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# taz.de -- Die SPD stimmt für Schwarz-Rot: Eine Frage der Wahrnehmung
> Für die SPD-Chefs sind 54,3 Prozent beim Mitgliederentscheid ein „klares
> Ergebnis“. Doch selbst der Wirtschaftsverband VBKI findet das „knapp“.
Bild: Geschafft: SPD-LandeschefInnen Franziska Giffey und Raed Saleh
Berlin taz | Lange, lange hält sie wirklich, die Nachrichtensperre, die die
SPD am Sonntag über sich verhängt hat. Bis kurz vor fünf dringt nichts nach
außen von der Auszählung des SPD-Mitgliedervotums über den
Koalitionsvertrag mit der CDU. Ein lautes andauerndes Hupen draußen auf der
Straße vor der SPD-Landeszentrale im Wedding lässt wartende Journalisten
hoffen. Ist das ein Jubeln? Aber wofür? Doch nein, es ist bloß ein
Hochzeitskorso.
Dann kann doch jemand drinnen das Wasser nicht mehr halten, kolportiert ein
knappes „Ja“ zu Schwarz-Rot. Genau das bestätigt eine gute halbe Stunde
später die Landesvorsitzende Franziska Giffey, Seite an Seite mit ihrem
Co-Chef Raed Saleh: 54,3 Prozent der teilnehmenden Mitglieder hätten dafür
gestimmt, 45,7 Prozent dagegen.
Die beiden SPD-Oberen stehen am frühen Abend genau dort vor Dutzenden
Journalisten, wo bis kurz vorher ihre Parteifreunde seit dem Vormittag die
Stimmen auszählten, die [1][während des dreiwöchigen Mitgliedervotums]
eingegangen waren. 11.886 sind es, was bedeutet, dass sich fast zwei
Drittel der Mitgliedschaft beteiligt haben. Neben dem Eingang stehen die
Auszähler noch an, um Umschläge mit ihren Handys zurückzubekommen – die
hatten sie abgeben müssen, damit nichts allzu vorzeitig aus der
SPD-Landeszentrale nach draußen dringt.
60 Prozent Unterstützung – das war zuvor inoffiziell die Erwartungshaltung
der Parteiführung. Dass es nun deutlich weniger wurde, dass es nun an nur
rund 500 Mitgliedern liegt, die mit einem Nein statt Ja Schwarz-Rot
verhindert hätten, ficht weder Giffey noch Saleh an. Giffey, die sich bei
einer Niederlage als Landesvorsitzende kaum noch hätte halten können, sieht
vielmehr „ein klares Ergebnis“ und einen „deutlichen Abstand“. Auch Sal…
wird das so formulieren und davon auch auf Nachfragen von Journalisten
nicht abrücken.
„Das ist eine politische Richtungsentscheidung, weit über die nächsten
dreieinhalb Jahre hinaus“, sagt Giffey und löst damit kurzzeitig Verwirrung
aus. Heißt das, dass sich die Noch-Regierungschefin auf eine Zusammenarbeit
mit der CDU über die regulär in dreieinhalb Jahren anstehenden nächste
Abgeordnetenhauswahl festlegt? Nein, so will sie nicht verstanden werden,
sie will das auf die Zukunft der SPD bezogen haben. „Wenn das heute anders
ausgegangen wäre, hätten das viele Menschen in der Stadt nicht verstanden“,
sagt sie, „das hätte der SPD sehr geschadet, über dreieinhalb Jahre
hinaus.“ Aus Sicht der beiden Landesvorsitzenden trägt der schwarz-rote
Koalitionsvertrag eine ganz klare sozialdemokratische Handschrift.
Das Ergebnis ist bindend, es ist nicht etwa ein bloße Mitgliederbefragung,
sondern ein Entscheid. Die Beteiligung liegt unter jener der Abstimmung
über die schwarz-rote Bundesregierung 2018: Damals hatten sich bundesweit
rund 80 Prozent der eingeschriebenen Sozialdemokraten beteiligt und zu zwei
Dritteln für die Koalition mit der CDU gestimmt.
## „Kein guter Tag“
Die Reaktionen lassen nicht lange auf sich warten. Die aus dem
Abgeordnetenhaus geflogene Berliner FDP geißelt das Ergebnis schon, als es
noch unbestätigt ist, die bislang mitregierenden und nach diesem Ergebnis
künftig oppositionelle Linkspartei legt nach. „Heute ist kein guter Tag für
unsere Stadt“, äußern sich in einer gemeinsamen Pressemitteilung die
Spitzen von Landesverband und Abgeordetenhausfraktion. „Berlin hat Besseres
als eine schwarz-rote Ankündigungskoalition verdient, die keine wirklichen
Antworten auf die drängenden Fragen unserer Zeit hat und mit der ein
soziales wie gesellschaftliches Rollback droht.“
So sehen das auch die Grünen-Landesvorsitzenden Philmon Ghirmai und Susanne
Mertens, die sich nun ebenfalls auf Oppositionszeiten einstellen müssen:
„„Mit ihrer Zustimmung zum Koalitionsvertrag mit der CDU hat sich die SPD
für den Rückschritt entschieden.“
Beim traditionsreichen Verband Berliner Kaufleute und Industrieller sieht
man das anders, aber ein klares Ergebnis – wie von Giffey und Saleh
konstatiert – sieht man auch dort nicht. „Die Basis der Berliner SPD hat
sich mit knapper Mehrheit für die Annahme des Koalitionsvertrags mit der
CDU ausgesprochen“, äußert sich Verbandspräsident Markus Voigt. Das enge
Ergebnis sei „Ausdruck der inneren Spaltung der SPD in
Umsetzungspragmatiker und Haltungsdogmatiker.“ Er drängt darauf, im Sinne
einer konstruktiven Regierungsarbeit und zum Wohle Berlins diese Gräben zu
überwinden.
Das Ja der SPD macht den Weg frei für den weiteren geplanten Ablauf. Am
Montag will die CDU bei einem Parteitag gleichfalls dem Koalitionsvertrag
und damit dem ersten schwarz-roten Bündnis in Berlin seit 2001 zustimmen –
Gegenstimmen wären eine Überraschung. Die SPD möchte parallel offenbar ihr
Personal für fünf Senatsposten benennen. Donnerstag kann nun im
Abgeordnetenhaus die Wahl von CDU-Chef Kai Wegner auf die Tagesordnung
kommen. Direkt danach würde er im Roten Rathaus sein Kabinett ernennen, das
anschließend im Parlament vereidigt würde.
Zweifel an der nötigen Mehrheit im Parlament versucht in der
Pressekonferenz Raed Saleh, der zugleich SPD-Fraktionschef ist, zu
zerstreuen – zuletzt war von fünf SPD-Abgeordneten die Rede, die sich
ablehnend zu einer Zusammenarbeit mit der CDU geäußert hätten. Im
Abgeordnetenhaus haben CDU und SPD zusammen 86 von 159 Sitzen, für eine
Wahl braucht Wegner 80 Stimmen. Die fraktionsinternen Kritiker würden den
jetzigen Beschluss der Partei für Schwarz-Rot mittragen, verspricht Saleh.
## Parteitag umgangen
Das Mitgliedervotum hatte Giffey selbst auf den Weg gebracht – sie konnte
sich nicht sicher sein, dass ein Parteitag dem Koalitionsvertrag zustimmen
würde. Schon im vergangenen Sommer hatte ein Parteitag Beschlüsse gefasst,
die ihren Positionen zuwiderliefen: pro Enteignung von großen
Wohnungseigentümern und gegen den Weiterbau der Autobahn 100. Vor allem die
Jusos hatten klar Stellung gegen ein Bündnis mit der CDU bezogen.
[2][Die Diskussion lief quer durch die Partei], nach Kreisverbänden und
deren Diskussions- oder Beschlusslage gerechnet stand es am Ende
unentschieden. Parallel zum Abstimmungszeitraum gab es mehrere
Mitgliederforen. Oft zu erleben war, dass Gegner ankündigten, ihre
Entscheidung gar nicht von dem Vertragsentwurf abhängig zu machen. „CDU und
SPD passen nicht zusammen, und das ist gut so“, war etwa bei einem
Mitgliederforum der SPD Mitte zu hören.
23 Apr 2023
## LINKS
[1] /Mitgliederentscheid-der-Berliner-SPD/!5924926
[2] /Mitgliederentscheid-der-Berliner-SPD/!5925981
## AUTOREN
Stefan Alberti
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