns das gelungen sein muss. Viel Zeit ist das nicht mehr. | |
| 22 Jun 2022 | |
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