# taz.de -- Die Linkspartei wird 15 Jahre alt: Nicht in Feierlaune | |
> Die Linkspartei begeht ihren 15. Geburtstag. Vom Krisenparteitag Ende | |
> Juni in Erfurt erhofft man sich einen neuen Aufbruch. | |
Bild: Geburtstag in der größten Krise ihrer Geschichte: Die Linke | |
BERLIN taz | Es ist ein Jubiläum, bei dem keine rechte Feststimmung | |
aufkommen will. An diesem Donnerstag feiert die Linke ihren 15. Geburtstag, | |
mitten in der größten Krise ihrer Geschichte. Von den großen Hoffnungen von | |
einst ist nicht viel geblieben. Statt vereint die gesellschaftlichen | |
Verhältnisse in der Bundesrepublik zum Tanzen zu bringen, droht sich die | |
Partei in den Untergang zu streiten. Nach einer Abfolge von Wahlniederlagen | |
wird sich auf dem Bundesparteitag Ende Juni wohl entscheiden, ob es für sie | |
noch eine Zukunft gibt. | |
Katina Schubert war dabei, als sich auf dem Fusionsparteitag in Berlin am | |
16. Juni 2007 die ostdeutsch geprägte PDS mit der westdeutsch dominierten | |
WASG zusammenschloss. „Ich durfte damals vom Arbeitspräsidium aus | |
feststellen: ‚Hiermit ist die Partei Die Linke gegründet.‘“, erinnert si… | |
[1][die heute 60-jährige Berliner Landesvorsitzende] gegenüber der taz. | |
„Das war ein wichtiger Moment des Aufbruchs.“ | |
Vor allem war es eine Versammlung mit viel Pathos. „Wir hätten vor der | |
Geschichte versagt, wenn wir das nicht zustande bekommen hätten!“, rief | |
Oskar Lafontaine aus, der zu einem der beiden Vorsitzenden gewählt wurde. | |
In seiner Rede schlug er einen weiten Bogen von Rosa Luxemburg und Karl | |
Liebknecht bis zu Willy Brandt, die er allesamt für die neugegründete | |
Partei vereinnahmte. | |
Die Linkspartei stehe „in der Tradition der deutschen Arbeiterbewegung“, so | |
Lafontaine damals. Sie habe einen „historischen Auftrag“: „Wir wollen | |
mitwirken am Aufbau des Sozialismus des 21. Jahrhunderts“, verkündete er | |
unter tosendem Beifall. | |
## Aufbruchstimmung übertünchte Konflikte | |
Die Rede von Lothar Bisky, dem anderen Gründungsvorsitzenden, war weniger | |
kraftstrotzend. Zwar bekundete auch er selbstbewusst: „Wir sind angetreten, | |
die politischen Kräfteverhältnisse hier im Land und in Europa zu | |
verändern.“ Aber dem ostdeutschen Intellektuellen war die Diskrepanz | |
zwischen Anspruch und Wirklichkeit, mit der Linke von jeher zu kämpfen | |
haben, nur allzu bewusst. | |
„Ach, hätten wir Linken doch in der kategorialen Wüste der Besserwisserei | |
ein Stück jener sinnlichen Vorstellungskraft schon zurückerobert, die für | |
andere Menschen nachvollziehbar den Lebensgenuss vor den Besserwisserfrust | |
stellt“, sagte Bisky nachdenklich. „Noch haben wir das nicht.“ | |
Zur politischen Kultur in einer pluralen Partei gehöre „das Zuhören, den | |
Andersdenkenden zu achten, gehört eine Kommunikationsfreude, die geistreich | |
argumentiert und transparent bleibt“, mahnte er. „Eines brauchen wir in der | |
neuen Partei bestimmt nicht: Unterstellungen und Denunziationen.“ | |
Der weitsichtige Bisky und rauflustige Lafontaine, der auch der | |
Bundestagsfraktion vorstand, prägten zusammen mit Co-Fraktionschef Gregor | |
Gysi die erfolgreiche Anfangszeit der Linkspartei. Ihnen gelang es noch, | |
zusammenzuhalten, was nur schwer zusammenzuhalten ist. Die | |
Aufbruchsstimmung und Wahlerfolge der ersten Jahre übertünchten viele | |
ungelöste Konflikte, die im Gründungsprozess ausgeblendet worden waren, | |
weil es damals ein kollektives Bewusstsein gab, es nur gemeinsam schaffen | |
zu können. | |
## „Kein Recht, diese linke Partei zu verspielen“ | |
Das schien sich auszuzahlen: Im Westen zog die Linkspartei in ein | |
Landesparlament nach dem anderen ein, im Osten konnte sie an die | |
Über-20-Prozent-Ergebnisse der PDS anknüpfen. Bei der Bundestagswahl 2009 | |
kam die Partei mit 11,9 Prozent zweistellig durchs Ziel – 8,7 Prozent holte | |
sie im Westen, 28,5 Prozent im Osten. Davon kann sie heute nur noch | |
träumen. | |
2010 traten Bisky und Lafontaine von der Parteispitze ab. In der Folgezeit | |
zerfiel das einigende Zentrum, die Partei begann auseinanderzudriften. Fünf | |
Jahre nach der Gründung konstatierte Gregor Gysi 2012 auf dem Parteitag in | |
Göttingen: „Unser größtes Ziel ist es, eine solidarische Gesellschaft zu | |
erreichen, und wir selber führen vor, nicht einmal untereinander | |
solidarisch sein zu können.“ Möglicherweise sei es „besser, sich fair zu | |
trennen als weiterhin unfair, mit Hass, mit Tricksereien, mit üblem | |
Nachtreten und Denunziation eine in jeder Hinsicht verkorkste Ehe zu | |
führen“. Zehn Jahre später erscheint die Situation nun verkorkster denn je. | |
Die beiden Gründungsvorsitzenden gehören inzwischen nicht mehr der | |
Linkspartei an: Lothar Bisky [2][starb 2013 viel zu früh], Oskar Lafontaine | |
[3][ist im März dieses Jahres ausgetreten]. Das Ende eines langen | |
Entfremdungsprozesses. 2012 hatte Lafontaine seinen letzten konstruktiven | |
Auftritt, als er in Göttingen auf Gysi antwortete: „Wir haben kein Recht, | |
diese linke Partei zu verspielen!“ | |
„Persönliche Auseinandersetzungen, Nachtreten und den Anderen schlecht | |
machen, das wird überhaupt nicht belohnt“, schrieb Lafontaine damals den | |
Delegierten ins Stammbuch. Sie haben nicht auf ihn gehört. Und Lafontaine | |
selbst und seine Partnerin Sahra Wagenknecht erst recht nicht. | |
## Nicht viel mehr als ein Rohbau | |
Bodo Ramelow hat 2007 als Fusionsbeauftragter der PDS entscheidend zur | |
Gründung der Linkspartei beigetragen. Der heutige Ministerpräsident | |
Thüringens spricht von einem „Rohbau“, den er damals abgeliefert habe. Das | |
Problem sei, dass sich jedoch nicht um den Innenausbau gekümmert worden | |
sei. | |
Man habe es „zugelassen, dass in diesem Rohbau jeder sein Appartement baut, | |
aber der Ausgang jedes Appartements in eine andere Richtung geht, man nicht | |
einmal ein gemeinsames Treppenhaus hat, sich nicht einmal mehr verständigen | |
muss, wer für die Treppenreinigung zuständig ist, wer die Hausordnung | |
macht, man sich nicht einmal mehr begegnet, nicht einmal mehr am | |
Müllplatz“, sagte er in einem [4][am Mittwoch veröffentlichten Interview] | |
der früheren Parteizeitung nd.Der Tag. | |
Mittlerweile erinnern sich Lafontaine, Wagenknecht und ihre Gefolgschaft | |
nicht einmal mehr an den einstigen Gründungskonsens, sondern behaupten, der | |
hätte nur aus dem Eintreten für soziale Gerechtigkeit und der Ablehnung von | |
Krieg bestanden. Doch das ist eine gravierende Verkürzung. So definierte | |
Lafontaine selbst 2007 die Linkspartei zudem als „Partei der demokratischen | |
Erneuerung“. Und nicht nur das: „Wir wollen auch, und das wird den einen | |
oder anderen Beobachter überraschen, die Partei der ökologischen Erneuerung | |
sein.“ | |
Die Linkspartei hatte bei ihrem Start einen klaren gesellschaftspolitischen | |
Kompass, der mit „linkskonservativen“ Positionen nicht vereinbar war. | |
„Gemeinsam wollen wir eine Partei, wie es sie in Deutschland noch nicht gab | |
– Linke einigend, demokratisch und sozial, ökologisch, feministisch und | |
antipatriarchal, offen und plural, streitbar und tolerant, antirassistisch | |
und antifaschistisch, eine konsequente Friedenspolitik verfolgend“, ist in | |
den [5][„Programmatischen Eckpunkten“] zu lesen. | |
Auf diese Grundlage hatten sich die PDS und die WASG Ende März 2007 auf | |
parallel stattfindenden Parteitagen in den Dortmunder Westfalenhallen | |
verständigt. Diese Eckpunkte waren die Basis für den Gründungsparteitag im | |
Juni 2007, also der Gründungskonsens. | |
## Hoffnung auf neuen Aufbruch | |
„Jetzt brauchen wir einen neuen Aufbruch, um uns aus der Krise zu kämpfen“, | |
sagt die Berliner Linksparteichefin Katina Schubert der taz. Interne Macht- | |
und Strömungskämpfe müssten endlich eingestellt werden. „Wir müssen einfa… | |
gute Politik machen“, fordert Schubert, die auf dem Erfurter Parteitag | |
erneut als stellvertretende Bundesvorsitzende kandidieren will. Klingt | |
einfach, ist es aber nicht. | |
Bereits Mitte Mai hatte Schubert zusammen mit den Landesvorsitzenden aus | |
Bremen, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen, also den anderen drei | |
Bundesländern, in den die Linkspartei an der Regierung beteiligt ist, | |
[6][einen Brandbrief geschrieben], in dem eine programmatische wie | |
strukturelle Erneuerung der Partei gefordert wird. Nun hat Schubert | |
gemeinsam mit mehr als 60 Mitstreiter:innen [7][einen Aufruf] verfasst, | |
den sie selbst als „Intervention“ bezeichnen. | |
„Die Chancen für die weitere Existenz und ein Wiedererstarken des linken | |
Parteiprojektes sind da“, heißt es in dem Papier, das der taz vorliegt. | |
Doch Voraussetzung dafür sei, dass die Linkspartei „eine verlässliche | |
Stimme für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Abrüstung, | |
Klimagerechtigkeit, Feminismus und LGBTIQ sowie gegen Rechtsradikalismus | |
und Rassismus“ sei. | |
Die Zukunft lasse sich nur gewinnen, „wenn wir die gemeinsamen Erfahrungen | |
von Lohnarbeit, Existenzkampf, Armut, Ausgrenzung und Gewalt nach vorne | |
stellen: die der lesbischen Kassiererin und des türkischstämmigen | |
VW-Beschäftigten, der jungen Klimaaktivistin und der Familie, die in einem | |
unsanierten Plattenbau lebt“. | |
## Richtungsentscheidung notwendig | |
Dabei gehe es auch um eine Richtungsentscheidung: „Steht Die Linke für eine | |
Partei, die sich im Wesentlichen auf Sozialstaat und soziale Kernpunkte | |
beschränkt, oder für eine sozialistische Politik, die die ökologische Frage | |
als eine der klassenpolitischen Auseinandersetzung der nächsten Jahre ernst | |
nimmt?“ Die eindeutige Antwort: „Linke Politik auf der Höhe der Zeit | |
benötigt eine Partei, die erkennt, dass die ökologische Krise | |
Klassenkonflikte verschärft, und die die ökologische Transformation nicht | |
bremst, sondern als grundlegenden sozialökologischen Systemwechsel | |
vorantreibt.“ | |
Zu den Unterzeichner:innen gehören der frühere Parteivorsitzende Bernd | |
Riexinger, die stellvertretenden Parteivorsitzenden Ates Gürpınar, Jana | |
Seppelt und Martina Renner, Bundesschatzmeister Harald Wolf, mehrere | |
Landesvorsitzende, Bundestags- und Landtagsabgeordnete, aber auch | |
Gewerkschafter:innen wie der Kasseler VW-Betriebsrat Carsten Büchling | |
oder der Frankfurter IG Metall-Bevollmächtigte Michael Erhardt. | |
Ebenfalls mit dabei sind Intellektuelle wie der Politikwissenschaftler | |
Ulrich Brand, der Soziologe Stephan Lessenich oder der | |
Sozialwissenschaftler Alex Demirovic. Ohne dass er explizit Erwähnung | |
findet, ist ihre „Initiative“ als Antwort auf [8][den Ende Mai | |
veröffentlichten Aufruf „Für eine populäre Linke“] zu verstehen, deren | |
prominenteste Erstunterzeichnerinnen die Bundestagsfraktionsvorsitzende | |
Amira Mohamed Ali und deren Vorgängerin Sahra Wagenknecht sind. | |
Die neue Linkspartei werde „eine Linke mit Eigensinn und Lebensmut, mit | |
Leidenschaft und Vernunft, mit Menschen aus unterschiedlichen | |
Denktraditionen, anderen politischen Erfahrungen, durchaus verschiedenen | |
Kulturen“, sagte Lothar Bisky auf dem Gründungsparteitag 2007. Der | |
santfmütige Reformer sah darin eine große Chance. Aber so ganz sicher war | |
er sich nicht: „Ich hoffe, unser Denken bleibt beweglich.“ | |
Daran bestehen nach 15 Jahren berechtigte Zweifel. Aber wer weiß, | |
vielleicht ist es ja vorschnell, der Partei die Totenglöckchen zu läuten. | |
Bedarf an einer ausstrahlungsfähigen Partei links von SPD und Grünen gäbe | |
es schließlich sicherlich. | |
16 Jun 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Katina-Schubert-zur-Krise-der-Linken/!5853403 | |
[2] /Nachruf-auf-Lothar-Bisky/!5061299 | |
[3] /Lafontaine-tritt-aus-Linkspartei-aus/!5838753 | |
[4] https://www.nd-aktuell.de/artikel/1164562.linke-bodo-ramelow-wir-haben-kein… | |
[5] https://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/ADS/Programmatische_Eckpu… | |
[6] /Brandbrief-von-Linken-Landesvorsitzenden/!5854257 | |
[7] https://www.links-bewegt.de/de/article/568.die-linke-wird-als-demokratisch-… | |
[8] /Vor-dem-Parteitag-der-Linken/!5855024 | |
## AUTOREN | |
Pascal Beucker | |
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