# taz.de -- Volksentscheid DW-Enteignen: „Ablenkungsmanöver ohne Umsetzung“ | |
> Giffey und Wegner wollen die Vergesellschaftung endgültig verschleppen. | |
> Ein Gastbeitrag von Linken-Politiker:innen Niklas Schenker und Elif | |
> Eralp. | |
Bild: Der Wille zur Vergesellschaftung ist ungebrochen: Hier beim „Karneval d… | |
In ihrem Koalitionsvertrag haben CDU und SPD ein | |
[1][Vergesellschaftungsrahmengesetz] vereinbart. Das soll einen | |
Rechtsrahmen und qualitative Indikatoren für eine Vergesellschaftung in | |
verschiedenen Feldern der Daseinsvorsorge (Wohnen, Energie, Wasser) sowie | |
Grundsätze der Entschädigung definieren. Für eine Vergesellschaftung reicht | |
ein abstrakter Rahmen aber nicht aus. Für jeden Anwendungsfall braucht es | |
ein eigenes Umsetzungsgesetz. Und den Rahmen dafür gibt Artikel 15 im | |
Grundgesetz bereits vor. Ein Rahmengesetz ist deshalb unnötig. | |
Nach Beschlussfassung will Schwarz-Rot gegen ihr eigenes Rahmengesetz eine | |
Normenkontrollklage einreichen und es so vor das Bundesverfassungsgericht | |
bringen. Um die Prüfung zu ermöglichen, soll das Gesetz erst zwei Jahre | |
nach Beschlussfassung in Kraft treten. Damit ist fraglich, ob in dieser | |
Legislatur überhaupt ein Gesetz kommt. Keine Akteurin im Senat wird dafür | |
kämpfen. | |
Weil ein Rahmen aber noch keine Vergesellschaftung macht, ist vor dem | |
Bundesverfassungsgericht gar nicht viel zu gewinnen. Bestenfalls kann das | |
Gericht die grundsätzliche Landeskompetenz feststellen. An der fehlenden | |
Kompetenz scheiterte zwar noch der Mietendeckel, doch selbst | |
Kritiker*innen und auch die Expert*innenkommission sehen diese | |
bei einer Vergesellschaftung als gegeben an. Ehin Umsetzungsgesetz für die | |
Vergesellschaftung von Wohnraum würde dennoch wieder vor Gericht landen. | |
Mit Verweis auf den [2][Mietendeckel] versucht Schwarz-Rot den Eindruck zu | |
vermitteln, es handele sich bei der Vergesellschaftung von Wohnraum um ein | |
praktisch unmögliches Vorhaben. Dabei wurde kein anderes Vorhaben in Berlin | |
in den vergangenen Jahren so intensiv rechtlich geprüft: 15 Monate (!) | |
Prüfung durch die Innenverwaltung, unzählige Gutachten (die meisten | |
positiv), eine exzellent besetzte Expert*innenkommission und ein von | |
der Fachwelt gelobter Gesetzentwurf von der Initiative Deutsche Wohnen und | |
Co enteignen (DWE) – es ist ausreichend Substanz produziert, um die | |
Vergesellschaftung von Wohnraum in ein Gesetz zu gießen. Zumindest, wenn | |
der politische Wille dafür da ist. | |
## Unnötig verkompliziert | |
Es scheint zunächst verlockend, die Vergesellschaftung auf mehr Bereiche | |
als Wohnen auszudehnen, wie von Schwarz-Rot geplant. Die gesamte | |
Infrastruktur der Daseinsvorsorge muss der Profitlogik entzogen werden. Das | |
ist aber mit Sicherheit nicht der Plan einer CDU-geführten „Großen | |
Koalition“. Stattdessen wird das Anliegen so verkompliziert. Einheitliche | |
qualitative Indikatoren, die gleichermaßen für Felder wie Wohnen, Energie | |
und Wasser gelten, werden nur schwer definiert werden können. | |
Außerdem rückt die schwarz-rote Koalition damit vom zentralen Vorhaben des | |
Volksentscheids ab, die Wohnungen aller privaten, profitorientierten | |
Unternehmen, die mehr als 3.000 Wohnungen besitzen, zu vergesellschaften. | |
Dieses quantitative Kriterium ergibt auch Sinn: Zusammen mit den | |
landeseigenen und genossenschaftlichen Wohnungen würde der Anteil Berlins | |
am Wohnungsmarkt 50 Prozent betragen – ebenso viele Haushalte haben | |
Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein. | |
Welche qualitativen Indikatoren Schwarz-Rot anlegen möchte, lässt der vage | |
formulierte Vertrag offen. Vorstellbar wäre etwa eine systematische | |
Missachtung des Mietrechts oder eine zu geringe Investitionsquote. Nur | |
werden diese Indikatoren mangels passender Instrumente zur | |
Wohnraumerfassung, wie dem Mietenkataster, schwer messbar sein. Auch führt | |
das weg vom eigentlichen Zweck der Vergesellschaftung: Sie ist keine | |
„Strafe“ für böse Vermieter*innen, sondern soll weite Teile des | |
Wohnungsmarktes in Gemeineigentum überführen. | |
Selbst wenn alle diese Hürden genommen werden, macht Schwarz-Rot die | |
„Verhältnismäßigkeit“ zur Grundvoraussetzung für eine Vergesellschaftun… | |
CDU und SPD könnten dann darauf beharren, Vergesellschaftung nur als | |
„letztes Mittel“ anzuwenden. Dann müsste bewiesen werden, dass bereits alle | |
anderen Mittel ausgeschöpft wurden. Eine solch restriktive Auslegung ist | |
juristisch nicht nötig und würde das Vorhaben endgültig verunmöglichen. CDU | |
und SPD würden genug Argumente einfallen, warum noch lange nicht alle | |
Instrumente ausgeschöpft sind. | |
## Braucht es einen neuen Volksentscheid? | |
SPD, Grüne und Linke haben in ihren Sondierungen lange über | |
Vergesellschaftung verhandelt. Als Kompromiss mit der SPD wurde sich zwar | |
ebenfalls auf die Einführung eines Rahmengesetzes verständigt – aber nur | |
unter der Maßgabe, dass zeitnah auch ein Umsetzungsgesetz für die | |
Vergesellschaftung von Wohnraum erarbeitet und beschlossen wird. | |
Giffey und Wegner [3][wollen den Volksentscheid jedoch ins Leere laufen | |
lassen]. Das Rahmengesetz ist ein reines Ablenkungsmanöver ohne | |
Umsetzungsperspektive. Was also tun? Die Initiative könnte einen zweiten | |
Volksentscheid starten, der diesmal bei Erfolg rechtlich bindend ist. Dazu | |
müsste sie einen konkreten Gesetzentwurf zur Abstimmung stellen, statt wie | |
zuvor den Senat aufzufordern, ein Gesetz zu erarbeiten. | |
Das erfordert viel Kraft und Ausdauer. Und auch dann könnte Schwarz-Rot | |
sabotieren und die Initiative nach der ersten Stufe der | |
Unterschriftensammlung vor das Verfassungsgericht zerren. Das hatte der | |
damalige SPD-Innensenator Andreas Geisel schon beim ersten Volksentscheid | |
versucht, war aber am Widerstand von Linke und Grünen in der Regierung | |
gescheitert. | |
Wie alles im Leben hat aber auch ein Rahmengesetz, wenn es denn überhaupt | |
kommt, etwas Gutes. Es wird Zeit, dass wir eine Vergesellschaftung auch für | |
andere zentrale Lebensbereiche wie Energie, Gesundheit, Bildung, Kultur und | |
Mobilität auf die Tagesordnung setzen. Die Berliner Linke sollte zusammen | |
mit einer breiten Vergesellschaftungsbewegung ein Transformationsprogramm | |
für Berlin entwickeln. | |
Schwarz-Rot muss sich auf viel Gegenwind gefasst machen – im Parlament und | |
auf der Straße. Und wer weiß, vielleicht bekommen es Giffey und Wegner dann | |
bald mit vielen Vergesellschaftungs-Initiativen zu tun. Wir wünschen es | |
ihnen und unserer Stadt von Herzen. | |
21 Apr 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Enteignung-unter-Schwarz-Rot-in-Berlin/!5919640 | |
[2] /Bundestagsdebatte-zu-Mietenpolitik/!5889856 | |
[3] /Wahlkampfhilfe-fuer-Franziska-Giffey/!5909066 | |
## AUTOREN | |
Elif Eralp | |
Niklas Schenker | |
## TAGS | |
Volksbegehren Deutsche Wohnen enteignen | |
Gastbeitrag | |
Schwerpunkt Wahlen in Berlin | |
Mieten | |
Volksbegehren Deutsche Wohnen enteignen | |
Berlin-Lichtenberg | |
Schwarz-rote Koalition in Berlin | |
SPD-Basis | |
Schwerpunkt Wahlen in Berlin | |
Berlin | |
Berlin | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Enteignung großer Wohnungskonzerne: Ein milderes Mittel gibt es nicht | |
Vergesellschaftung von Wohnraum ist nicht nur machbar, sondern auch geboten | |
– will man leistbare Mieten für Einkommensschwächere garantieren. | |
DW Enteignen plant neues Volksbegehren: Das Gesetz aus der Schublade holen | |
Noch im Juni wird die Expertenkommission ihren Abschlussbericht vorstellen. | |
Verweigert sich der Senat weiter, könnte ein neues Volksbegehren folgen. | |
Aneignung Berlins von unten: Noch Parken oder schon besetzen? | |
Der Künstler Jakob Wirth bespielt noch bis zum Wochenende verschiedene | |
Parkplätze in Berlin: „Parasite Parking“ will sich die Stadt von unten | |
aneignen | |
Schwarz-rote Koalition: Berlins SPD sieht schwarz | |
Die Hauptstadt wird ab Donnerstag schwarz-rot regiert. Doch die knappe | |
Zustimmung der SPD dürfte die Noch-Regierende Bürgermeisterin Giffey | |
schwächen. | |
Berlins SPD nach dem Mitgliederentscheid: „Abgrenzbar bleiben von der CDU“ | |
Nach der knappen Mehrheit für Schwarz-Rot fordert Juso-Chefin Sinem | |
Taşan-Funke eine „inhaltliche und personelle Erneuerung“ der Berliner SPD. | |
Enteignung unter Schwarz-Rot in Berlin: Ein Rahmen ohne Inhalt | |
CDU und SPD haben sich zwar auf ein „Vergesellschaftungsrahmengesetz“ | |
verständigt. Der Volksentscheid könnte so dennoch sabotiert werden. | |
Wahlkampfhilfe für Franziska Giffey: Ignoranz des Volkswillens | |
Scholz unterstützt das Nein der SPD-Spitzenkandidatin Giffey zu | |
Enteignungen. Das lässt die SPD im Wahlkampf in doppelter Hinsicht schlecht | |
dastehen. | |
Scholz zu Enteignungen: Wahlkampfhilfe vom Kanzler | |
Olaf Scholz (SPD) springt der Regierenden Giffey (SPD) im Wahlkampf beim | |
Enteignen-Thema zur Seite. Grüne sehen kein schnelles Gesetz für | |
Enteignung. |