# taz.de -- Mitgliederentscheid der Berliner SPD: Wir sagen Nein! | |
> In der SPD stößt die Koalition mit der CDU auf Widerstand. Acht | |
> Sozialdemokrat*innen erklären, warum sie gegen Schwarz-Rot | |
> stimmen. | |
Bild: „Nein zur Groko“ | |
Mehmed König, stellvertretender Landesvorsitzender SPDqueer Berlin: | |
Es gibt nicht das eine Hauptproblem am Vertrag, sondern viele: Die | |
wichtigsten Ressorts Finanzen und Justiz werden der CDU überlassen, was es | |
schwierig macht, unsere Vorhaben umzusetzen; die A100 wird nicht erwähnt, | |
dabei wäre ihr Weiterbau eine Vollkatastrophe; die Verschärfung der | |
polizeilichen Zugriffsrechte, wie die Verlängerung der Präventivhaft ist | |
eine Aufweichung unseres Profils. Oder habe ich die SPD da falsch | |
verstanden? | |
Dazu kommt: Ich als Mensch mit Migrationsgeschichte habe ein Problem damit, | |
Menschen in Ämter zu hieven, die rassistische Ressentiment schüren. Ich bin | |
nicht grundsätzlich gegen Koalitionen mit der CDU, aber der Berliner | |
Landesverband ist der rechteste und nicht die Merkel-CDU. Ich fürchte, dass | |
unser Landesverband zerbröseln könnte und die Konflikte nur schwer zu | |
kitten sein werden. | |
Peter Maaß, Juso-Vorsitzender: | |
Berlins SPD und CDU haben ein ganz unterschiedliches Gesellschaftsbild; die | |
CDU sollte daher kein Partner für die Sozialdemokratie sein. In der Frage, | |
was Berlin braucht, unterscheiden wir uns stark, demzufolge bildet der | |
Vertrag nur einen Minimalkonsens ab. Mit dieser Koalition verzwergen wir | |
uns als SPD und liefern nicht mehr die notwendigen progressiven Potenziale. | |
Auch die Köpfe der CDU stehen für eine Verhinderungspolitik, die sich nicht | |
um die großen Probleme der Stadt kümmert. | |
Die aktuelle Debatte macht viel mit der Partei, nicht nur auf inhaltlicher | |
Ebene. Ich fürchte, dass viele Mitglieder sie als Bruch empfinden, hoffe | |
aber, dass wir nach der Abstimmung wieder zusammenfinden. Der Nein-Kampagne | |
der Jusos ist es gelungen, viele unterschiedliche Parteimitglieder zu | |
versammeln; ich hoffe, dass wir den Vertrag abgelehnt bekommen. | |
Yannick Haan, Co-Vorsitzender SPD Mitte: | |
Drei Punkte haben bei mir den Ausschlag gegeben, mit „Nein“ zu stimmen: Die | |
Innenpolitik ist zu einseitig auf Repression ausgerichtet, etwa die | |
Ausweitung der Präventivhaft. Ein absoluter Knackpunkt ist die A100: Da | |
nichts im Entwurf des Koalitionsvertrags steht, was gegen den 17. | |
Bauabschnitt spricht, wird der Ausbau durch Friedrichshain wohl kommen. | |
Dabei müsste jetzt mit aller Kraft dagegen mobilisiert werden. Überhaupt | |
sehe ich bei der Verkehrspolitik viele Rückschritte. Und schließlich ist | |
eine Groko immer eine besondere Koalition und sollte in unserem | |
demokratischen System immer eine Ausnahme bleiben. Und hier gibt es ja | |
Alternativen: Die Differenzen sind nicht so groß, dass Rot-Grün-Rot oder | |
Schwarz-Grün ausgeschlossen wären. | |
Sollten die SPD-Mitglieder gegen die Koalition stimmen, müsste noch mal | |
sondiert werden. Die Stimmung in der Partei ist angespannt, aber das ist | |
nichts Außergewöhnliches bei einem solchen Entscheid. Über das Ergebnis | |
kann ich keine Prognose abgeben: Man weiß nie, wie die Mitglieder | |
abstimmen. Ich hoffe, dass wir als SPD den Mut finden, einen anderen Weg | |
als die Groko zu gehen. Es gibt bessere Alternativen. | |
Carmen Sinnokrot, Co-Vorsitzende Forum Netzpolitik der Berliner SPD: | |
Ich könnte verschiedene inhaltliche Gründe für mein „Nein“ nennen, auch … | |
Bereich Netzpolitik, aber der Hauptgrund ist: Ich möchte nicht, dass die | |
SPD einer Partei den Weg ins Rote Rathaus ebnet, die massiv am rechten Rand | |
fischt und die Rassismus als politisches Mittel benutzt. Regieren mit | |
dieser Berliner CDU, das geht für mich nicht. | |
Das Argument, es gehe entweder um Schwarz-Rot oder Opposition, ist für mich | |
aber auch nicht zwingend. Es gibt andere Mehrheiten. Die Tür zu | |
Rot-Grün-Rot ist nicht zu. Für mich ist aber auch klar: Wenn die Abstimmung | |
für die Koalition mit der CDU ausgeht, werde ich das akzeptieren. Über das | |
Ergebnis spekuliere ich nicht. Ich erlebe die laufende Debatte an der Basis | |
als fair, leidenschaftlich und sachkundig. Wie der Landesvorstand mit der | |
Debatte umgeht, finde ich schwierig. Dass der Landesparteitag erst aufgrund | |
mehrerer Beschlüsse der Kreise auf Ende Mai vorgezogen wurde und dass die | |
Gliederungen, Arbeitsgemeinschaften und Fachausschüsse gebeten wurden, sich | |
nicht zu äußern, finde ich falsch. Es ist schließlich ihre Aufgabe, den | |
parteiinternen Willensbildungsprozess zu unterstützen. | |
Samer Fahed, SPD Mitte, AG Migration/Vielfalt: | |
Ich bin 2015 aus Syrien geflüchtet und 2017 in die SPD eingetreten, weil es | |
eine linke Partei ist. Ich finde, Koalitionen mit einer rechten Partei | |
funktionieren nicht. Wir sind traditionell die Partei der Arbeitnehmer, und | |
das passt nicht zur Arbeitgeberpartei CDU. Mit der Vorstellung, dass Kai | |
Wegner, der einen rassistischen Wahlkampf geführt hat, Bürgermeister wird, | |
fühle ich mich als Neu-Berliner unwohl. | |
Der Koalitionsvertrag mit Linken und Grünen war eindeutig besser, und das | |
sehen viele so. Sollte es dennoch eine Mehrheit für die Koalition geben, | |
weiß ich nicht, wie das die nächsten drei Jahre funktionieren soll. Ich | |
will die Partei nicht in zwei Teile auseinanderbrechen sehen. | |
Regine Laroche, SPD-Direktkandidatin in Friedrichshain 2021/23: | |
Die CDU vertritt ein konservatives Welt- und Menschenbild, etwa in Fragen | |
von Klimapolitik, Demokratie oder der Verkehrswende, und ist damit weit | |
entfernt von unseren Positionen. Mir war daher auch schon, bevor der | |
Koalitionsvertrag vorlag, klar, dass ich dagegen stimmen würde. Es stimmt | |
zwar: Nicht alles, was im Vertrag drinsteht, ist schlecht, etwa die | |
Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre – das hat die CDU bislang immer | |
blockiert. Die CDU hat viele Zugeständnisse gemacht, weil sie unbedingt ins | |
Rote Rathaus will. Aber klar ist auch: Was im Vertrag drinsteht und was | |
umgesetzt wird, sind oft zwei unterschiedliche Dinge. Und am Ende sitzt die | |
CDU am längeren Hebel. | |
In meinem Umfeld finden alle das Mitgliedervotum gut; ich halte das auch | |
für besser, als auf einem Parteitag oder gar nur im Parteivorstand über | |
eine Koalition zu entscheiden. Und ich habe die Wahrnehmung, dass sich | |
niemand die Entscheidung leicht macht: Alle sind sich der Tragweite der | |
Entscheidung bewusst, die für manche eine zwischen Pest und Cholera ist – | |
wenn die Alternative die Opposition wäre. Aber ich sehe Rot-Grün-Rot nicht | |
als tot an; im Gegenteil, das Bündnis hat am 12. Februar eine Mehrheit | |
bekommen. Und wer weiß? Zu Beginn des Mitgliederentscheids dachte ich, es | |
würde eine deutliche Mehrheit für die Groko stimmen. Inzwischen denke ich: | |
Egal in welche Richtung, es wird eine knappe Entscheidung. | |
Linda Vierecke, Abgeordnete für Pankow: | |
Ich war Teil des Verhandler*innenteams in der Gruppe Mobilität und | |
Klimaschutz. Mit Bauchgrummeln bin ich da reingegangen – und mit konkreten | |
Dissensen herausgekommen. So hat die CDU durchgesetzt, dass wir wieder an | |
das Mobilitätsgesetz rangehen und die Breite der Radstreifen verkleinern. | |
Dabei war das Gesetz ja auch ein Baby der SPD, nicht nur das der Grünen. | |
Die CDU will Tempo-30-Zonen überprüfen, dabei brauchen wir die, damit die | |
Emissionen im Verkehrsbereich sinken. Außerdem will sie wichtige, schon | |
geplante Straßenbahnprojekte streichen. Aber wir dürfen beim Klimaschutz, | |
insbesondere beim sozialen Klimaschutz, keine Rolle rückwärts machen. | |
Insgesamt ist die CDU der falsche Partner für uns. | |
Ich glaube, der Entscheid wird sehr knapp ausgehen. In meinem Umfeld – und | |
nicht nur auf Social Media – sind deutlich mehr Mitglieder gegen als für | |
das Bündnis mit der CDU. Sollte eine Mehrheit in der SPD gegen die | |
Koalition sein, werde ich mich dafür einsetzen, dass wir Rot-Grün-Rot noch | |
mal probieren. | |
Christian Hörbelt, SPD, Charlottenburg-Wilmersdorf; Arbeitsgemeinschaft für | |
Arbeit: | |
Als Gewerkschaftssekretär begrüße ich es eigentlich immer, wenn die SPD an | |
der Regierung beteiligt ist, denn sie ist für uns ein guter | |
Ansprechpartner. Als Sozialdemokrat, und als solcher habe ich entschieden, | |
befürchte ich jedoch, dass die Partei zum Anhängsel der CDU wird und auch | |
länger nicht mehr zu einer Position der Stärke zurückfinden kann. Der | |
Vertrag enthält sehr viele Konjunktive, sehr viel „können“ und „prüfen… | |
Auf dem Papier kann man viel schreiben, es kommt auf die konkrete Umsetzung | |
an. Daher würde ich es sehr begrüßen, wenn wir als SPD auch eine starke | |
Stimme für Arbeit und Soziales haben, falls es doch zu einer Groko kommt. | |
Wir müssen aber auch aufarbeiten, warum das Wahlergebnis gerade unter | |
Gewerkschaftsmitgliedern so schlecht war. Anscheinend sprechen wir unsere | |
Wählerklientel nicht mehr so gut an, da müssen wir was verbessern. | |
18 Apr 2023 | |
## AUTOREN | |
Erik Peter | |
Bert Schulz | |
## TAGS | |
Schwarz-rote Koalition in Berlin | |
SPD Berlin | |
Schwarz-rote Koalition in Berlin | |
SPD | |
Wochenkommentar | |
Schwarz-rote Koalition in Berlin | |
Schwarz-rote Koalition in Berlin | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Die SPD stimmt für Schwarz-Rot: Eine Frage der Wahrnehmung | |
Für die SPD-Chefs sind 54,3 Prozent beim Mitgliederentscheid ein „klares | |
Ergebnis“. Doch selbst der Wirtschaftsverband VBKI findet das „knapp“. | |
Entscheid über Schwarz-Rot in Berlin: SPD billigt Koalition mit CDU | |
Erfolg für Franziska Giffey: Mit knapper Mehrheit stimmen die | |
SPD-Mitglieder in Berlin dem mit der CDU ausgehandelten Koalitionsvertrag | |
zu. | |
Entscheid über Schwarz-Rot in Berlin: Was hält die SPD aus? | |
Am Sonntag wird bekannt, ob es in Berlin zu Schwarz-Rot kommt. Auch bei | |
einem „Ja“ der SPD-Basis werden tiefe Wunden in der Partei bleiben. | |
SPD-Mitglieder zum Koalitionsvertrag: Sozialdemokratische Schwengelpumpen | |
Auf sechs Foren streitet die Berliner SPD über den Koalitionsvertrag mit | |
der CDU. Bei Mobilität und Klimaschutz geht es besonders kontrovers zu. | |
Mitgliederentscheid der Berliner SPD: Eine Partei geht sich an den Kragen | |
Ja oder Nein zur Koalition mit der CDU? Der SPD-Landesvorstand verordnet | |
der Partei Ruhe und erntet einen öffentlichen Streit in den sozialen | |
Medien. |