# taz.de -- Schwarz-rote Koalition: Berlins SPD sieht schwarz | |
> Die Hauptstadt wird ab Donnerstag schwarz-rot regiert. Doch die knappe | |
> Zustimmung der SPD dürfte die Noch-Regierende Bürgermeisterin Giffey | |
> schwächen. | |
Bild: Der nächste Regierende Bürgermeister Wegner (CDU) und seine Vorgängeri… | |
BERLIN taz | Es ist wohl die letzte Volte in dieser an Wendungen reichen | |
Geschichte des Berliner Wahlchaos: Die Mitglieder der SPD stimmen der | |
Koalition mit der CDU zu, aber – im wahrsten Sinne des Wortes – nur | |
halbherzig. Die 54 Prozent Unterstützung für den Kurs der Berliner | |
Parteichef*innen Franziska Giffey und Raed Saleh sind fast schon das | |
Gegenteil dessen, was jene mit der von ihnen durchgedrückten | |
Basisabstimmung bezwecken wollten: eine ordentliche Brise Rückenwind für | |
die gebeutelte Partei und die neue Koalition. | |
Doch Berlins SPD-Mitglieder lieferten am Sonntagabend ein ganz anderes | |
Ergebnis ab als lange erwartet: das einer tief gespaltenen Partei. [1][Da | |
half es auch nichts, dass Giffey und Saleh die Abstimmung als „klares | |
Ergebnis“ und „deutlichen Abstand“ umdeuten wollten.] Schon vorher hatte … | |
[2][aus kritischeren SPD-Kreisen] geheißen, dass Saleh zur Not auch 51 | |
Prozent zum glanzvollen Sieg erklärt hätte. | |
Tatsächlich war das Ergebnis denkbar knapp: Zwei Drittel der Basis haben | |
sich an der Abstimmung beteiligt, genau: 11.886. 5.200 Neinstimmen stehen | |
6.170 Jastimmen gegenüber: Hätten also 500 Mitglieder mit Nein statt Ja | |
gestimmt, hätte Giffey verloren. | |
An der Regierungsbildung in Berlin ändert dieser Ausgang sehr | |
wahrscheinlich nichts mehr. Am Donnerstag soll CDU-Landeschef Kai Wegner | |
vom Abgeordnetenhaus zum neuen Regierenden Bürgermeister gewählt werden. | |
Auch jene fünf SPD-Mitglieder im Berliner Parlament, die sich als | |
Gegner*innen der Groko gezeigt hatten, würden das Votum der Basis | |
akzeptieren, hieß es am Montag. Und die Zustimmung des CDU-Landesparteitags | |
am späten Montagnachmittag war eigentlich nur Formsache. Die CDU, die damit | |
erstmals seit 2001 wieder den Regierungschef in Berlin stellt, ist so heiß | |
auf die Macht, dass sie schon im Koalitionsvertrag deutliche inhaltliche | |
Zugeständnisse an die SPD gemacht hat. | |
## Distanz auf Bundesebene | |
Doch das reicht offenbar nicht, um die Genoss*innen zu überzeugen. Auf | |
Bundesebene hatte sich Generalsekretär Kevin Kühnert wenige Tage vor Ende | |
der Abstimmung noch distanziert. „Dieser Mann verkörpert wenig von meiner | |
Heimatstadt“, sagte Kühnert zu einem möglichen Bürgermeister Wegner. Wie er | |
als Berliner Genosse abgestimmt hatte, verriet Kühnert nicht. Das lässt | |
sich aber auch denken. | |
Als er am Montag in seiner Funktion als Generalsekretär und in Vertretung | |
der Parteispitze im Berliner Willy-Brandt-Haus vor die Presse trat, | |
bekräftigte Kühnert seine Kritik an Wegner wegen dessen [3][Äußerungen rund | |
um die Silvesterkrawalle]. Andererseits sei es gut, dass man in der | |
Regierung sei. „Ich habe in der Berliner SPD überhaupt keine | |
Oppositionssehnsucht gespürt.“ Aber es hätte ja auch andere Mehrheiten | |
gegeben. Etwa die Fortsetzung von Rot-Grün-Rot. | |
Nun müssen sich die Berliner*innen auf einige einschneidende politische | |
Veränderungen einstellen: Zwei Volksentscheide – jener über die | |
[4][Vergesellschaftung von Wohnungskonzernen] und jener über die Bebauung | |
des Tempelhofer Felds – könnten ignoriert beziehungsweise abgeräumt werden. | |
In der Innenpolitik stehen die Zeichen nach dem latent rassistischen | |
Wahlkampf der CDU rund um die Silvesterdebatte auf Law and Order. | |
## Rückschritte auch in Mieten- und Klimaschutz | |
Und auch im Bereich von Mieten- und [5][Klimaschutz, in dem Berlin bisher | |
zumindest teilweise eine Führungsrolle beanspruchte], drohen Rückschritte. | |
Die CDU, die als Partei der Vermieter*innen auf Bundesebene den | |
Mietendeckel wegklagte, geriert sich zwar plötzlich als Freund der | |
Mieter*innen, ohne jedoch ein glaubhaftes Konzept gegen die weiter | |
dramatisch steigenden Mieten zu haben. | |
Entsprechend reagieren im SPD-Landesverband viele Kritiker*innen von | |
Schwarz-Rot trotz der Niederlage bei der Basisentscheidung forsch. Der | |
Kreisvorstand aus Friedrichshain-Kreuzberg, Thomas Giebel, fasste es so: | |
„Eine schallende Ohrfeige für Franziska Giffey. Sie geht angezählt und als | |
Lame Duck in eine gut drei Jahre andauernde Koalition mit der CDU Berlin.“ | |
Hannah Lupper, Bezirksverordnete aus Kreuzberg, sagte: „Unsere | |
Landesvorsitzenden haben es geschafft, den erzkonservativen | |
Christdemokraten Kai Wegner zum Regierenden Bürgermeister zu machen und | |
gleichzeitig sich selbst zur Disposition zu stellen.“ Personelle | |
Veränderungen fordert auch Berlins Juso-Chefin [6][Sinem Taşan-Funke im | |
taz-Interview]; konkret sollten wie im Bund die Parteichefs nicht mehr Teil | |
der Regierung sein – ein kaum verhohlener Angriff auf Giffey. | |
## Der Anfang vom Ende ihrer Karriere | |
Bereits den Parteitag in vier Wochen wolle man nutzen, um „erste Pflöcke“ | |
einzuschlagen „in Richtung einer inhaltlichen und personellen Erneuerung“. | |
Dass Kühnert – von vielen SPD-Linken als Hoffnungsträger gehandelt – selb… | |
in die Bresche springen könnte, dementierte er am Montag: „Ich habe | |
definitiv keine Zeit für weitere Aufgaben.“ | |
Doch die könnten sich bald ergeben. Denn für Giffey könnte das Ergebnis der | |
Abstimmung der Anfang vom Ende ihrer Karriere im SPD-Landesverband sein. | |
Zur Erinnerung: Die Wahl zum Abgeordnetenhaus im September 2021 musste | |
wegen zahlreicher Pannen wiederholt werden; an dem dafür politisch | |
verantwortlichen Senator Andreas Geisel hielt die Regierende | |
Bürgermeisterin trotzdem bis zuletzt fest. Ein Fehler, wie auch viele | |
SPDler*innen inzwischen sagen, denn bei der Wahl am 12. Februar verlor | |
die SPD erneut und landete nur noch mit 53 Stimmen vor den Grünen; die CDU | |
dagegen triumphierte. | |
Trotzdem wäre eine Fortsetzung des linken Bündnisses aus SPD, Grünen und | |
Linken rechnerisch möglich gewesen; Giffey, der die Zusammenarbeit vor | |
allem mit den Grünen stets schwerfiel, entschied sich jedoch dagegen, und | |
gab dafür sogar ihren Posten als Regierungschefin auf. Die Noch-Regierende | |
gehört dem neuen Berliner Senat trotzdem an, allerdings nur als | |
Wirtschaftssenatorin. Eine Position, die traditionell wenig politisch | |
präsent ist, was Giffeys Naturell eigentlich widerspricht. Aber | |
offensichtlich war für sie nicht mehr drin. | |
## Ausbruch eines Überlebenskampfes | |
Giffeys ungewöhnlicher Schritt, nur mehr Juniorpartnerin in einer Koalition | |
zu werden, macht es zudem der Ampel im Bund auf lange Sicht unmöglich, eine | |
Mehrheit im Bundesrat zu bilden. Jedes Bundesland hat dort drei bis sechs | |
Stimmen. Bereits jetzt haben die Länder, in denen die Union mitregiert, | |
zusammen 39 Stimmen und damit die absolute Mehrheit. Sie können | |
zustimmungspflichtige Gesetze des Bundestags blockieren und die Ampel | |
zumindest im ersten Anlauf auflaufen lassen, so geschehen beim Bürgergeld. | |
Nun kommen weitere 4 Stimmen aus Berlin dazu. Die Hoffnung, dass sich | |
dieses Kräfteverhältnis mit einem SPD-Wahlsieg in Hessen ändern könnte, ist | |
damit passé. | |
Giffeys schwacher Stand in der SPD Berlin bedeutet aber noch lange nicht, | |
dass Schwarz-Rot nur ein kurzes Intermezzo sein dürfte. Denn auch unter den | |
Kritiker*innen von Schwarz-Rot ist nach der knappen Basisabstimmung | |
der Überlebenskampf ausgebrochen. Nach ersten öffentlichen | |
Austrittsankündigungen bettelte Hakan Demir, Neuköllner | |
Bundestagsabgeordneter mit eher linkem Profil, auf Twitter fast: „An alle, | |
die austreten wollen: Macht das bitte nicht. Im Mai haben wir einen | |
Landesparteitag und Anfang 2024 eine Wahl der neuen Parteispitze. Wir | |
brauchen jede progressive Stimme dafür.“ | |
Trennungsschmerz der scheidenden rot-grün-roten Koalitionspartner gab es | |
gratis obendrauf: Die SPD habe sich für den Rückschritt entschieden, | |
schreiben die Grünen. „Für Berlin ist das schmerzlich. Die Rolle der | |
Oppositionsführung nehmen wir an und werden die Arbeit des Wegner-Senats | |
kritisch begleiten.“ | |
Die Mietenpolitikerin Katrin Schmidberger gratulierte zynisch in Richtung | |
SPD-Führung: „Ihr habt es geschafft und seid nicht nur die Totengräber von | |
Rot-Grün-Rot, sondern auch mindestens Spalter eurer Partei.“ Die Linken | |
sehen das ähnlich: „Was Franziska Giffey und Raed Saleh hinbekommen haben, | |
ist eine offenbar tief gespaltene Partei. Das könne nur Kai Wegner | |
gefallen“, so der scheidende Kultursenator Klaus Lederer (Linke). | |
Er habe nach dem Ergebnis zunächst Mozarts „Requiem“ hören wollen, sich | |
dann aber für die etwas heitereren Jazz-Suiten von Schostakowitsch | |
entschieden. Immerhin scheine es in der SPD Berlin ja noch genug Menschen | |
zu geben, „mit denen sich der Dialog weiter lohnt – mit Blick auf 2026“, | |
wie Lederer schrieb. Dann wählt Berlin das nächste Mal. | |
24 Apr 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Die-SPD-stimmt-fuer-Schwarz-Rot/!5929650 | |
[2] https://www.welt.de/politik/deutschland/article244963440/Berlin-Der-SPD-ste… | |
[3] /Berlins-Politik-nach-Silvester/!5904826 | |
[4] /Volksentscheid-DW-Enteignen/!5926412 | |
[5] /Klima-Entscheid-in-Berlin/!5921390 | |
[6] /Berlins-SPD-nach-dem-Mitgliederentscheid/!5927374 | |
## AUTOREN | |
Anna Lehmann | |
Gareth Joswig | |
Bert Schulz | |
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